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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Arbeitswcrkzeugen, mit Gegenstände", die der Bequemlichkeit dienen, mit An¬
nehmlichkeiten, mit Hilfsmitteln der Wissenschaft, mit Kunstwerken. Durch
Arbeit werden diese Güter geschaffen, und gemeinsame Voraussetzung für alle
Arbeit ist ein hinlänglich großes Stück Erdboden, das den Rohstoff und den
Arbeitsraum darbietet. Der Gedanke, daß irgend eins dieser Güter nicht
durch Arbeit, sondern auf andre Weise, etwa durch Sparen gewonnen werden
könne, ist so offenbar ungereimt, daß nur die allgemein eingerissene Ver
schrobenheit des Denkens es rechtfertigen kann, wenn man ihm die Ehre einer
ausdrücklichen Zurückweisung widerfahren läßt. Im ersten Anfange mensch¬
licher Wirtschaft allerdings konnte das Sparen in dem Sinne einer freiwilligen
Enthaltung von Genüssen zeitweilig eine Rolle spielen. Es giebt Indianer,
die so viehisch sind, daß sie eine Milchkuh, die man ihnen schenkt, sofort mit
Haut und Haaren auffressen; die können es natürlich niemals zu einer Rinder¬
herde bringen. Aber die Orientalen, bei denen die Kultur entstanden ist, sind
niemals solche Bestien gewesen; sie ziehen sogar Pflanzennahrung, Milch und
Käse dem Fleische vor und suhlen sich daher gar nicht versucht, eine Kuh zu
schlachten, solange sie jene Nahrungsmittel haben. Also die erste Milchkuh
mußte freilich "gespart" werden; aber was sollte außerdem in der Landwirt¬
schaft gespart werden? Nur nach einer Mißerute kann es vorkommen, daß der
Bauer genötigt wäre, mit seinen Leuten ein paar Monate zu hungern, um
das Saatgetreide übrig zu behalten, nur nach einer Viehseuche muß der nv-
madisirende Hirt auf Fleischgenuß verzichten, wenn er nicht den Bestand seiner
Herde gefährden will. Für gewöhnlich können sich beide satt essen und satt
trinken und haben noch übrig. Was sollte der Bauer sonst noch sparen? Den
Dünger vielleicht? Aber den zu verspeisen fühlt er sich doch nicht versucht.
Oder Hacke, Pflug und Grabscheit? Aber die müssen im Gegenteil abgenutzt
werden, wenn sie etwas nutzen sollen. Arbeit ist nötig, wenn das Vieh ge¬
deihen soll, Arbeit, wenn der Acker, der Weinstock Frucht tragen soll, Arbeit,
wenn ein behagliches Heim geschaffen und Kleidung hergestellt werden soll,
Arbeit, wenn die Wasserfluten vom Acker abgelenkt oder auf ihn geleitet
und darauf verteilt werden sollen, Arbeit, wenn das bebaute Laud vor
dem Einbruch verwüstender Tiere durch Hecken und Zäune geschützt werden
soll -- Arbeit und immer Arbeit! Sparen findet da gar keine Stelle und hat
keinen Sinn.

Nicht anders ist es nach eingetretner Arbeitsteilung geworden, und es
ist so geblieben bis auf die Stufe unsrer hoch entwickelten Kultur herauf.
Mag es sich um Maschinen oder Lokomotiven, um Spitzenschleier oder um
Neichstagspaläste handeln, es giebt kein andres Mittel, sie zu schaffen, als die


jüngst -- wo? wird nicht gesagt -- unser Entweder --Oder aufgestellt hat: entweder Zwei¬
kindersystem oder Landerwerb durch Eroberung! Der Vorwärts spottet darüber.

Arbeitswcrkzeugen, mit Gegenstände», die der Bequemlichkeit dienen, mit An¬
nehmlichkeiten, mit Hilfsmitteln der Wissenschaft, mit Kunstwerken. Durch
Arbeit werden diese Güter geschaffen, und gemeinsame Voraussetzung für alle
Arbeit ist ein hinlänglich großes Stück Erdboden, das den Rohstoff und den
Arbeitsraum darbietet. Der Gedanke, daß irgend eins dieser Güter nicht
durch Arbeit, sondern auf andre Weise, etwa durch Sparen gewonnen werden
könne, ist so offenbar ungereimt, daß nur die allgemein eingerissene Ver
schrobenheit des Denkens es rechtfertigen kann, wenn man ihm die Ehre einer
ausdrücklichen Zurückweisung widerfahren läßt. Im ersten Anfange mensch¬
licher Wirtschaft allerdings konnte das Sparen in dem Sinne einer freiwilligen
Enthaltung von Genüssen zeitweilig eine Rolle spielen. Es giebt Indianer,
die so viehisch sind, daß sie eine Milchkuh, die man ihnen schenkt, sofort mit
Haut und Haaren auffressen; die können es natürlich niemals zu einer Rinder¬
herde bringen. Aber die Orientalen, bei denen die Kultur entstanden ist, sind
niemals solche Bestien gewesen; sie ziehen sogar Pflanzennahrung, Milch und
Käse dem Fleische vor und suhlen sich daher gar nicht versucht, eine Kuh zu
schlachten, solange sie jene Nahrungsmittel haben. Also die erste Milchkuh
mußte freilich „gespart" werden; aber was sollte außerdem in der Landwirt¬
schaft gespart werden? Nur nach einer Mißerute kann es vorkommen, daß der
Bauer genötigt wäre, mit seinen Leuten ein paar Monate zu hungern, um
das Saatgetreide übrig zu behalten, nur nach einer Viehseuche muß der nv-
madisirende Hirt auf Fleischgenuß verzichten, wenn er nicht den Bestand seiner
Herde gefährden will. Für gewöhnlich können sich beide satt essen und satt
trinken und haben noch übrig. Was sollte der Bauer sonst noch sparen? Den
Dünger vielleicht? Aber den zu verspeisen fühlt er sich doch nicht versucht.
Oder Hacke, Pflug und Grabscheit? Aber die müssen im Gegenteil abgenutzt
werden, wenn sie etwas nutzen sollen. Arbeit ist nötig, wenn das Vieh ge¬
deihen soll, Arbeit, wenn der Acker, der Weinstock Frucht tragen soll, Arbeit,
wenn ein behagliches Heim geschaffen und Kleidung hergestellt werden soll,
Arbeit, wenn die Wasserfluten vom Acker abgelenkt oder auf ihn geleitet
und darauf verteilt werden sollen, Arbeit, wenn das bebaute Laud vor
dem Einbruch verwüstender Tiere durch Hecken und Zäune geschützt werden
soll — Arbeit und immer Arbeit! Sparen findet da gar keine Stelle und hat
keinen Sinn.

Nicht anders ist es nach eingetretner Arbeitsteilung geworden, und es
ist so geblieben bis auf die Stufe unsrer hoch entwickelten Kultur herauf.
Mag es sich um Maschinen oder Lokomotiven, um Spitzenschleier oder um
Neichstagspaläste handeln, es giebt kein andres Mittel, sie zu schaffen, als die


jüngst — wo? wird nicht gesagt — unser Entweder —Oder aufgestellt hat: entweder Zwei¬
kindersystem oder Landerwerb durch Eroberung! Der Vorwärts spottet darüber.
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[0216] Arbeitswcrkzeugen, mit Gegenstände», die der Bequemlichkeit dienen, mit An¬ nehmlichkeiten, mit Hilfsmitteln der Wissenschaft, mit Kunstwerken. Durch Arbeit werden diese Güter geschaffen, und gemeinsame Voraussetzung für alle Arbeit ist ein hinlänglich großes Stück Erdboden, das den Rohstoff und den Arbeitsraum darbietet. Der Gedanke, daß irgend eins dieser Güter nicht durch Arbeit, sondern auf andre Weise, etwa durch Sparen gewonnen werden könne, ist so offenbar ungereimt, daß nur die allgemein eingerissene Ver schrobenheit des Denkens es rechtfertigen kann, wenn man ihm die Ehre einer ausdrücklichen Zurückweisung widerfahren läßt. Im ersten Anfange mensch¬ licher Wirtschaft allerdings konnte das Sparen in dem Sinne einer freiwilligen Enthaltung von Genüssen zeitweilig eine Rolle spielen. Es giebt Indianer, die so viehisch sind, daß sie eine Milchkuh, die man ihnen schenkt, sofort mit Haut und Haaren auffressen; die können es natürlich niemals zu einer Rinder¬ herde bringen. Aber die Orientalen, bei denen die Kultur entstanden ist, sind niemals solche Bestien gewesen; sie ziehen sogar Pflanzennahrung, Milch und Käse dem Fleische vor und suhlen sich daher gar nicht versucht, eine Kuh zu schlachten, solange sie jene Nahrungsmittel haben. Also die erste Milchkuh mußte freilich „gespart" werden; aber was sollte außerdem in der Landwirt¬ schaft gespart werden? Nur nach einer Mißerute kann es vorkommen, daß der Bauer genötigt wäre, mit seinen Leuten ein paar Monate zu hungern, um das Saatgetreide übrig zu behalten, nur nach einer Viehseuche muß der nv- madisirende Hirt auf Fleischgenuß verzichten, wenn er nicht den Bestand seiner Herde gefährden will. Für gewöhnlich können sich beide satt essen und satt trinken und haben noch übrig. Was sollte der Bauer sonst noch sparen? Den Dünger vielleicht? Aber den zu verspeisen fühlt er sich doch nicht versucht. Oder Hacke, Pflug und Grabscheit? Aber die müssen im Gegenteil abgenutzt werden, wenn sie etwas nutzen sollen. Arbeit ist nötig, wenn das Vieh ge¬ deihen soll, Arbeit, wenn der Acker, der Weinstock Frucht tragen soll, Arbeit, wenn ein behagliches Heim geschaffen und Kleidung hergestellt werden soll, Arbeit, wenn die Wasserfluten vom Acker abgelenkt oder auf ihn geleitet und darauf verteilt werden sollen, Arbeit, wenn das bebaute Laud vor dem Einbruch verwüstender Tiere durch Hecken und Zäune geschützt werden soll — Arbeit und immer Arbeit! Sparen findet da gar keine Stelle und hat keinen Sinn. Nicht anders ist es nach eingetretner Arbeitsteilung geworden, und es ist so geblieben bis auf die Stufe unsrer hoch entwickelten Kultur herauf. Mag es sich um Maschinen oder Lokomotiven, um Spitzenschleier oder um Neichstagspaläste handeln, es giebt kein andres Mittel, sie zu schaffen, als die jüngst — wo? wird nicht gesagt — unser Entweder —Oder aufgestellt hat: entweder Zwei¬ kindersystem oder Landerwerb durch Eroberung! Der Vorwärts spottet darüber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/216>, abgerufen am 22.07.2024.