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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Arbeiten und Karten der Italiener über die alte Kyrenaika. Es ist nicht
zweifelhaft, daß die Franzosen, berauscht von ihren nordafrikanischen Zukunfts-
plänen, nach Tripolis die Fäden weiterführen, die sie von Algier nach Tunis
gelegt hatten. Das ist ein Borgehen im Zusammenhang mit dem vom
Kongo nach dem Tsadsee, Vom Tsadsee führt der gangbarste Weg aus
Zentralafrika zum Mittelmeer über Tripolis.

Wir haben darauf hingewiesen, wie sich der wirtschaftliche und politische
Wert Ägyptens in großem Maße erhöht hat. In demselben Maße hat sich
natürlich die politische Spannung durch die ueugeschaffne Stellung Englands
am Nil und am Suezkanal, die keiner andern Macht bequem ist, vergrößert,
und unter den politischen Gewittern, die sich über dem Südhorizont Europas
sammeln, steht ohne Frage das drohendste über Ägypten.

Wir gehen an den heiligen Stätten, Stätten thörichten, kleinlichen Haders,
und an Syrien vorüber, wo sich, wie schon zu Franz I. Zeit, Frankreich vor
allen andern Mächten der Christenheit zum Einfluß berufen fühlt. Wie sich
diese Überlieferung mit der allen nichtorthodoxen Ansprüchen entgegengesetzten
Politik des befreundeten Rußlands vertragen wird, bleibt abzuwarten. Als
katholische Schutzmacht erfährt es Schwächungen durch die erfolgreich auf die
starke Vertretung der Italiener in Kirchen, Klöstern und Schulen sich stützende
Wettbewerbung Italiens, das auch darin die Überlieferungen aus einer Zeit
aufnimmt, wo die Konsuln der Venetianer und Genuesen bis nach Antiochia
hinein selbst von den Augsburger und Ulmer Kaufleuten um ihren Schutz
angegangen wurden.

Der wirtschaftliche Wert Kleinasiens tritt immer klarer hervor, je tiefer
die Eisenbahnen eindringen. Durch die Euphratbcchn wird sich mit ihm der
politische Einfluß in ungeahnter Weise steigern. Am meisten hat aber die
politische Bedeutung dieses Landes bei der Pforte gewonnen, die seit der
Znrückdrüugung von der Donau, der Bosra und dem Balkan in diesem tür¬
kischsten von allen ihrer Herrschaft unterworfnen Ländern den Grundstein
ihrer Macht sieht. Das ist Kleinasien übrigens auch in geschichtlichem Sinne.
Die große Thatsache aber ist das unbedingte Übergewicht seiner türkischen Be¬
völkerung. Kleinasien ist überhaupt das einzige Land der Welt mit einer
geschlossenen türkischen Bevölkerung. Man wird gut thun, bei politischen
Spekulationen damit zu rechnen und sich nicht durch die Menge und Thätigkeit
der Griechen und Armenier in den großen Städten beirren zu lassen, die nur
ein Firniß des wahren Zustandes ist, der aus Kleinasien das wertvollste Land
des heutigen Türkenreiches, ja der Türkenrasse macht.

Geographisch ist das Schwarze Meer nur ein Anhängsel des Mittelmeers,
politisch ist es für die an Land und Menschen reichste der europäischen Mächte,
Rußland, die Vorhalle, durch die die Wege zum Weltverkehr, und zur Welt-
machtstellung sichren. In diesem kleinern Becken maritim neu erstarkt, be-


Grenzlwten IV I89L SK

Arbeiten und Karten der Italiener über die alte Kyrenaika. Es ist nicht
zweifelhaft, daß die Franzosen, berauscht von ihren nordafrikanischen Zukunfts-
plänen, nach Tripolis die Fäden weiterführen, die sie von Algier nach Tunis
gelegt hatten. Das ist ein Borgehen im Zusammenhang mit dem vom
Kongo nach dem Tsadsee, Vom Tsadsee führt der gangbarste Weg aus
Zentralafrika zum Mittelmeer über Tripolis.

Wir haben darauf hingewiesen, wie sich der wirtschaftliche und politische
Wert Ägyptens in großem Maße erhöht hat. In demselben Maße hat sich
natürlich die politische Spannung durch die ueugeschaffne Stellung Englands
am Nil und am Suezkanal, die keiner andern Macht bequem ist, vergrößert,
und unter den politischen Gewittern, die sich über dem Südhorizont Europas
sammeln, steht ohne Frage das drohendste über Ägypten.

Wir gehen an den heiligen Stätten, Stätten thörichten, kleinlichen Haders,
und an Syrien vorüber, wo sich, wie schon zu Franz I. Zeit, Frankreich vor
allen andern Mächten der Christenheit zum Einfluß berufen fühlt. Wie sich
diese Überlieferung mit der allen nichtorthodoxen Ansprüchen entgegengesetzten
Politik des befreundeten Rußlands vertragen wird, bleibt abzuwarten. Als
katholische Schutzmacht erfährt es Schwächungen durch die erfolgreich auf die
starke Vertretung der Italiener in Kirchen, Klöstern und Schulen sich stützende
Wettbewerbung Italiens, das auch darin die Überlieferungen aus einer Zeit
aufnimmt, wo die Konsuln der Venetianer und Genuesen bis nach Antiochia
hinein selbst von den Augsburger und Ulmer Kaufleuten um ihren Schutz
angegangen wurden.

Der wirtschaftliche Wert Kleinasiens tritt immer klarer hervor, je tiefer
die Eisenbahnen eindringen. Durch die Euphratbcchn wird sich mit ihm der
politische Einfluß in ungeahnter Weise steigern. Am meisten hat aber die
politische Bedeutung dieses Landes bei der Pforte gewonnen, die seit der
Znrückdrüugung von der Donau, der Bosra und dem Balkan in diesem tür¬
kischsten von allen ihrer Herrschaft unterworfnen Ländern den Grundstein
ihrer Macht sieht. Das ist Kleinasien übrigens auch in geschichtlichem Sinne.
Die große Thatsache aber ist das unbedingte Übergewicht seiner türkischen Be¬
völkerung. Kleinasien ist überhaupt das einzige Land der Welt mit einer
geschlossenen türkischen Bevölkerung. Man wird gut thun, bei politischen
Spekulationen damit zu rechnen und sich nicht durch die Menge und Thätigkeit
der Griechen und Armenier in den großen Städten beirren zu lassen, die nur
ein Firniß des wahren Zustandes ist, der aus Kleinasien das wertvollste Land
des heutigen Türkenreiches, ja der Türkenrasse macht.

Geographisch ist das Schwarze Meer nur ein Anhängsel des Mittelmeers,
politisch ist es für die an Land und Menschen reichste der europäischen Mächte,
Rußland, die Vorhalle, durch die die Wege zum Weltverkehr, und zur Welt-
machtstellung sichren. In diesem kleinern Becken maritim neu erstarkt, be-


Grenzlwten IV I89L SK
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[0209] Arbeiten und Karten der Italiener über die alte Kyrenaika. Es ist nicht zweifelhaft, daß die Franzosen, berauscht von ihren nordafrikanischen Zukunfts- plänen, nach Tripolis die Fäden weiterführen, die sie von Algier nach Tunis gelegt hatten. Das ist ein Borgehen im Zusammenhang mit dem vom Kongo nach dem Tsadsee, Vom Tsadsee führt der gangbarste Weg aus Zentralafrika zum Mittelmeer über Tripolis. Wir haben darauf hingewiesen, wie sich der wirtschaftliche und politische Wert Ägyptens in großem Maße erhöht hat. In demselben Maße hat sich natürlich die politische Spannung durch die ueugeschaffne Stellung Englands am Nil und am Suezkanal, die keiner andern Macht bequem ist, vergrößert, und unter den politischen Gewittern, die sich über dem Südhorizont Europas sammeln, steht ohne Frage das drohendste über Ägypten. Wir gehen an den heiligen Stätten, Stätten thörichten, kleinlichen Haders, und an Syrien vorüber, wo sich, wie schon zu Franz I. Zeit, Frankreich vor allen andern Mächten der Christenheit zum Einfluß berufen fühlt. Wie sich diese Überlieferung mit der allen nichtorthodoxen Ansprüchen entgegengesetzten Politik des befreundeten Rußlands vertragen wird, bleibt abzuwarten. Als katholische Schutzmacht erfährt es Schwächungen durch die erfolgreich auf die starke Vertretung der Italiener in Kirchen, Klöstern und Schulen sich stützende Wettbewerbung Italiens, das auch darin die Überlieferungen aus einer Zeit aufnimmt, wo die Konsuln der Venetianer und Genuesen bis nach Antiochia hinein selbst von den Augsburger und Ulmer Kaufleuten um ihren Schutz angegangen wurden. Der wirtschaftliche Wert Kleinasiens tritt immer klarer hervor, je tiefer die Eisenbahnen eindringen. Durch die Euphratbcchn wird sich mit ihm der politische Einfluß in ungeahnter Weise steigern. Am meisten hat aber die politische Bedeutung dieses Landes bei der Pforte gewonnen, die seit der Znrückdrüugung von der Donau, der Bosra und dem Balkan in diesem tür¬ kischsten von allen ihrer Herrschaft unterworfnen Ländern den Grundstein ihrer Macht sieht. Das ist Kleinasien übrigens auch in geschichtlichem Sinne. Die große Thatsache aber ist das unbedingte Übergewicht seiner türkischen Be¬ völkerung. Kleinasien ist überhaupt das einzige Land der Welt mit einer geschlossenen türkischen Bevölkerung. Man wird gut thun, bei politischen Spekulationen damit zu rechnen und sich nicht durch die Menge und Thätigkeit der Griechen und Armenier in den großen Städten beirren zu lassen, die nur ein Firniß des wahren Zustandes ist, der aus Kleinasien das wertvollste Land des heutigen Türkenreiches, ja der Türkenrasse macht. Geographisch ist das Schwarze Meer nur ein Anhängsel des Mittelmeers, politisch ist es für die an Land und Menschen reichste der europäischen Mächte, Rußland, die Vorhalle, durch die die Wege zum Weltverkehr, und zur Welt- machtstellung sichren. In diesem kleinern Becken maritim neu erstarkt, be- Grenzlwten IV I89L SK

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/209>, abgerufen am 22.07.2024.