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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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einen andern Weg zur Besserung der Lage des Arbeiterstandes, als den von
ihnen eingeschlagnen, giebt es auch gar nicht in einem Lande, dessen Einkommen
größtenteils auf der Exportindustrie beruht. Nur in einem Lande, das noch
freien Boden hat, kann das Volkseinkommen im Verhältnis zur wachsenden
Kopfzahl vermehrt werden. In einem Industrie- und Haudelsstaate dagegen,
der Konkurrenten hat, ist das Volkseinkommen ein Kuchen von wenig ver¬
änderlicher Größe, svdnß mit der Zunahme der Mäuler die ans jedes Maul
fallenden Brocken immer kleiner werden müssen. Soll der Anteil bestimmter
Arbeiter größer werden, so muß der Anteil der übrigen Arbeiter und der Unter¬
nehmer entsprechend kleiner werden. Jetzt, wo die nichtgelernten Arbeiter in
die Bewegung eintreten, wo in den Gewerkvereinen die Ansicht, es müßten
allen Arbeitern ohne Ausnahme günstige Lebensbedingungen errungen werden,
die Mehrheit gewinnt, wo also die Gewerkvereinler ihr Einkommen nicht mehr
ans Kosten ihrer Kameraden vergrößern können, bleibt nichts weiter übrig, als
die gänzliche Beseitigung des Unternehmergewinns zu erstreben; d. h. die Ge¬
werkvereinler müssen Sozialisten werden, was sie denn auch größtenteils schon
sind. Wo die Gewerkvereine nicht, wie in England, aus dem bildungskrnftigeu
Geiste eines revolutionären Volkes geboren, sondern von kapitalistischen Gönnern
als Köder für die Arbeiterschaft aufgepäppelt und unter Polizeiaufsicht gehand¬
habt werden, da bleibe" sie eine bedeutungslose Spielerei.

So ist denn der Liberalismus unsrer Liberalen, der Fortschritt unsrer
Fortschrittler, der Freisinn unsrer Freisinnigen eitel Schein und Blendwerk;
eben vernehmen wir von Rudolf Eberstadt im neuesten Hefte von Schmollers
Jahrbuch -- der Artikel hat, wenn wir uicht irren, schon in den Preußischen
Jahrbüchern gestanden--, wie der den "Freisinn" vertretende Berliner Magistrat
dnrch seine Bauordnung die Wohnungsnot planmäßig erzeugt hat. Es giebt nur
einen Stand, mit dem es die Herren einigermaßen aufrichtig meinen; das ist
der der ärmern Landleute: Kleinbauern, Tagelöhner und ländliches Gesinde.
Denn diesen zu helfen, wenn sie es könnten, würde das Interesse ihrer Führer
nicht schädigen; giebt es doch weder Großgrundbesitzer noch Landräte darunter.

Also: daß diese Herren ein Buch totschweigen, das den Dingen auf den
Grund geht, ist erklärlich, zugleich aber auch betrübend. Betrübend, weil der
"Freisinn" die einzige bürgerliche Oppositionspartei ist, und weil unser ver¬
kalkter und verholzter Vater Staat, der sich, ohne Ideen und ohne Ideale,
ohne Ziel und Plan, ohne Lebensmut und Begeisterung, von einer Militär-
Vorlage zur andern, von einem unglücklichen Stenerentwurf zum andern, von
Strafgesetz zu Strafgesetz mühsam fortwurstelt, weil dieser Unglücksgreis not¬
wendig eine frische, kühne Oppositionspartei braucht, wenn er nicht halb steinernes
Götzenbild und halb tote Maschine werden soll. Gelingt es nicht, die lenden¬
lahme und blutarme Fortschrittspartei dnrch Erlösung ans den Banden des
jüdischen Kapitals wieder zu beleben oder lieber -- worüber später einmal --


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einen andern Weg zur Besserung der Lage des Arbeiterstandes, als den von
ihnen eingeschlagnen, giebt es auch gar nicht in einem Lande, dessen Einkommen
größtenteils auf der Exportindustrie beruht. Nur in einem Lande, das noch
freien Boden hat, kann das Volkseinkommen im Verhältnis zur wachsenden
Kopfzahl vermehrt werden. In einem Industrie- und Haudelsstaate dagegen,
der Konkurrenten hat, ist das Volkseinkommen ein Kuchen von wenig ver¬
änderlicher Größe, svdnß mit der Zunahme der Mäuler die ans jedes Maul
fallenden Brocken immer kleiner werden müssen. Soll der Anteil bestimmter
Arbeiter größer werden, so muß der Anteil der übrigen Arbeiter und der Unter¬
nehmer entsprechend kleiner werden. Jetzt, wo die nichtgelernten Arbeiter in
die Bewegung eintreten, wo in den Gewerkvereinen die Ansicht, es müßten
allen Arbeitern ohne Ausnahme günstige Lebensbedingungen errungen werden,
die Mehrheit gewinnt, wo also die Gewerkvereinler ihr Einkommen nicht mehr
ans Kosten ihrer Kameraden vergrößern können, bleibt nichts weiter übrig, als
die gänzliche Beseitigung des Unternehmergewinns zu erstreben; d. h. die Ge¬
werkvereinler müssen Sozialisten werden, was sie denn auch größtenteils schon
sind. Wo die Gewerkvereine nicht, wie in England, aus dem bildungskrnftigeu
Geiste eines revolutionären Volkes geboren, sondern von kapitalistischen Gönnern
als Köder für die Arbeiterschaft aufgepäppelt und unter Polizeiaufsicht gehand¬
habt werden, da bleibe» sie eine bedeutungslose Spielerei.

So ist denn der Liberalismus unsrer Liberalen, der Fortschritt unsrer
Fortschrittler, der Freisinn unsrer Freisinnigen eitel Schein und Blendwerk;
eben vernehmen wir von Rudolf Eberstadt im neuesten Hefte von Schmollers
Jahrbuch — der Artikel hat, wenn wir uicht irren, schon in den Preußischen
Jahrbüchern gestanden—, wie der den „Freisinn" vertretende Berliner Magistrat
dnrch seine Bauordnung die Wohnungsnot planmäßig erzeugt hat. Es giebt nur
einen Stand, mit dem es die Herren einigermaßen aufrichtig meinen; das ist
der der ärmern Landleute: Kleinbauern, Tagelöhner und ländliches Gesinde.
Denn diesen zu helfen, wenn sie es könnten, würde das Interesse ihrer Führer
nicht schädigen; giebt es doch weder Großgrundbesitzer noch Landräte darunter.

Also: daß diese Herren ein Buch totschweigen, das den Dingen auf den
Grund geht, ist erklärlich, zugleich aber auch betrübend. Betrübend, weil der
„Freisinn" die einzige bürgerliche Oppositionspartei ist, und weil unser ver¬
kalkter und verholzter Vater Staat, der sich, ohne Ideen und ohne Ideale,
ohne Ziel und Plan, ohne Lebensmut und Begeisterung, von einer Militär-
Vorlage zur andern, von einem unglücklichen Stenerentwurf zum andern, von
Strafgesetz zu Strafgesetz mühsam fortwurstelt, weil dieser Unglücksgreis not¬
wendig eine frische, kühne Oppositionspartei braucht, wenn er nicht halb steinernes
Götzenbild und halb tote Maschine werden soll. Gelingt es nicht, die lenden¬
lahme und blutarme Fortschrittspartei dnrch Erlösung ans den Banden des
jüdischen Kapitals wieder zu beleben oder lieber — worüber später einmal —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/173>, abgerufen am 24.07.2024.