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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Zum Geschichtsunterricht an den höhern Lehranstalten

Jahr ausführlicher den nordamerikanischen Freiheitskrieg besprochen, mir aus
Washingtons und Franklins Leben von den Schülern aus ihrer eignen Lektüre
erzählen lassen, das Wesen eines Bundesstaats im Gegensatz zum Staaten¬
bund und Vorzüge und Mangel der Uniousverfassnng (der Präsident gehört
immer einer bestimmten Partei an und muß alle Stellen mit Parteigenossen
besetzen) deutlich zu machen gesucht, die Ursache"? und die Folgen des großen
materiellen und wirtschaftlichen Aufschwungs auch für Europa berührt, das
in dieser Hinsicht immer abhängiger von der neuen Welt wird, während es
die Quellen der Wissenschaft und Kunst für die bildungsbedürftigen Amerikaner
erschließt, auch von der Monrvedoktrin und der Mac Kinleybill kurz ge¬
sprochen -- alles, weil Amerika gerade jetzt auch für Deutschland im Vorder¬
grunde des Interesses steht, besonders in Jndnstricgegenden. Dafür habe ich
dann die Verhältnisse des Ostens nur kurz berühren können.

Lorenz stellt schließlich, nachdem er über Vaterlandsliebe und Staars-
bewnßtscin, die in München so viel Staub aufgewirbelt haben, treffliches ge¬
sagt hat, als wichtigste Frage für künftige Histvrilerversaimnlnngcn die hin:
Sind die Kenntnisse geschichtlicher Thatsachen, die jetzt an den höhern Schulen
erworben werden, genügend, den im öffentlichen Leben stehenden Gebildeten
eine ausreichende Grundlage für ihr staatliches und gesellschaftliches Wirken
zu bieten? und er sagt mit Recht, hierüber könne nur der Fachmann ein ent¬
scheidendes Urteil haben. Aber -- fügen wir hinzu -- nur dann, wenn er
weiß, welche Kenntnisse jetzt an den höhern Schulen wirklich erworben werden,
und das wissen eben, wie wir gesehen haben, nicht alle Fachmänner genau.
Neben den Lehrern an den Universitäten werden also doch auch die an den
höhern Lehranstalten gehört werden müssen. Ist das geschehen, und bewegen
sich dann jene in den lichten Höhen der reinen Wissenschaft, um über den
Betrieb der geschichtlichen Studien zu verhandeln, so werden die Schulmänner
auch über Fragen der Unterrichtspraxis zu beraten Anlaß genng haben.
Als zwei solche Fragen, über die die Ansichten noch sehr geteilt sind, hebe
ich hervor: In welcher Weise sind die Quellen beim Unterricht heranzuziehen?
Welche Hilfsmittel müssen unbedingt in der Hand des Schülers sein, und
welche Anforderungen sind an sie zu stellen?

Zum Schluß möchte ich noch zwei wichtige Gesichtspunkte andeuten.
Es ist von verschiednen Seiten (n. a. auch von Lorenz) mit Recht darauf
hingewiesen worden, daß der, der den Geschichtsunterricht so, wie er jetzt er¬
forderlich ist, wirklich erfolgreich erteilen will, sich gründlich mit Staats¬
wissenschaft und Nationalökonomie beschäftigt haben müsse. Die Prüfung pro
l-tLiiItlitö clovsncli wird dem fortan gebührend Rechnung tragen. Wie steht es
nun aber mit denen, die noch nach der alten Weise Geschichte studirt, also
jene beiden Gebiete nur gelegentlich, nicht nov kennen gelernt haben? Können
sie das, was sie ohne ihre Schuld einst versäumt haben, nun wirklich nach-


Greuzbvten IV 189Z 17
Zum Geschichtsunterricht an den höhern Lehranstalten

Jahr ausführlicher den nordamerikanischen Freiheitskrieg besprochen, mir aus
Washingtons und Franklins Leben von den Schülern aus ihrer eignen Lektüre
erzählen lassen, das Wesen eines Bundesstaats im Gegensatz zum Staaten¬
bund und Vorzüge und Mangel der Uniousverfassnng (der Präsident gehört
immer einer bestimmten Partei an und muß alle Stellen mit Parteigenossen
besetzen) deutlich zu machen gesucht, die Ursache»? und die Folgen des großen
materiellen und wirtschaftlichen Aufschwungs auch für Europa berührt, das
in dieser Hinsicht immer abhängiger von der neuen Welt wird, während es
die Quellen der Wissenschaft und Kunst für die bildungsbedürftigen Amerikaner
erschließt, auch von der Monrvedoktrin und der Mac Kinleybill kurz ge¬
sprochen — alles, weil Amerika gerade jetzt auch für Deutschland im Vorder¬
grunde des Interesses steht, besonders in Jndnstricgegenden. Dafür habe ich
dann die Verhältnisse des Ostens nur kurz berühren können.

Lorenz stellt schließlich, nachdem er über Vaterlandsliebe und Staars-
bewnßtscin, die in München so viel Staub aufgewirbelt haben, treffliches ge¬
sagt hat, als wichtigste Frage für künftige Histvrilerversaimnlnngcn die hin:
Sind die Kenntnisse geschichtlicher Thatsachen, die jetzt an den höhern Schulen
erworben werden, genügend, den im öffentlichen Leben stehenden Gebildeten
eine ausreichende Grundlage für ihr staatliches und gesellschaftliches Wirken
zu bieten? und er sagt mit Recht, hierüber könne nur der Fachmann ein ent¬
scheidendes Urteil haben. Aber — fügen wir hinzu — nur dann, wenn er
weiß, welche Kenntnisse jetzt an den höhern Schulen wirklich erworben werden,
und das wissen eben, wie wir gesehen haben, nicht alle Fachmänner genau.
Neben den Lehrern an den Universitäten werden also doch auch die an den
höhern Lehranstalten gehört werden müssen. Ist das geschehen, und bewegen
sich dann jene in den lichten Höhen der reinen Wissenschaft, um über den
Betrieb der geschichtlichen Studien zu verhandeln, so werden die Schulmänner
auch über Fragen der Unterrichtspraxis zu beraten Anlaß genng haben.
Als zwei solche Fragen, über die die Ansichten noch sehr geteilt sind, hebe
ich hervor: In welcher Weise sind die Quellen beim Unterricht heranzuziehen?
Welche Hilfsmittel müssen unbedingt in der Hand des Schülers sein, und
welche Anforderungen sind an sie zu stellen?

Zum Schluß möchte ich noch zwei wichtige Gesichtspunkte andeuten.
Es ist von verschiednen Seiten (n. a. auch von Lorenz) mit Recht darauf
hingewiesen worden, daß der, der den Geschichtsunterricht so, wie er jetzt er¬
forderlich ist, wirklich erfolgreich erteilen will, sich gründlich mit Staats¬
wissenschaft und Nationalökonomie beschäftigt haben müsse. Die Prüfung pro
l-tLiiItlitö clovsncli wird dem fortan gebührend Rechnung tragen. Wie steht es
nun aber mit denen, die noch nach der alten Weise Geschichte studirt, also
jene beiden Gebiete nur gelegentlich, nicht nov kennen gelernt haben? Können
sie das, was sie ohne ihre Schuld einst versäumt haben, nun wirklich nach-


Greuzbvten IV 189Z 17
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[0137] Zum Geschichtsunterricht an den höhern Lehranstalten Jahr ausführlicher den nordamerikanischen Freiheitskrieg besprochen, mir aus Washingtons und Franklins Leben von den Schülern aus ihrer eignen Lektüre erzählen lassen, das Wesen eines Bundesstaats im Gegensatz zum Staaten¬ bund und Vorzüge und Mangel der Uniousverfassnng (der Präsident gehört immer einer bestimmten Partei an und muß alle Stellen mit Parteigenossen besetzen) deutlich zu machen gesucht, die Ursache»? und die Folgen des großen materiellen und wirtschaftlichen Aufschwungs auch für Europa berührt, das in dieser Hinsicht immer abhängiger von der neuen Welt wird, während es die Quellen der Wissenschaft und Kunst für die bildungsbedürftigen Amerikaner erschließt, auch von der Monrvedoktrin und der Mac Kinleybill kurz ge¬ sprochen — alles, weil Amerika gerade jetzt auch für Deutschland im Vorder¬ grunde des Interesses steht, besonders in Jndnstricgegenden. Dafür habe ich dann die Verhältnisse des Ostens nur kurz berühren können. Lorenz stellt schließlich, nachdem er über Vaterlandsliebe und Staars- bewnßtscin, die in München so viel Staub aufgewirbelt haben, treffliches ge¬ sagt hat, als wichtigste Frage für künftige Histvrilerversaimnlnngcn die hin: Sind die Kenntnisse geschichtlicher Thatsachen, die jetzt an den höhern Schulen erworben werden, genügend, den im öffentlichen Leben stehenden Gebildeten eine ausreichende Grundlage für ihr staatliches und gesellschaftliches Wirken zu bieten? und er sagt mit Recht, hierüber könne nur der Fachmann ein ent¬ scheidendes Urteil haben. Aber — fügen wir hinzu — nur dann, wenn er weiß, welche Kenntnisse jetzt an den höhern Schulen wirklich erworben werden, und das wissen eben, wie wir gesehen haben, nicht alle Fachmänner genau. Neben den Lehrern an den Universitäten werden also doch auch die an den höhern Lehranstalten gehört werden müssen. Ist das geschehen, und bewegen sich dann jene in den lichten Höhen der reinen Wissenschaft, um über den Betrieb der geschichtlichen Studien zu verhandeln, so werden die Schulmänner auch über Fragen der Unterrichtspraxis zu beraten Anlaß genng haben. Als zwei solche Fragen, über die die Ansichten noch sehr geteilt sind, hebe ich hervor: In welcher Weise sind die Quellen beim Unterricht heranzuziehen? Welche Hilfsmittel müssen unbedingt in der Hand des Schülers sein, und welche Anforderungen sind an sie zu stellen? Zum Schluß möchte ich noch zwei wichtige Gesichtspunkte andeuten. Es ist von verschiednen Seiten (n. a. auch von Lorenz) mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der, der den Geschichtsunterricht so, wie er jetzt er¬ forderlich ist, wirklich erfolgreich erteilen will, sich gründlich mit Staats¬ wissenschaft und Nationalökonomie beschäftigt haben müsse. Die Prüfung pro l-tLiiItlitö clovsncli wird dem fortan gebührend Rechnung tragen. Wie steht es nun aber mit denen, die noch nach der alten Weise Geschichte studirt, also jene beiden Gebiete nur gelegentlich, nicht nov kennen gelernt haben? Können sie das, was sie ohne ihre Schuld einst versäumt haben, nun wirklich nach- Greuzbvten IV 189Z 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/137>, abgerufen am 22.07.2024.