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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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dehnung örtlicher Selbstverwaltung sei, wie sie das Parlament ohne Gefahr
für die Reichseinheit einzelnen Landesteilen oder Städten bewilligt habe oder
bewilligen könne, nicht täuschen. Örtliche Selbstverwaltung meint Delegation,
nicht Verzicht auf parlamentarische Autorität, örtliche Selbstverwaltung ver¬
leiht genau begrenzte Rechte, nicht Rechte, die unbegrenzter Ausdehnung fähig
sind. Hvmernle ist nicht örtliche Selbstverwaltung, sondern die Mündigkeits¬
erklärung einer Nation.

Die Bcschrünknngen, die Gladstone dem Dubliner Parlament auferlegen
will, sind im wesentlichen dieselbe" wie in der Bill von Es sind ihm
entzogen erstens: wie den Kolonien, alle Angelegenheiten, die das ganze Reich
angehn -- äußere Angelegenheiten, Stellung der Krone, Heer und Flotte n. s. w.;
daneben aber zweitens: ohne einheitlichen Grundgedanken -- wenn man nicht das
geheime Mißtrauen, von dem Gladstone gegen sein eignes Kind beseelt ist, einen
solchen nennen will -- eine Reihe von Gegenständen, deren Vorenthaltung sich
keine Kolonie auch uur einen Tag gefallen ließe, nämlich die Handels-, Zoll-,
Maß- und Wührnngspvlitik, die Kirchen- und Schulpolitik, Eingriffe in die
Rechte bestehender Körperschaften und die Fischereirechte.

Die irische Nationalpartei hat sich alle diese Beschränkungen bereitwilligst
gefallen lassen; sie weiß wohl, daß ihr dasselbe Mittel, mit dem sie England
Hvmernle abgerungen hat, auch ferner bleibt, nämlich das Gewicht ihrer
Stimmen im Reichsparlamcnt, und sie weiß ferner, daß sie, wenn sie erst die
ausführende Gewalt in ihren Händen hat, alle diese Beschränkungen auf dem
Verwaltungswege unwirksam machen kaun.

Der einzige wirkliche Schutz, den die Bill von 1L"6 zu Gunsten der be¬
drohtesten Minderheit, der Grundbesitzer, enthielt, ist aus der heutigen Bill
verschwunden. Die agrarische Gesetzgebung bleibt dem Reichsparlament ans
drei Jahre vorbehalten, nach Ablauf dieser Galgenfrist werden die irischen
Grundbesitzer mit Hand und Fuß einem Parlament ausgeliefert, das von den
kleinen Pächtern und Bauern -- seit Jahrhunderten ihren erbitterten Tod¬
feinden -- vvllstättdig beherrscht werden wird. Was das heißen will, versteht
man erst, wenn man bedenkt, daß, seit die grüne Insel durch ihre "sächsischen"
Nachbarn erobert wurde, was die Begründung einer fremden Grnndaristokratic
und die Einführung eines den irischen Rechtsanschauungen widersprechenden
Landsystems zur Folge hatte, die Iren gegen diese Grundbesitzer unaufhör¬
lich mit der ganzen Hartnäckigkeit und Grausamkeit eines Bauernvolks Krieg
geführt haben, wenn man weiter bedenkt, daß der Schrei: "Der irische Boden
für die Iren!" die wirklich belebende Kraft in der ganzen nationalen Bewegung
ist. Der irische Pächter ist feuriger Homeruler, weil er unter Hvmernle die
Vertreibung der Grundbesitzer und die Wegnahme ihres Landes zu seinen
Gunsten versteht. Seit der lluivu hat es nicht an Homerulebewegungen ge¬
fehlt; man denke an die Repcalbewegmig unter Daniel O'Connell und an die


dehnung örtlicher Selbstverwaltung sei, wie sie das Parlament ohne Gefahr
für die Reichseinheit einzelnen Landesteilen oder Städten bewilligt habe oder
bewilligen könne, nicht täuschen. Örtliche Selbstverwaltung meint Delegation,
nicht Verzicht auf parlamentarische Autorität, örtliche Selbstverwaltung ver¬
leiht genau begrenzte Rechte, nicht Rechte, die unbegrenzter Ausdehnung fähig
sind. Hvmernle ist nicht örtliche Selbstverwaltung, sondern die Mündigkeits¬
erklärung einer Nation.

Die Bcschrünknngen, die Gladstone dem Dubliner Parlament auferlegen
will, sind im wesentlichen dieselbe« wie in der Bill von Es sind ihm
entzogen erstens: wie den Kolonien, alle Angelegenheiten, die das ganze Reich
angehn — äußere Angelegenheiten, Stellung der Krone, Heer und Flotte n. s. w.;
daneben aber zweitens: ohne einheitlichen Grundgedanken — wenn man nicht das
geheime Mißtrauen, von dem Gladstone gegen sein eignes Kind beseelt ist, einen
solchen nennen will — eine Reihe von Gegenständen, deren Vorenthaltung sich
keine Kolonie auch uur einen Tag gefallen ließe, nämlich die Handels-, Zoll-,
Maß- und Wührnngspvlitik, die Kirchen- und Schulpolitik, Eingriffe in die
Rechte bestehender Körperschaften und die Fischereirechte.

Die irische Nationalpartei hat sich alle diese Beschränkungen bereitwilligst
gefallen lassen; sie weiß wohl, daß ihr dasselbe Mittel, mit dem sie England
Hvmernle abgerungen hat, auch ferner bleibt, nämlich das Gewicht ihrer
Stimmen im Reichsparlamcnt, und sie weiß ferner, daß sie, wenn sie erst die
ausführende Gewalt in ihren Händen hat, alle diese Beschränkungen auf dem
Verwaltungswege unwirksam machen kaun.

Der einzige wirkliche Schutz, den die Bill von 1L»6 zu Gunsten der be¬
drohtesten Minderheit, der Grundbesitzer, enthielt, ist aus der heutigen Bill
verschwunden. Die agrarische Gesetzgebung bleibt dem Reichsparlament ans
drei Jahre vorbehalten, nach Ablauf dieser Galgenfrist werden die irischen
Grundbesitzer mit Hand und Fuß einem Parlament ausgeliefert, das von den
kleinen Pächtern und Bauern — seit Jahrhunderten ihren erbitterten Tod¬
feinden — vvllstättdig beherrscht werden wird. Was das heißen will, versteht
man erst, wenn man bedenkt, daß, seit die grüne Insel durch ihre „sächsischen"
Nachbarn erobert wurde, was die Begründung einer fremden Grnndaristokratic
und die Einführung eines den irischen Rechtsanschauungen widersprechenden
Landsystems zur Folge hatte, die Iren gegen diese Grundbesitzer unaufhör¬
lich mit der ganzen Hartnäckigkeit und Grausamkeit eines Bauernvolks Krieg
geführt haben, wenn man weiter bedenkt, daß der Schrei: „Der irische Boden
für die Iren!" die wirklich belebende Kraft in der ganzen nationalen Bewegung
ist. Der irische Pächter ist feuriger Homeruler, weil er unter Hvmernle die
Vertreibung der Grundbesitzer und die Wegnahme ihres Landes zu seinen
Gunsten versteht. Seit der lluivu hat es nicht an Homerulebewegungen ge¬
fehlt; man denke an die Repcalbewegmig unter Daniel O'Connell und an die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/13>, abgerufen am 04.07.2024.