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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Indische Zustände

britcmnien irgend welchen Tribut als eine Folge und ein Zeichen seines ab¬
hängigen Verhältnisses, wie z. B. Ägypten an den Sultan. Natürlich werden
in Indien Steuern erhaben, so gut wie in England auch. Aber der Ertrag
wird nur auf die Verwaltung des eignen Landes verwendet, und die indischen
Staatsausgaben enthalten keinen Posten, der nicht für Indien selbst nötig er¬
achtet würde. Ob mittelbar die Interessen Indiens denen Großbritanniens
geopfert werden, haben wir an dieser Stelle nicht zu erörtern, aber die völker¬
rechtliche Stellung der Halbinsel ist nicht die eines eroberten Landes. Die
Proklamation vom 1. November 1858, durch die die Königin von England
die Negierung Indiens übernahm, enthüll die ausdrücklichen Worte: "Wir
halten uns mit den Eingebornen unsrer indischen Länder durch dieselben Bande
der Pflicht verbunden, die uns mit allen unsern andern Unterthanen ver¬
binden." Die Abhängigkeit Indiens von England äußert sich nur darin, daß
die großen Grundzüge der äußern und innern Politik Indiens in letzter In¬
stanz durch die Entscheidung des britischen Volks bestimmt werden; in allen
andern Beziehungen ist Ungko-Indien ein selbständiger Staat. Es hat als
solcher eine eigne Regierung, eigne Verwaltung, eignes Recht, eigne Finanzen
und ein eignes Heerwesen. Zwar besteht ein Teil seiner Armeen aus britischen
Regimentern, aber diese werden nur leihweise von England übernommen und
stehen für die Dauer ihres Aufenthalts auf der Halbinsel gänzlich unter der
indischen Regierung. Auch ist diese Regierung selbst, sowie alle Zweige der
Verwaltung, der Rechtspflege und des Heerwesens in den Händen von Eng¬
ländern, aber diese Engländer sind nicht englische, sondern indische Beamte,
und man muß ihnen zugestehen, daß sie sich auch als solche fühlen und sich
geberden. Das Wohlwollen und die Uneigennützigkeit, mit der diese Engländer
-- namentlich in den höhern Stellen -- für das Wohl der ihnen untergebnen
Millionen wirken, könnte nicht größer sein, wenn sie als englische Beamte ihre
Landsleute regierten, als sie jetzt ist, wo sie als Fremdlinge unter einem
Volk andern Blutes, andrer Sprache und andern Glaubens herrschen.

Es ist durchaus nicht der Zweck dieser Aufsätze, den Ruhm der Engländer
in irgend einer Weise zu schmälern. Die Briten haben auf dem Gebiete der
Erziehung fremder Volksmassen viel mehr geleistet, als irgend eine andre mo¬
derne Nation, und sind vollauf berechtigt, die segensreichen Wirkungen ihrer
Herrschaft in Indien mit den Erfolgen der Römer in den Ländern ihres Mittel¬
meerreiches zu vergleichen. Ein unbefangner Beobachter wird der Tapferkeit
und Kriegskunst, durch die Indien erobert worden ist, ebenso wenig seine An¬
erkennung versagen, wie der Uneigcnnütugkeit und Staatskunst, mit der es
regiert wird. Aber der unbefangne Beobachter wird anch erkennen, daß all
der Mut der britischen Truppen und all das Genie ihrer Generale Indien
nicht hätten erobern können, wenn ihnen nationale Kräfte entgegengetreten
wären, ja wenn ihnen nur die Unterstützung der Inder selbst gefehlt hätte;


Indische Zustände

britcmnien irgend welchen Tribut als eine Folge und ein Zeichen seines ab¬
hängigen Verhältnisses, wie z. B. Ägypten an den Sultan. Natürlich werden
in Indien Steuern erhaben, so gut wie in England auch. Aber der Ertrag
wird nur auf die Verwaltung des eignen Landes verwendet, und die indischen
Staatsausgaben enthalten keinen Posten, der nicht für Indien selbst nötig er¬
achtet würde. Ob mittelbar die Interessen Indiens denen Großbritanniens
geopfert werden, haben wir an dieser Stelle nicht zu erörtern, aber die völker¬
rechtliche Stellung der Halbinsel ist nicht die eines eroberten Landes. Die
Proklamation vom 1. November 1858, durch die die Königin von England
die Negierung Indiens übernahm, enthüll die ausdrücklichen Worte: „Wir
halten uns mit den Eingebornen unsrer indischen Länder durch dieselben Bande
der Pflicht verbunden, die uns mit allen unsern andern Unterthanen ver¬
binden." Die Abhängigkeit Indiens von England äußert sich nur darin, daß
die großen Grundzüge der äußern und innern Politik Indiens in letzter In¬
stanz durch die Entscheidung des britischen Volks bestimmt werden; in allen
andern Beziehungen ist Ungko-Indien ein selbständiger Staat. Es hat als
solcher eine eigne Regierung, eigne Verwaltung, eignes Recht, eigne Finanzen
und ein eignes Heerwesen. Zwar besteht ein Teil seiner Armeen aus britischen
Regimentern, aber diese werden nur leihweise von England übernommen und
stehen für die Dauer ihres Aufenthalts auf der Halbinsel gänzlich unter der
indischen Regierung. Auch ist diese Regierung selbst, sowie alle Zweige der
Verwaltung, der Rechtspflege und des Heerwesens in den Händen von Eng¬
ländern, aber diese Engländer sind nicht englische, sondern indische Beamte,
und man muß ihnen zugestehen, daß sie sich auch als solche fühlen und sich
geberden. Das Wohlwollen und die Uneigennützigkeit, mit der diese Engländer
— namentlich in den höhern Stellen — für das Wohl der ihnen untergebnen
Millionen wirken, könnte nicht größer sein, wenn sie als englische Beamte ihre
Landsleute regierten, als sie jetzt ist, wo sie als Fremdlinge unter einem
Volk andern Blutes, andrer Sprache und andern Glaubens herrschen.

Es ist durchaus nicht der Zweck dieser Aufsätze, den Ruhm der Engländer
in irgend einer Weise zu schmälern. Die Briten haben auf dem Gebiete der
Erziehung fremder Volksmassen viel mehr geleistet, als irgend eine andre mo¬
derne Nation, und sind vollauf berechtigt, die segensreichen Wirkungen ihrer
Herrschaft in Indien mit den Erfolgen der Römer in den Ländern ihres Mittel¬
meerreiches zu vergleichen. Ein unbefangner Beobachter wird der Tapferkeit
und Kriegskunst, durch die Indien erobert worden ist, ebenso wenig seine An¬
erkennung versagen, wie der Uneigcnnütugkeit und Staatskunst, mit der es
regiert wird. Aber der unbefangne Beobachter wird anch erkennen, daß all
der Mut der britischen Truppen und all das Genie ihrer Generale Indien
nicht hätten erobern können, wenn ihnen nationale Kräfte entgegengetreten
wären, ja wenn ihnen nur die Unterstützung der Inder selbst gefehlt hätte;


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[0126] Indische Zustände britcmnien irgend welchen Tribut als eine Folge und ein Zeichen seines ab¬ hängigen Verhältnisses, wie z. B. Ägypten an den Sultan. Natürlich werden in Indien Steuern erhaben, so gut wie in England auch. Aber der Ertrag wird nur auf die Verwaltung des eignen Landes verwendet, und die indischen Staatsausgaben enthalten keinen Posten, der nicht für Indien selbst nötig er¬ achtet würde. Ob mittelbar die Interessen Indiens denen Großbritanniens geopfert werden, haben wir an dieser Stelle nicht zu erörtern, aber die völker¬ rechtliche Stellung der Halbinsel ist nicht die eines eroberten Landes. Die Proklamation vom 1. November 1858, durch die die Königin von England die Negierung Indiens übernahm, enthüll die ausdrücklichen Worte: „Wir halten uns mit den Eingebornen unsrer indischen Länder durch dieselben Bande der Pflicht verbunden, die uns mit allen unsern andern Unterthanen ver¬ binden." Die Abhängigkeit Indiens von England äußert sich nur darin, daß die großen Grundzüge der äußern und innern Politik Indiens in letzter In¬ stanz durch die Entscheidung des britischen Volks bestimmt werden; in allen andern Beziehungen ist Ungko-Indien ein selbständiger Staat. Es hat als solcher eine eigne Regierung, eigne Verwaltung, eignes Recht, eigne Finanzen und ein eignes Heerwesen. Zwar besteht ein Teil seiner Armeen aus britischen Regimentern, aber diese werden nur leihweise von England übernommen und stehen für die Dauer ihres Aufenthalts auf der Halbinsel gänzlich unter der indischen Regierung. Auch ist diese Regierung selbst, sowie alle Zweige der Verwaltung, der Rechtspflege und des Heerwesens in den Händen von Eng¬ ländern, aber diese Engländer sind nicht englische, sondern indische Beamte, und man muß ihnen zugestehen, daß sie sich auch als solche fühlen und sich geberden. Das Wohlwollen und die Uneigennützigkeit, mit der diese Engländer — namentlich in den höhern Stellen — für das Wohl der ihnen untergebnen Millionen wirken, könnte nicht größer sein, wenn sie als englische Beamte ihre Landsleute regierten, als sie jetzt ist, wo sie als Fremdlinge unter einem Volk andern Blutes, andrer Sprache und andern Glaubens herrschen. Es ist durchaus nicht der Zweck dieser Aufsätze, den Ruhm der Engländer in irgend einer Weise zu schmälern. Die Briten haben auf dem Gebiete der Erziehung fremder Volksmassen viel mehr geleistet, als irgend eine andre mo¬ derne Nation, und sind vollauf berechtigt, die segensreichen Wirkungen ihrer Herrschaft in Indien mit den Erfolgen der Römer in den Ländern ihres Mittel¬ meerreiches zu vergleichen. Ein unbefangner Beobachter wird der Tapferkeit und Kriegskunst, durch die Indien erobert worden ist, ebenso wenig seine An¬ erkennung versagen, wie der Uneigcnnütugkeit und Staatskunst, mit der es regiert wird. Aber der unbefangne Beobachter wird anch erkennen, daß all der Mut der britischen Truppen und all das Genie ihrer Generale Indien nicht hätten erobern können, wenn ihnen nationale Kräfte entgegengetreten wären, ja wenn ihnen nur die Unterstützung der Inder selbst gefehlt hätte;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/126>, abgerufen am 30.06.2024.