Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin italienischer Katholik über die Freiheit

auf soviel Einkommen, als dazu nötig ist, seine Fähigkeiten zum Wohle der
Gesamtheit wirksam zu machen. Ähnlich faßt Wundt die Sache auf; nur daß
er, was in dieser Beziehung die Gerechtigkeit fordert, für der Hauptsache nach
schon erreicht ansieht. Er schreibt in seiner Ethik, S. 166: "Da der Lohn
kein Äquivalent der Arbeit ist, sondern ein Ersatz der zur Arbeit erforderlichen
Lebensbedürfnisse, so richtet sich die Hohe desselben in erster Linie nach dem
Maß dieser Bedürfnisse, nicht nach dein Wert oder gar nach dein Umfang der
Arbeit. Der Minister bezieht einen höhern Gehalt als sein Schreiber, der
Gelehrte wird sür seine Leistungen besser bezahlt als der Taglöhner ^doch nur,
wenn er ein Staatsamt erlangt oder einen Privnttaufer findet, der feine Ware
würdigt, was oft genng nicht der Fall ist^, nicht weil die Leistungen der erster"
an sich wertvollere ^lo^ sind, sondern weil sie eine kostspieligere Form der
Lebensführung notwendig machen. Auch hier bestätigt sich aber wieder die
Regel, daß die erreichten Zwecke nicht zugleich die treibenden Motive sind. An
der Aufgabe, den Lohn nach den durch die Beschaffenheit der Arbeit geforderten
Lebensbedürfnissen zu messen, würde der verwickeltste Verwaltungsorgauismus
scheitern. Aus den Lebensbedingungen ergiebt sich das Resultat ^ergiebt sich
das Ergebnis!^ jener Ausgleichung von selber. Denn die höhere Form der
Arbeit setzt längere Borbildung, fortdauernde Anwendung reicherer Hilfsmittel,
also größern Lebensaufwand voraus. Die nämlichen Bedingungen bringen es
aber mit sich, daß die Befähigung zu der höhern Form der Arbeit eine ^
seltnere und daher auch gesuchtere ist, und daß nur die Aussicht auf eine
Lebensführung, die den zum Erwerb der erforderlichen Fähigkeiten gemachten Auf¬
wand lohnt, die Wettbewerbung anregt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das
Gleichgewicht zwischen Leistung und Bedürfnis auf diese Weise nicht vollständig
erreicht wird. Die Gesichtspunkte des augenblicklichen Nutzens, die Bedingungen
des Geschmacks und der Mode, vorübergehende populäre Vorurteile sind gerade
bei den höhern Formen der Arbeit oft genug entscheidender als der innere
Wert ihrer Leistungen. Gleichwohl vermag allein diese Selbstregulirnng der
Motive allmählich auch eine unabhängige Wertschätzung hervorzubringen, die
sich in zahlreichen kompensirendeu Einrichtungen bethätigt, die namentlich unter
dem Schutze der Staatsgewalt und zunächst für öffentliche Arbeitsleistungen
ius Leben treten. Schon gilt es als ein Mißbrauch, wenn M)!s der Staat
bei der Bezahlung seiner Beamten von der Rücksicht auf Angebot und Nachfrage
und nicht vielmehr von der unabhängigen Erwägung der durch das Amt ge¬
forderten Lebensführung sich leiten läßt; und daß die Einführung dieses Stand¬
punkts auch in den privaten Lvhnverkehr nur eine Frage der Zeit sein
kann, dürfte für den Einsichtigen, der aus der Vergangenheit die Zukunft zu
lesen versteht, keinen Zweifel leiden. Denn hier wie überall kann sich die
Aufgabe des Staates nicht darauf beschränken, daß er selbst Gerechtigkeit übt,
sondern er hat vor allem darüber zu wachen, daß von den einzelnen, die sich


Gin italienischer Katholik über die Freiheit

auf soviel Einkommen, als dazu nötig ist, seine Fähigkeiten zum Wohle der
Gesamtheit wirksam zu machen. Ähnlich faßt Wundt die Sache auf; nur daß
er, was in dieser Beziehung die Gerechtigkeit fordert, für der Hauptsache nach
schon erreicht ansieht. Er schreibt in seiner Ethik, S. 166: „Da der Lohn
kein Äquivalent der Arbeit ist, sondern ein Ersatz der zur Arbeit erforderlichen
Lebensbedürfnisse, so richtet sich die Hohe desselben in erster Linie nach dem
Maß dieser Bedürfnisse, nicht nach dein Wert oder gar nach dein Umfang der
Arbeit. Der Minister bezieht einen höhern Gehalt als sein Schreiber, der
Gelehrte wird sür seine Leistungen besser bezahlt als der Taglöhner ^doch nur,
wenn er ein Staatsamt erlangt oder einen Privnttaufer findet, der feine Ware
würdigt, was oft genng nicht der Fall ist^, nicht weil die Leistungen der erster»
an sich wertvollere ^lo^ sind, sondern weil sie eine kostspieligere Form der
Lebensführung notwendig machen. Auch hier bestätigt sich aber wieder die
Regel, daß die erreichten Zwecke nicht zugleich die treibenden Motive sind. An
der Aufgabe, den Lohn nach den durch die Beschaffenheit der Arbeit geforderten
Lebensbedürfnissen zu messen, würde der verwickeltste Verwaltungsorgauismus
scheitern. Aus den Lebensbedingungen ergiebt sich das Resultat ^ergiebt sich
das Ergebnis!^ jener Ausgleichung von selber. Denn die höhere Form der
Arbeit setzt längere Borbildung, fortdauernde Anwendung reicherer Hilfsmittel,
also größern Lebensaufwand voraus. Die nämlichen Bedingungen bringen es
aber mit sich, daß die Befähigung zu der höhern Form der Arbeit eine ^
seltnere und daher auch gesuchtere ist, und daß nur die Aussicht auf eine
Lebensführung, die den zum Erwerb der erforderlichen Fähigkeiten gemachten Auf¬
wand lohnt, die Wettbewerbung anregt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das
Gleichgewicht zwischen Leistung und Bedürfnis auf diese Weise nicht vollständig
erreicht wird. Die Gesichtspunkte des augenblicklichen Nutzens, die Bedingungen
des Geschmacks und der Mode, vorübergehende populäre Vorurteile sind gerade
bei den höhern Formen der Arbeit oft genug entscheidender als der innere
Wert ihrer Leistungen. Gleichwohl vermag allein diese Selbstregulirnng der
Motive allmählich auch eine unabhängige Wertschätzung hervorzubringen, die
sich in zahlreichen kompensirendeu Einrichtungen bethätigt, die namentlich unter
dem Schutze der Staatsgewalt und zunächst für öffentliche Arbeitsleistungen
ius Leben treten. Schon gilt es als ein Mißbrauch, wenn M)!s der Staat
bei der Bezahlung seiner Beamten von der Rücksicht auf Angebot und Nachfrage
und nicht vielmehr von der unabhängigen Erwägung der durch das Amt ge¬
forderten Lebensführung sich leiten läßt; und daß die Einführung dieses Stand¬
punkts auch in den privaten Lvhnverkehr nur eine Frage der Zeit sein
kann, dürfte für den Einsichtigen, der aus der Vergangenheit die Zukunft zu
lesen versteht, keinen Zweifel leiden. Denn hier wie überall kann sich die
Aufgabe des Staates nicht darauf beschränken, daß er selbst Gerechtigkeit übt,
sondern er hat vor allem darüber zu wachen, daß von den einzelnen, die sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215843"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin italienischer Katholik über die Freiheit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_324" prev="#ID_323" next="#ID_325"> auf soviel Einkommen, als dazu nötig ist, seine Fähigkeiten zum Wohle der<lb/>
Gesamtheit wirksam zu machen. Ähnlich faßt Wundt die Sache auf; nur daß<lb/>
er, was in dieser Beziehung die Gerechtigkeit fordert, für der Hauptsache nach<lb/>
schon erreicht ansieht. Er schreibt in seiner Ethik, S. 166: &#x201E;Da der Lohn<lb/>
kein Äquivalent der Arbeit ist, sondern ein Ersatz der zur Arbeit erforderlichen<lb/>
Lebensbedürfnisse, so richtet sich die Hohe desselben in erster Linie nach dem<lb/>
Maß dieser Bedürfnisse, nicht nach dein Wert oder gar nach dein Umfang der<lb/>
Arbeit. Der Minister bezieht einen höhern Gehalt als sein Schreiber, der<lb/>
Gelehrte wird sür seine Leistungen besser bezahlt als der Taglöhner ^doch nur,<lb/>
wenn er ein Staatsamt erlangt oder einen Privnttaufer findet, der feine Ware<lb/>
würdigt, was oft genng nicht der Fall ist^, nicht weil die Leistungen der erster»<lb/>
an sich wertvollere ^lo^ sind, sondern weil sie eine kostspieligere Form der<lb/>
Lebensführung notwendig machen. Auch hier bestätigt sich aber wieder die<lb/>
Regel, daß die erreichten Zwecke nicht zugleich die treibenden Motive sind. An<lb/>
der Aufgabe, den Lohn nach den durch die Beschaffenheit der Arbeit geforderten<lb/>
Lebensbedürfnissen zu messen, würde der verwickeltste Verwaltungsorgauismus<lb/>
scheitern. Aus den Lebensbedingungen ergiebt sich das Resultat ^ergiebt sich<lb/>
das Ergebnis!^ jener Ausgleichung von selber. Denn die höhere Form der<lb/>
Arbeit setzt längere Borbildung, fortdauernde Anwendung reicherer Hilfsmittel,<lb/>
also größern Lebensaufwand voraus. Die nämlichen Bedingungen bringen es<lb/>
aber mit sich, daß die Befähigung zu der höhern Form der Arbeit eine ^<lb/>
seltnere und daher auch gesuchtere ist, und daß nur die Aussicht auf eine<lb/>
Lebensführung, die den zum Erwerb der erforderlichen Fähigkeiten gemachten Auf¬<lb/>
wand lohnt, die Wettbewerbung anregt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das<lb/>
Gleichgewicht zwischen Leistung und Bedürfnis auf diese Weise nicht vollständig<lb/>
erreicht wird. Die Gesichtspunkte des augenblicklichen Nutzens, die Bedingungen<lb/>
des Geschmacks und der Mode, vorübergehende populäre Vorurteile sind gerade<lb/>
bei den höhern Formen der Arbeit oft genug entscheidender als der innere<lb/>
Wert ihrer Leistungen. Gleichwohl vermag allein diese Selbstregulirnng der<lb/>
Motive allmählich auch eine unabhängige Wertschätzung hervorzubringen, die<lb/>
sich in zahlreichen kompensirendeu Einrichtungen bethätigt, die namentlich unter<lb/>
dem Schutze der Staatsgewalt und zunächst für öffentliche Arbeitsleistungen<lb/>
ius Leben treten. Schon gilt es als ein Mißbrauch, wenn M)!s der Staat<lb/>
bei der Bezahlung seiner Beamten von der Rücksicht auf Angebot und Nachfrage<lb/>
und nicht vielmehr von der unabhängigen Erwägung der durch das Amt ge¬<lb/>
forderten Lebensführung sich leiten läßt; und daß die Einführung dieses Stand¬<lb/>
punkts auch in den privaten Lvhnverkehr nur eine Frage der Zeit sein<lb/>
kann, dürfte für den Einsichtigen, der aus der Vergangenheit die Zukunft zu<lb/>
lesen versteht, keinen Zweifel leiden. Denn hier wie überall kann sich die<lb/>
Aufgabe des Staates nicht darauf beschränken, daß er selbst Gerechtigkeit übt,<lb/>
sondern er hat vor allem darüber zu wachen, daß von den einzelnen, die sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] Gin italienischer Katholik über die Freiheit auf soviel Einkommen, als dazu nötig ist, seine Fähigkeiten zum Wohle der Gesamtheit wirksam zu machen. Ähnlich faßt Wundt die Sache auf; nur daß er, was in dieser Beziehung die Gerechtigkeit fordert, für der Hauptsache nach schon erreicht ansieht. Er schreibt in seiner Ethik, S. 166: „Da der Lohn kein Äquivalent der Arbeit ist, sondern ein Ersatz der zur Arbeit erforderlichen Lebensbedürfnisse, so richtet sich die Hohe desselben in erster Linie nach dem Maß dieser Bedürfnisse, nicht nach dein Wert oder gar nach dein Umfang der Arbeit. Der Minister bezieht einen höhern Gehalt als sein Schreiber, der Gelehrte wird sür seine Leistungen besser bezahlt als der Taglöhner ^doch nur, wenn er ein Staatsamt erlangt oder einen Privnttaufer findet, der feine Ware würdigt, was oft genng nicht der Fall ist^, nicht weil die Leistungen der erster» an sich wertvollere ^lo^ sind, sondern weil sie eine kostspieligere Form der Lebensführung notwendig machen. Auch hier bestätigt sich aber wieder die Regel, daß die erreichten Zwecke nicht zugleich die treibenden Motive sind. An der Aufgabe, den Lohn nach den durch die Beschaffenheit der Arbeit geforderten Lebensbedürfnissen zu messen, würde der verwickeltste Verwaltungsorgauismus scheitern. Aus den Lebensbedingungen ergiebt sich das Resultat ^ergiebt sich das Ergebnis!^ jener Ausgleichung von selber. Denn die höhere Form der Arbeit setzt längere Borbildung, fortdauernde Anwendung reicherer Hilfsmittel, also größern Lebensaufwand voraus. Die nämlichen Bedingungen bringen es aber mit sich, daß die Befähigung zu der höhern Form der Arbeit eine ^ seltnere und daher auch gesuchtere ist, und daß nur die Aussicht auf eine Lebensführung, die den zum Erwerb der erforderlichen Fähigkeiten gemachten Auf¬ wand lohnt, die Wettbewerbung anregt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Gleichgewicht zwischen Leistung und Bedürfnis auf diese Weise nicht vollständig erreicht wird. Die Gesichtspunkte des augenblicklichen Nutzens, die Bedingungen des Geschmacks und der Mode, vorübergehende populäre Vorurteile sind gerade bei den höhern Formen der Arbeit oft genug entscheidender als der innere Wert ihrer Leistungen. Gleichwohl vermag allein diese Selbstregulirnng der Motive allmählich auch eine unabhängige Wertschätzung hervorzubringen, die sich in zahlreichen kompensirendeu Einrichtungen bethätigt, die namentlich unter dem Schutze der Staatsgewalt und zunächst für öffentliche Arbeitsleistungen ius Leben treten. Schon gilt es als ein Mißbrauch, wenn M)!s der Staat bei der Bezahlung seiner Beamten von der Rücksicht auf Angebot und Nachfrage und nicht vielmehr von der unabhängigen Erwägung der durch das Amt ge¬ forderten Lebensführung sich leiten läßt; und daß die Einführung dieses Stand¬ punkts auch in den privaten Lvhnverkehr nur eine Frage der Zeit sein kann, dürfte für den Einsichtigen, der aus der Vergangenheit die Zukunft zu lesen versteht, keinen Zweifel leiden. Denn hier wie überall kann sich die Aufgabe des Staates nicht darauf beschränken, daß er selbst Gerechtigkeit übt, sondern er hat vor allem darüber zu wachen, daß von den einzelnen, die sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/119
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/119>, abgerufen am 22.07.2024.