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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Gin italienischer Aatholik über die Freiheit

oder gar irgend eines Urahnen belohnen zu wollen.") Noch dcizn bestehen die
angeblich rühmlichen Handlungen, die das Adelsvorrecht begründen sollen, in
weiter nichts als in wüsten Raufereien, in Diebstahl und Raub und in schänd¬
lichen Gewaltthaten. Und wie der Adel aus Unrecht und Laster hervor¬
gegangen ist, so ist sein ganzes Dasein eine einzige große Sünde. Denn die
eingebildeten Vorzüge, die er sich anmaßt, überheben ihn der Notwendigkeit,
sich wirkliche Vorzüge zu erwerben, und so verachtet er denn Kunst und Wissen¬
schaft, bringt sein Leben mit eitlem Zeitvertreib und der Pflege hohler Formen
zu und ergiebt sich dem Müßiggang, der aller Laster Anfang ist, sodaß jeder
Schuhputzer und Straßenkehrer, die ja beide sehr nützliche Glieder der mensch¬
lichen Gesellschaft sind, sür edler angesehen werden muß als ein durchschnitt¬
licher Aristokrat. Durch seine Schlechtigkeit die französische Revolution herbei¬
geführt zu haben, das ist so ziemlich das einzige Verdienst, dessen sich der Adel
des europäischen Festlands rühmen darf.

Wiederherstellung des patriarchalische!! Regiments wird es also nicht sein,
was Cenni als Heilmittel gegen die sozialen Übel empfiehlt. Hören wir denn,
was er besseres weiß. Da die Freiheit, so folgert er, die Fähigkeit des Willens
ist, sich seinem Ziele, dem Besitze des höchsten Gutes, entgcgenznbewegen, aus
der Freiheit aber die Pflicht entspringt, und aus der Pflicht das Recht auf
irdische Güter, als die Mittel zur Erreichung des Zieles, so folgt daraus,
daß die Pflicht den Maßstab für die Rechte abgiebt, und daß es sündhafte
Begierde ist, wenn der Wille etwas verlangt, dessen er zur Pflichterfüllung
nicht bedarf. Die nur auf Befriedigung der Sinnlichkeit, nicht auf einen ver¬
nünftigen Zweck gerichtete Begierde hat also keine Berechtigung, ist vielmehr
die Quelle aller persönlichen und sozialen Übel. Demnach sind die Sozialisten,
denen es ja nur darum zu thun ist, sich eine größere Menge von Genüssen
zu verschaffen, durchaus im Unrecht. Indem sie nicht von der Idee der wahren
Freiheit und von der Pflicht ausgehen, fälschen sie die Idee des Rechts. Jeder,
so sagen sie, habe ein Recht auf einen Platz beim Bankett des Lebens, das
heißt also, jeder habe ein Recht ans so viel Genuß, wie jeder andre, das folge
aus der ursprünglichen Gleichberechtigung aller Menschen. Und so verführe,?
sie denn ein endloses Gerede von den Rechten der besitzlosen Klassen, ohne
diese Rechte genau anzugeben, nur daß im allgemeinen das Recht auf ma߬
losen Genuß gemeint und von einigen das Recht, die Besitzenden zu berauben,
geltend gemacht wird. So läuft der Sozialismus darauf hinaus, daß an die
Stelle der bisherigen privilegirten Klassen die neue privilegirte Klasse der
Proletarier treten und das Recht haben soll, ihre frühern Unterdrücker zu unter¬
drücken. Die wahre Idee der Freiheit aber zerstört dieses Privilegium, das



Wie schlecht sich mit solchem einseitigen und übertriebnen Individualismus das christ¬
liche Dogma von der Erbsünde verträgt, daran hat Cenni wohl nicht gedacht.
Gin italienischer Aatholik über die Freiheit

oder gar irgend eines Urahnen belohnen zu wollen.") Noch dcizn bestehen die
angeblich rühmlichen Handlungen, die das Adelsvorrecht begründen sollen, in
weiter nichts als in wüsten Raufereien, in Diebstahl und Raub und in schänd¬
lichen Gewaltthaten. Und wie der Adel aus Unrecht und Laster hervor¬
gegangen ist, so ist sein ganzes Dasein eine einzige große Sünde. Denn die
eingebildeten Vorzüge, die er sich anmaßt, überheben ihn der Notwendigkeit,
sich wirkliche Vorzüge zu erwerben, und so verachtet er denn Kunst und Wissen¬
schaft, bringt sein Leben mit eitlem Zeitvertreib und der Pflege hohler Formen
zu und ergiebt sich dem Müßiggang, der aller Laster Anfang ist, sodaß jeder
Schuhputzer und Straßenkehrer, die ja beide sehr nützliche Glieder der mensch¬
lichen Gesellschaft sind, sür edler angesehen werden muß als ein durchschnitt¬
licher Aristokrat. Durch seine Schlechtigkeit die französische Revolution herbei¬
geführt zu haben, das ist so ziemlich das einzige Verdienst, dessen sich der Adel
des europäischen Festlands rühmen darf.

Wiederherstellung des patriarchalische!! Regiments wird es also nicht sein,
was Cenni als Heilmittel gegen die sozialen Übel empfiehlt. Hören wir denn,
was er besseres weiß. Da die Freiheit, so folgert er, die Fähigkeit des Willens
ist, sich seinem Ziele, dem Besitze des höchsten Gutes, entgcgenznbewegen, aus
der Freiheit aber die Pflicht entspringt, und aus der Pflicht das Recht auf
irdische Güter, als die Mittel zur Erreichung des Zieles, so folgt daraus,
daß die Pflicht den Maßstab für die Rechte abgiebt, und daß es sündhafte
Begierde ist, wenn der Wille etwas verlangt, dessen er zur Pflichterfüllung
nicht bedarf. Die nur auf Befriedigung der Sinnlichkeit, nicht auf einen ver¬
nünftigen Zweck gerichtete Begierde hat also keine Berechtigung, ist vielmehr
die Quelle aller persönlichen und sozialen Übel. Demnach sind die Sozialisten,
denen es ja nur darum zu thun ist, sich eine größere Menge von Genüssen
zu verschaffen, durchaus im Unrecht. Indem sie nicht von der Idee der wahren
Freiheit und von der Pflicht ausgehen, fälschen sie die Idee des Rechts. Jeder,
so sagen sie, habe ein Recht auf einen Platz beim Bankett des Lebens, das
heißt also, jeder habe ein Recht ans so viel Genuß, wie jeder andre, das folge
aus der ursprünglichen Gleichberechtigung aller Menschen. Und so verführe,?
sie denn ein endloses Gerede von den Rechten der besitzlosen Klassen, ohne
diese Rechte genau anzugeben, nur daß im allgemeinen das Recht auf ma߬
losen Genuß gemeint und von einigen das Recht, die Besitzenden zu berauben,
geltend gemacht wird. So läuft der Sozialismus darauf hinaus, daß an die
Stelle der bisherigen privilegirten Klassen die neue privilegirte Klasse der
Proletarier treten und das Recht haben soll, ihre frühern Unterdrücker zu unter¬
drücken. Die wahre Idee der Freiheit aber zerstört dieses Privilegium, das



Wie schlecht sich mit solchem einseitigen und übertriebnen Individualismus das christ¬
liche Dogma von der Erbsünde verträgt, daran hat Cenni wohl nicht gedacht.
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[0114] Gin italienischer Aatholik über die Freiheit oder gar irgend eines Urahnen belohnen zu wollen.") Noch dcizn bestehen die angeblich rühmlichen Handlungen, die das Adelsvorrecht begründen sollen, in weiter nichts als in wüsten Raufereien, in Diebstahl und Raub und in schänd¬ lichen Gewaltthaten. Und wie der Adel aus Unrecht und Laster hervor¬ gegangen ist, so ist sein ganzes Dasein eine einzige große Sünde. Denn die eingebildeten Vorzüge, die er sich anmaßt, überheben ihn der Notwendigkeit, sich wirkliche Vorzüge zu erwerben, und so verachtet er denn Kunst und Wissen¬ schaft, bringt sein Leben mit eitlem Zeitvertreib und der Pflege hohler Formen zu und ergiebt sich dem Müßiggang, der aller Laster Anfang ist, sodaß jeder Schuhputzer und Straßenkehrer, die ja beide sehr nützliche Glieder der mensch¬ lichen Gesellschaft sind, sür edler angesehen werden muß als ein durchschnitt¬ licher Aristokrat. Durch seine Schlechtigkeit die französische Revolution herbei¬ geführt zu haben, das ist so ziemlich das einzige Verdienst, dessen sich der Adel des europäischen Festlands rühmen darf. Wiederherstellung des patriarchalische!! Regiments wird es also nicht sein, was Cenni als Heilmittel gegen die sozialen Übel empfiehlt. Hören wir denn, was er besseres weiß. Da die Freiheit, so folgert er, die Fähigkeit des Willens ist, sich seinem Ziele, dem Besitze des höchsten Gutes, entgcgenznbewegen, aus der Freiheit aber die Pflicht entspringt, und aus der Pflicht das Recht auf irdische Güter, als die Mittel zur Erreichung des Zieles, so folgt daraus, daß die Pflicht den Maßstab für die Rechte abgiebt, und daß es sündhafte Begierde ist, wenn der Wille etwas verlangt, dessen er zur Pflichterfüllung nicht bedarf. Die nur auf Befriedigung der Sinnlichkeit, nicht auf einen ver¬ nünftigen Zweck gerichtete Begierde hat also keine Berechtigung, ist vielmehr die Quelle aller persönlichen und sozialen Übel. Demnach sind die Sozialisten, denen es ja nur darum zu thun ist, sich eine größere Menge von Genüssen zu verschaffen, durchaus im Unrecht. Indem sie nicht von der Idee der wahren Freiheit und von der Pflicht ausgehen, fälschen sie die Idee des Rechts. Jeder, so sagen sie, habe ein Recht auf einen Platz beim Bankett des Lebens, das heißt also, jeder habe ein Recht ans so viel Genuß, wie jeder andre, das folge aus der ursprünglichen Gleichberechtigung aller Menschen. Und so verführe,? sie denn ein endloses Gerede von den Rechten der besitzlosen Klassen, ohne diese Rechte genau anzugeben, nur daß im allgemeinen das Recht auf ma߬ losen Genuß gemeint und von einigen das Recht, die Besitzenden zu berauben, geltend gemacht wird. So läuft der Sozialismus darauf hinaus, daß an die Stelle der bisherigen privilegirten Klassen die neue privilegirte Klasse der Proletarier treten und das Recht haben soll, ihre frühern Unterdrücker zu unter¬ drücken. Die wahre Idee der Freiheit aber zerstört dieses Privilegium, das Wie schlecht sich mit solchem einseitigen und übertriebnen Individualismus das christ¬ liche Dogma von der Erbsünde verträgt, daran hat Cenni wohl nicht gedacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/114>, abgerufen am 22.07.2024.