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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Politik aufgedeckt hat, und die in den kommenden Kämpfen die entscheidende
Rolle spielen werden. Ich meine die Frage, wie die Oberhoheit des Reichs-
Parlaments gewahrt werden soll, die Frage der irischen Vertretung in Westminster
und die Finanzfrage. Von diesen drei Fragen aus läßt sich auf den ganzen Geist,
aus dem Gladstones letztes Werk entsprungen ist, das schärfste Licht werfe".
Ihnen gegenüber treten die andern an sich wichtigen Punkte, wie die Zu¬
sammensetzung der irischen Gesetzgebung, die künftige Stellung der Beamten
und Richter in Irland, die Schaffung eines konstitutionelle" Gerichtshofs u. f. w.,
in den Hintergrund. Gelingt es Gladstone, in den genannten drei Fragen die
Zustimmung des Landes zu seinen Vorschlägen zu gewinnen, so ist der Erfolg
seiner Homerulepolitik gesichert. Die Regelung der übrigen Punkte ist denn
mehr eine Frage der bloßen Zweckmäßigkeit.

Um Gladstones Hvmerulcbill richtig zu verstehen, muß man im Auge be¬
halten, daß sie ein Kompromiß ist zwischen dem, was die irische Nationalpartei
wirklich will, nämlich Trennung aus dem Neichsverbaude oder mindestens
praktische Unabhängigkeit in der Art, wie sie die großen sich selbst regierenden
Kolomen genießen, und dem, was Gladstone seinen ergebensten britischen An¬
hängern zumuten konnte. Der einfache "Widerruf der Union," der mit der
Ausdehnung des Kvlvmalsystems auf Irland gleichbedeutend wäre, war un¬
möglich; die Union mußte, wenn nicht dem Wesen, so doch dem Namen nach
gewahrt bleiben. Die Homerulekonstitntion hatte also Bestandteile des Kolouial-
systems mit dem jetzigen System legislativer Union zu verquicken, und
diese Verquickung wurde vermittelt durch Zusätze föderativer Art. Aus dieser
Nerquickttug dreier ihrer Natur nach uuvereiubareu Systeme erklären sich
alle Ungereimtheiten der Gladstoneschen Bill, Ungereimtheiten, die gar keine
vernünftige Lösung zulassen. Gladstones Bill will eben das Unmögliche möglich
machen; sie will Irland ein Parlament geben, das praktisch unabhängig sein
soll -- ohne das wäre die Zustimmung der Iren nicht zu erreichen --, das
aber doch die Oberhoheit des Reichsparlaments nicht mindern und beeinträch¬
tigen soll -- darauf bestehen die englischen Homernler --, ein Parlament, das
die irische Exekutive ernennen und volle Gewalt haben soll, Gesetze zu
machen, das aber zugleich diese Gewalt nie in einer Weise brauchen soll,
die englischen Interessen widerspricht oder gegen die Minderheit in Irland,
die von der Mehrheit durch die breite Kluft eines andern Glaubens, einer
andern Abstammung und andrer geschichtlicher Erinnerungen getrennt ist, eine
Ungerechtigkeit in sich schlösse. Offenbar ein unlösbares Problem. Man kaun
einem den Pelz nicht waschen, ohne ihn naß zu machen.

Der Kern der Bill ist hente derselbe wie 1886; er ist ausgesprochen in
t? 2 und i? 5. Er besteht erstens in der Schöpfung eines national-irischen
Parlaments mit der Befugnis, in feinem Wirkungskreis unabhängig vom
Neichsparlament Gesetze zu machen "für den Frieden, die Ordnung und gu!e


Politik aufgedeckt hat, und die in den kommenden Kämpfen die entscheidende
Rolle spielen werden. Ich meine die Frage, wie die Oberhoheit des Reichs-
Parlaments gewahrt werden soll, die Frage der irischen Vertretung in Westminster
und die Finanzfrage. Von diesen drei Fragen aus läßt sich auf den ganzen Geist,
aus dem Gladstones letztes Werk entsprungen ist, das schärfste Licht werfe».
Ihnen gegenüber treten die andern an sich wichtigen Punkte, wie die Zu¬
sammensetzung der irischen Gesetzgebung, die künftige Stellung der Beamten
und Richter in Irland, die Schaffung eines konstitutionelle» Gerichtshofs u. f. w.,
in den Hintergrund. Gelingt es Gladstone, in den genannten drei Fragen die
Zustimmung des Landes zu seinen Vorschlägen zu gewinnen, so ist der Erfolg
seiner Homerulepolitik gesichert. Die Regelung der übrigen Punkte ist denn
mehr eine Frage der bloßen Zweckmäßigkeit.

Um Gladstones Hvmerulcbill richtig zu verstehen, muß man im Auge be¬
halten, daß sie ein Kompromiß ist zwischen dem, was die irische Nationalpartei
wirklich will, nämlich Trennung aus dem Neichsverbaude oder mindestens
praktische Unabhängigkeit in der Art, wie sie die großen sich selbst regierenden
Kolomen genießen, und dem, was Gladstone seinen ergebensten britischen An¬
hängern zumuten konnte. Der einfache „Widerruf der Union," der mit der
Ausdehnung des Kvlvmalsystems auf Irland gleichbedeutend wäre, war un¬
möglich; die Union mußte, wenn nicht dem Wesen, so doch dem Namen nach
gewahrt bleiben. Die Homerulekonstitntion hatte also Bestandteile des Kolouial-
systems mit dem jetzigen System legislativer Union zu verquicken, und
diese Verquickung wurde vermittelt durch Zusätze föderativer Art. Aus dieser
Nerquickttug dreier ihrer Natur nach uuvereiubareu Systeme erklären sich
alle Ungereimtheiten der Gladstoneschen Bill, Ungereimtheiten, die gar keine
vernünftige Lösung zulassen. Gladstones Bill will eben das Unmögliche möglich
machen; sie will Irland ein Parlament geben, das praktisch unabhängig sein
soll — ohne das wäre die Zustimmung der Iren nicht zu erreichen —, das
aber doch die Oberhoheit des Reichsparlaments nicht mindern und beeinträch¬
tigen soll — darauf bestehen die englischen Homernler —, ein Parlament, das
die irische Exekutive ernennen und volle Gewalt haben soll, Gesetze zu
machen, das aber zugleich diese Gewalt nie in einer Weise brauchen soll,
die englischen Interessen widerspricht oder gegen die Minderheit in Irland,
die von der Mehrheit durch die breite Kluft eines andern Glaubens, einer
andern Abstammung und andrer geschichtlicher Erinnerungen getrennt ist, eine
Ungerechtigkeit in sich schlösse. Offenbar ein unlösbares Problem. Man kaun
einem den Pelz nicht waschen, ohne ihn naß zu machen.

Der Kern der Bill ist hente derselbe wie 1886; er ist ausgesprochen in
t? 2 und i? 5. Er besteht erstens in der Schöpfung eines national-irischen
Parlaments mit der Befugnis, in feinem Wirkungskreis unabhängig vom
Neichsparlament Gesetze zu machen „für den Frieden, die Ordnung und gu!e


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/11>, abgerufen am 02.07.2024.