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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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selten mit größerm Gleichmut und vollkommnerer Sicherheit verwerfen können,
und zwar aus einem einfachen Grunde. In der Verwerfung der Homerule-
bill hat es sich nicht durch Staudesiuteressen bestimmen lassen, sondern einfach
seine oberste konstitutionelle Pflicht erfüllt, es hat übereilte Gesetzgebung in
einer wichtigen Frage unmöglich gemacht und für früher oder später eine Be¬
rufung an die letzte Instanz, das wahlberechtigte Volk erzwungen. Die Lords
verabscheuen allerdings die Homerulepvlitik im ganzen wie im einzelnen, und sie
haben in der viertägiger Debatte aus dieser Abneigung kein Hehl gemacht.
Ihre ersten Redner haben aber ihre ablehnende Stimme nicht so sehr damit,
als mit folgenden zwei Gründen gerechtfertigt. Erstens: die Homernlebill, die
eine Umgestaltung der ganzen britischen Konstitution einschließt, ist den Wählern
nie zur Genehmigung oder Verwerfung vorgelegt worden. Gladstone hat sich
vor den letzten Wahlen und in der That seit seiner Niederlage im Jahre 1886
auf allgemeine Phrasen beschränkt und den Wählern wohlweislich die Einzelheiten
seines Plans vorenthalten. Es ist die Pflicht des Oberhauses, diese Ver¬
schwörung des Schweigens zu durchkreuzen und keine Homernlebill durchgehen
zu lassen, die nicht ausdrücklich von der Mehrheit der Wähler genehmigt ist.
Zweitens: Die Homernlebill bezweckt die Umgestaltung der Union zwischen
Großbritannien und Irland; eine solche Umgestaltung ist nur unter der Zu¬
stimmung der beiden ursprünglichen Vertragschließenden gerechtfertigt. Gladstone
kann aber für seine Pläne nur auf eine Mehrheit in Irland hinweisen. Da¬
gegen hat sich Großbritannien mit einer Mehrheit von fünfzehn Stimmen und
England, das wichtigste Land der Union, gar mit einer Mehrheit von einund¬
siebzig Stimmen gegen ihn ausgesprochen. Es ist kein Zweifel, daß das Oberhaus
jede Homernlebill verwerfen wird, solange Gladstone diesen zwei Bedingungen
nicht gerecht geworden ist, und, was mehr ist, daß es dies thun kaun,
ohne eine gefährliche, sein Bestehen bedrohende Bewegung zu entfesseln. Das
Oberhaus kaun Gladstone in der That dankbar sein sür seine Homerulepolitik.
Sie hat seine Notwendigkeit als eine konstitutionelle Macht besser dargethan, als
es hundert konservative Regierungen hätten thun können, sie hat damit gegen¬
über dem radikale" Geschrei uach einem Einkammershstem seine Stellung ge¬
waltig gestärkt und ihm ergebne Freunde und Verteidiger in Kreisen geschaffen,
die es früher als "archaistisches Überbleibsel" verhöhnten und verspotteten.
Sollte die Homernlebill je Gesetz werden, so würde das Oberhaus nur eine
weitere Stärkung seines Ansehens erfahren; es übernähme dann ohne Zweifel
die dankbare Rolle eines Verteidigers der britischen Mehrheit, die Gladstone
durch seine irische Hilfstruppe in eine Minderheit verwandelte, und es ließe
kein britisches Gesetz durch, das dieser britischen Mehrheit in dieser Weise auf-
gezwungen würde.

Ich möchte mich im folgenden auf die Erörterung der drei Punkte be¬
schränken, in denen die Debatte der letzten Monate den Kern der Homerule-


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selten mit größerm Gleichmut und vollkommnerer Sicherheit verwerfen können,
und zwar aus einem einfachen Grunde. In der Verwerfung der Homerule-
bill hat es sich nicht durch Staudesiuteressen bestimmen lassen, sondern einfach
seine oberste konstitutionelle Pflicht erfüllt, es hat übereilte Gesetzgebung in
einer wichtigen Frage unmöglich gemacht und für früher oder später eine Be¬
rufung an die letzte Instanz, das wahlberechtigte Volk erzwungen. Die Lords
verabscheuen allerdings die Homerulepvlitik im ganzen wie im einzelnen, und sie
haben in der viertägiger Debatte aus dieser Abneigung kein Hehl gemacht.
Ihre ersten Redner haben aber ihre ablehnende Stimme nicht so sehr damit,
als mit folgenden zwei Gründen gerechtfertigt. Erstens: die Homernlebill, die
eine Umgestaltung der ganzen britischen Konstitution einschließt, ist den Wählern
nie zur Genehmigung oder Verwerfung vorgelegt worden. Gladstone hat sich
vor den letzten Wahlen und in der That seit seiner Niederlage im Jahre 1886
auf allgemeine Phrasen beschränkt und den Wählern wohlweislich die Einzelheiten
seines Plans vorenthalten. Es ist die Pflicht des Oberhauses, diese Ver¬
schwörung des Schweigens zu durchkreuzen und keine Homernlebill durchgehen
zu lassen, die nicht ausdrücklich von der Mehrheit der Wähler genehmigt ist.
Zweitens: Die Homernlebill bezweckt die Umgestaltung der Union zwischen
Großbritannien und Irland; eine solche Umgestaltung ist nur unter der Zu¬
stimmung der beiden ursprünglichen Vertragschließenden gerechtfertigt. Gladstone
kann aber für seine Pläne nur auf eine Mehrheit in Irland hinweisen. Da¬
gegen hat sich Großbritannien mit einer Mehrheit von fünfzehn Stimmen und
England, das wichtigste Land der Union, gar mit einer Mehrheit von einund¬
siebzig Stimmen gegen ihn ausgesprochen. Es ist kein Zweifel, daß das Oberhaus
jede Homernlebill verwerfen wird, solange Gladstone diesen zwei Bedingungen
nicht gerecht geworden ist, und, was mehr ist, daß es dies thun kaun,
ohne eine gefährliche, sein Bestehen bedrohende Bewegung zu entfesseln. Das
Oberhaus kaun Gladstone in der That dankbar sein sür seine Homerulepolitik.
Sie hat seine Notwendigkeit als eine konstitutionelle Macht besser dargethan, als
es hundert konservative Regierungen hätten thun können, sie hat damit gegen¬
über dem radikale» Geschrei uach einem Einkammershstem seine Stellung ge¬
waltig gestärkt und ihm ergebne Freunde und Verteidiger in Kreisen geschaffen,
die es früher als „archaistisches Überbleibsel" verhöhnten und verspotteten.
Sollte die Homernlebill je Gesetz werden, so würde das Oberhaus nur eine
weitere Stärkung seines Ansehens erfahren; es übernähme dann ohne Zweifel
die dankbare Rolle eines Verteidigers der britischen Mehrheit, die Gladstone
durch seine irische Hilfstruppe in eine Minderheit verwandelte, und es ließe
kein britisches Gesetz durch, das dieser britischen Mehrheit in dieser Weise auf-
gezwungen würde.

Ich möchte mich im folgenden auf die Erörterung der drei Punkte be¬
schränken, in denen die Debatte der letzten Monate den Kern der Homerule-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/10>, abgerufen am 30.06.2024.