Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.Litteratur ficht, daß er in diesem Falle entweder an seinem Evangelium oder an der Menschen- Der Verfasser eines theologischen Werkes hätte vielleicht das Recht, den Gegen¬ Sentimentale Schilderungen fordert man allerdings nicht vom Geschichtschreiber, Der Verfasser hat vollkommen Recht: die amerikanischen Jesuiten haben weder Litteratur ficht, daß er in diesem Falle entweder an seinem Evangelium oder an der Menschen- Der Verfasser eines theologischen Werkes hätte vielleicht das Recht, den Gegen¬ Sentimentale Schilderungen fordert man allerdings nicht vom Geschichtschreiber, Der Verfasser hat vollkommen Recht: die amerikanischen Jesuiten haben weder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215827"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_282" prev="#ID_281"> ficht, daß er in diesem Falle entweder an seinem Evangelium oder an der Menschen-<lb/> natur der Indianer irre geworden sein würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_283"> Der Verfasser eines theologischen Werkes hätte vielleicht das Recht, den Gegen¬<lb/> stand vom Standpunkte und in der Weise Pfotenhaners zu behandeln, und jeden¬<lb/> falls ginge uns sein Buch nichts um. Aber da wir es hier mit einem geographisch-<lb/> historischen Werke zu thun haben, so müssen wir doch noch ein paar in unsern<lb/> Unger besonders häßliche Verstoße gegen die Gesetze der Wissenschaft ausdrücklich<lb/> rügen. Nicht wenige Autoren — schreibt der Verfasser til, 353 — haben sich<lb/> gemüßigt gesehen, des längern in mehr oder weniger sentimentalen Ausführungen<lb/> die Vertreibung der Jesuiten zu erörtern, sie entschieden im Hinblick auf die In¬<lb/> dianer zu verurteilen und als politischen Fehler in Betreffs) kultureller (!) Ent-<lb/> wicklung Südamerikas zu brandmarken; ihnen allen fehlen die höhern, christlich-<lb/> fittlichen Gesichtspunkte, die allem hier maßgebend sind. Die Vertreibung der<lb/> Jesuiten kann nur recht gewürdigt werden unter dem Gesichtspunkte eines Gottes¬<lb/> gerichtes; ein Gottesgericht ist das Aufhören des Ordens und seiner Thätigkeit,<lb/> ein Gericht über den Orden, ein furchtbares über den indianischen Volkskörper in der<lb/> That." Das mag gut calvinisch gesprochen sein, evangelisch ist es nicht. „Richtet nicht<lb/> vor der Zeit, ehe der Herr kommt, der das im Finstern verborgne ans Licht bringen<lb/> und die geheimen Absichten der Herzen offenbar machen wird," schreibt Paulus<lb/> 1. Kor. 4, 5. Und der Historiker gar hütet sich sorgfältig, in den historischen Um¬<lb/> wälzungen Gottesgerichte zu sehen, denn was gestern unter lag, kann morgen oben<lb/> stehen, sodaß sich das Gericht gegen den Richtenden kehrt. Ist etwa die Aus¬<lb/> rottung des Protestantismus aus deu österreichischen Alpenländern und aus Böhme»<lb/> auch ein Gottesgericht gewesen?</p><lb/> <p xml:id="ID_284"> Sentimentale Schilderungen fordert man allerdings nicht vom Geschichtschreiber,<lb/> wohl aber Vollständigkeit, und um der läßts der Verfasser an dieser Stelle fehlen.<lb/> Zwar von den Indianern erzählt er weiter bis auf unsre Tage, die Geschichte der<lb/> Vertriebnen Jesuiten aber schließt er mit dem Satze: „In verhältnismäßig kurzer<lb/> -jeit waren alle Jesuiten gleich Gefangnen von den Kommissarien ans den Städten<lb/> und Reduktionen in die Gefängnisse von Buenos Ahres abgeführt und harrten der<lb/> Einschiffung mich Europa." Wenn mau die Geschichte eiues Verbrechers schreibt<lb/> — in den Auge» Pfotenhauers sind die Jesuiten große Verbrecher —, und dieser<lb/> Verbrecher hat seine Vergehungen mit schweren Strafen gebüßt, so fordert die<lb/> historische Gerechtigkeit, daß dem Leser auch nicht verschwiegen werde, was der<lb/> Mann erlitten und wie ers erlitten hat. Demnach war noch beizufügen, daß diese<lb/> Jesuiten zu Lissabon achtzehn Jahre lang, bis zu Pombals Sturz, in scheußlichen<lb/> Kerkern gelegen haben, ohne daß sie eiues Verbrechens angeklagt und gerichtlich<lb/> vernommen worden wären. Zwar kennen wir diese Thatsache nnr aus der Schrift<lb/> eiues Jesuiten, des l?. Dnhr, über Pombnl, aber da diese Schrift schon vor zwei<lb/> Jahren erschienen ist, und da den Berichten österreichischer Gesandten über diesen<lb/> Gegenstand, die Dnhr mitteilt, bis jetzt weder die Echtheit noch die Glaubwürdigkeit<lb/> abgestritten worden ist, so dünn man daran wohl nicht zweifeln. Und noch in<lb/> andrer Beziehung fällt sie ius Gewicht. Sie wirft ein eigentümliches Licht auf<lb/> den Charakter Pombals und auf die Glaubwürdigkeit seiner Staatsschriften, auf<lb/> die sich die Gegner der Jesuiten bis heute stützen, und die auch Pfoteuhauer, aller¬<lb/> dings nnr mäßig und mit Auswahl, beuutzt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_285"> Der Verfasser hat vollkommen Recht: die amerikanischen Jesuiten haben weder<lb/> die Missionsfrage noch die Kolonialfrage gelöst. Aber dieses Buch löst sie ebenso<lb/> wenig. Sie kauu nur durch Thaten gelöst werden, und ans diese Lösung warten wir.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Litteratur
ficht, daß er in diesem Falle entweder an seinem Evangelium oder an der Menschen-
natur der Indianer irre geworden sein würde.
Der Verfasser eines theologischen Werkes hätte vielleicht das Recht, den Gegen¬
stand vom Standpunkte und in der Weise Pfotenhaners zu behandeln, und jeden¬
falls ginge uns sein Buch nichts um. Aber da wir es hier mit einem geographisch-
historischen Werke zu thun haben, so müssen wir doch noch ein paar in unsern
Unger besonders häßliche Verstoße gegen die Gesetze der Wissenschaft ausdrücklich
rügen. Nicht wenige Autoren — schreibt der Verfasser til, 353 — haben sich
gemüßigt gesehen, des längern in mehr oder weniger sentimentalen Ausführungen
die Vertreibung der Jesuiten zu erörtern, sie entschieden im Hinblick auf die In¬
dianer zu verurteilen und als politischen Fehler in Betreffs) kultureller (!) Ent-
wicklung Südamerikas zu brandmarken; ihnen allen fehlen die höhern, christlich-
fittlichen Gesichtspunkte, die allem hier maßgebend sind. Die Vertreibung der
Jesuiten kann nur recht gewürdigt werden unter dem Gesichtspunkte eines Gottes¬
gerichtes; ein Gottesgericht ist das Aufhören des Ordens und seiner Thätigkeit,
ein Gericht über den Orden, ein furchtbares über den indianischen Volkskörper in der
That." Das mag gut calvinisch gesprochen sein, evangelisch ist es nicht. „Richtet nicht
vor der Zeit, ehe der Herr kommt, der das im Finstern verborgne ans Licht bringen
und die geheimen Absichten der Herzen offenbar machen wird," schreibt Paulus
1. Kor. 4, 5. Und der Historiker gar hütet sich sorgfältig, in den historischen Um¬
wälzungen Gottesgerichte zu sehen, denn was gestern unter lag, kann morgen oben
stehen, sodaß sich das Gericht gegen den Richtenden kehrt. Ist etwa die Aus¬
rottung des Protestantismus aus deu österreichischen Alpenländern und aus Böhme»
auch ein Gottesgericht gewesen?
Sentimentale Schilderungen fordert man allerdings nicht vom Geschichtschreiber,
wohl aber Vollständigkeit, und um der läßts der Verfasser an dieser Stelle fehlen.
Zwar von den Indianern erzählt er weiter bis auf unsre Tage, die Geschichte der
Vertriebnen Jesuiten aber schließt er mit dem Satze: „In verhältnismäßig kurzer
-jeit waren alle Jesuiten gleich Gefangnen von den Kommissarien ans den Städten
und Reduktionen in die Gefängnisse von Buenos Ahres abgeführt und harrten der
Einschiffung mich Europa." Wenn mau die Geschichte eiues Verbrechers schreibt
— in den Auge» Pfotenhauers sind die Jesuiten große Verbrecher —, und dieser
Verbrecher hat seine Vergehungen mit schweren Strafen gebüßt, so fordert die
historische Gerechtigkeit, daß dem Leser auch nicht verschwiegen werde, was der
Mann erlitten und wie ers erlitten hat. Demnach war noch beizufügen, daß diese
Jesuiten zu Lissabon achtzehn Jahre lang, bis zu Pombals Sturz, in scheußlichen
Kerkern gelegen haben, ohne daß sie eiues Verbrechens angeklagt und gerichtlich
vernommen worden wären. Zwar kennen wir diese Thatsache nnr aus der Schrift
eiues Jesuiten, des l?. Dnhr, über Pombnl, aber da diese Schrift schon vor zwei
Jahren erschienen ist, und da den Berichten österreichischer Gesandten über diesen
Gegenstand, die Dnhr mitteilt, bis jetzt weder die Echtheit noch die Glaubwürdigkeit
abgestritten worden ist, so dünn man daran wohl nicht zweifeln. Und noch in
andrer Beziehung fällt sie ius Gewicht. Sie wirft ein eigentümliches Licht auf
den Charakter Pombals und auf die Glaubwürdigkeit seiner Staatsschriften, auf
die sich die Gegner der Jesuiten bis heute stützen, und die auch Pfoteuhauer, aller¬
dings nnr mäßig und mit Auswahl, beuutzt hat.
Der Verfasser hat vollkommen Recht: die amerikanischen Jesuiten haben weder
die Missionsfrage noch die Kolonialfrage gelöst. Aber dieses Buch löst sie ebenso
wenig. Sie kauu nur durch Thaten gelöst werden, und ans diese Lösung warten wir.
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