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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Nickelprinzoßcheu

dieses Schmollen ging durch die Bemühungen der heitern Schiffsgesellschaft
bald in eine Art von Selbstironie und schließlich in ganz guten Humor
über, je mehr wir uns den Gestaden von Newyork näherten- Nun entstehen
ans dem Schiff unter einer einigermaßen muntern, von Seekrankheit verschonten
Gesellschaft leicht Spitznamen, da man sich anfangs, solange man den wirk¬
lichen Namen nicht kennt, schnell mit einem gemachten hilft. So war denn
der alte behäbige, graubürtige Mexikaner, der die Haifische studirte, bald zum
Haifischonkel geworden. Seine Philosophie hieß früher: Friß, oder du wirst
gefressen! Jetzt, ans dieser Fahrt, philosophirte er, nachdem er erst den Hai¬
fischen seinen Tribut bezahlt und sich dann wieder davon erholt hatte, folgender¬
maßen: "Sehen Sie die kleinen blauglänzenden, aalartigen Fischchen, die sich
dort auf den Seitenflossen des dicken grauen Ungetüms wiegen? Wie sie
heruntcrschlüpfen, sowie sich der Haifisch anschickt, nach meinen Apfelsinenstücken
im Wasser zu schnappen, und wie sie sich ihm wieder auf den Rucke" schmiegen,
sobald er ruhig dahinschwimmt! Sie lassen sich von ihm tragen und sind so
am besten vor ihm sicher! Sie sind nie vor ihm, immer ihm zur Seite oder
hinter ihm. Der Haifisch war ich früher, als ich noch etwas hatte, jetzt ge¬
höre ich zu den Begleitern." Nach und nach wurde er der Gemütlichsten einer.
Nur wollte er alles, was sich auf Haifische bezog, besser verstehe" und uns
immer gute Lehren geben, wenn wir vor Anker liegend hinten am Stern die
Haisischangel auswarfen. Seine treue Nichte sekundirte ihm dann, wenn er
von uns ausgelacht wurde, und hielt ihm die Stange.

Es war ihr nicht recht, daß sie hinter ihrem Rücken von uns das "Nickel-
prinzeßchen" genannt wurde, denn wenn auch ihr Privatvermögen durch den
Zusammenbruch ihres Onkels bei der Nickelspekulation ihres Stiefvaters nicht
angegriffen worden war und von dem Stiefvater während ihrer Unmündigkeit
verwaltet wurde, so wollte sie doch vou diesem und dem ganzen Nickel-
Handel, den sie um einmal verabscheute, nichts hören und behauptete einmal
ums andre, sie wüßte doch, daß sie und der Onkel es nicht lange in dem
kalten Deutschland aushalten würden, daß sie bald wieder nach ihrem son¬
nigen Mexiko zurückkehren würde, und sie bedauerte nur den Onkel, daß er
sich auf seine alten Tage noch den Strapazen dieser unnützen Reife unter¬
zogen hätte.

Am meisten aber von der ganzen Gesellschaft aus der Haupstadt Mexico
zog mich der deutsche Arzt und Kollege an, der, nachdem er sich genügend
Geld verdient hatte, um bequem leben zu können, nach Deutschland zurück¬
kehrte, um sich ganz besonders mit Bakteriologie und Hygieine zu beschäftigen,
mit der "Welthygieine," wie er sagte, denn die Hygieine sei eine internationale
Sache. Über den Gedanken an Reichsseuchengesetze lachte er. Giebt es Neichs-
seuchen? pflegte er zu fragen, wenn man ihn auf dieses Gespräch brachte.
Seuchen sind internationale Übel, und darum muß die Hygieine international


Das Nickelprinzoßcheu

dieses Schmollen ging durch die Bemühungen der heitern Schiffsgesellschaft
bald in eine Art von Selbstironie und schließlich in ganz guten Humor
über, je mehr wir uns den Gestaden von Newyork näherten- Nun entstehen
ans dem Schiff unter einer einigermaßen muntern, von Seekrankheit verschonten
Gesellschaft leicht Spitznamen, da man sich anfangs, solange man den wirk¬
lichen Namen nicht kennt, schnell mit einem gemachten hilft. So war denn
der alte behäbige, graubürtige Mexikaner, der die Haifische studirte, bald zum
Haifischonkel geworden. Seine Philosophie hieß früher: Friß, oder du wirst
gefressen! Jetzt, ans dieser Fahrt, philosophirte er, nachdem er erst den Hai¬
fischen seinen Tribut bezahlt und sich dann wieder davon erholt hatte, folgender¬
maßen: „Sehen Sie die kleinen blauglänzenden, aalartigen Fischchen, die sich
dort auf den Seitenflossen des dicken grauen Ungetüms wiegen? Wie sie
heruntcrschlüpfen, sowie sich der Haifisch anschickt, nach meinen Apfelsinenstücken
im Wasser zu schnappen, und wie sie sich ihm wieder auf den Rucke» schmiegen,
sobald er ruhig dahinschwimmt! Sie lassen sich von ihm tragen und sind so
am besten vor ihm sicher! Sie sind nie vor ihm, immer ihm zur Seite oder
hinter ihm. Der Haifisch war ich früher, als ich noch etwas hatte, jetzt ge¬
höre ich zu den Begleitern." Nach und nach wurde er der Gemütlichsten einer.
Nur wollte er alles, was sich auf Haifische bezog, besser verstehe» und uns
immer gute Lehren geben, wenn wir vor Anker liegend hinten am Stern die
Haisischangel auswarfen. Seine treue Nichte sekundirte ihm dann, wenn er
von uns ausgelacht wurde, und hielt ihm die Stange.

Es war ihr nicht recht, daß sie hinter ihrem Rücken von uns das „Nickel-
prinzeßchen" genannt wurde, denn wenn auch ihr Privatvermögen durch den
Zusammenbruch ihres Onkels bei der Nickelspekulation ihres Stiefvaters nicht
angegriffen worden war und von dem Stiefvater während ihrer Unmündigkeit
verwaltet wurde, so wollte sie doch vou diesem und dem ganzen Nickel-
Handel, den sie um einmal verabscheute, nichts hören und behauptete einmal
ums andre, sie wüßte doch, daß sie und der Onkel es nicht lange in dem
kalten Deutschland aushalten würden, daß sie bald wieder nach ihrem son¬
nigen Mexiko zurückkehren würde, und sie bedauerte nur den Onkel, daß er
sich auf seine alten Tage noch den Strapazen dieser unnützen Reife unter¬
zogen hätte.

Am meisten aber von der ganzen Gesellschaft aus der Haupstadt Mexico
zog mich der deutsche Arzt und Kollege an, der, nachdem er sich genügend
Geld verdient hatte, um bequem leben zu können, nach Deutschland zurück¬
kehrte, um sich ganz besonders mit Bakteriologie und Hygieine zu beschäftigen,
mit der „Welthygieine," wie er sagte, denn die Hygieine sei eine internationale
Sache. Über den Gedanken an Reichsseuchengesetze lachte er. Giebt es Neichs-
seuchen? pflegte er zu fragen, wenn man ihn auf dieses Gespräch brachte.
Seuchen sind internationale Übel, und darum muß die Hygieine international


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/91>, abgerufen am 01.09.2024.