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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Das Nickelprinzeßchen
von einem Schiffsarzt

erkwürdig! Sollte ich mich täuschen? Diese dunkeln Augen in
dem blassen Mädchengesicht, dieser Gang, wie sie dort die Lan¬
dungstreppe zu unserm Dampfer heraufkommt, diese Anmut, wie
sie sich nach den Ihrigen umsieht, nein, ich täusche mich nicht,
es ist das Nickelprinzeßchen, die wunderhübsche kleine Mexi¬
kanerin, die vor vier Jahren mit ihrem alten dicken Onkel, der der Haifisch-
onkel genannt wurde, auf diesem unserm Dampfer die Reise von Mexiko durch
den Golf hierher nach Newyork und dann weiter nach Hamburg machte. Ja,
sie ist es, wiewohl ich den Haifischvnkel unter den Passagieren, die die Landungs¬
treppe heraufkommen, nicht gewahr werden kann. Er ist vielleicht noch unten
im Gepückraum beschäftigt?

Aber wer ist der Herr dort im grauen Schlapphut, der, mit dem Pack-
träger verhandelnd, ihr zu folgen bemüht ist, einen Southamptonstreckstuhl
am Arm? Wenn er sich doch nur umdrehte, daß ich sein Gesicht sehen könnte.
Sollte es wirklich der bazillenentdeckungswütigc Kollege sein, der ihr damals
auf der Reise den Hof machte? Ach, jetzt ist er wieder im Gewühl ver¬
schwunden!

- Es war Ende September 1892, als ich, an die Schisfsbrnstung gelehnt,
das immer anziehende Schauspiel der Ankunft der neuen Passagiere im Hafen
von Newyork an mir vorüberziehen ließ. Selbst für den langjährigen Schiffs¬
arzt, der Welt und Menschen flieht und sich nur auf hoher See ganz glück¬
lich fühlt, ist die Ankunft der neuen Reisegenossen kurz vor Abgang des Schiffes
immer wieder interessant. Auf diesen eleganten Golfdampfern ist das Publikum
ein ganz andres als auf den Auswanderuugsschisfen, wo man von nichts hört,
als von Berlin, Newyork und Chicago und dem ewigen Dollar! Man hat es
hier meist mit Leuten von etwas weiteren Gesichtskreise zu thun. Als Menschen¬
feind, der man ja als Schiffsarzt so leicht wird, kommt man auf dieser Fahrt
zwischen Newyork und Veracruz oft mit fesselnden Persönlichkeiten zusammen,
die von der Welt und den Menschen auf unserm Erdkreise so viel gesehen
haben, daß sie Vergleiche anstellen können und frei sind von der Naivität der
Selbstbewundernng, die meist dem beschränkten Gesichtskreise der wenig Ge-


Grenzboten III 1393 11


Das Nickelprinzeßchen
von einem Schiffsarzt

erkwürdig! Sollte ich mich täuschen? Diese dunkeln Augen in
dem blassen Mädchengesicht, dieser Gang, wie sie dort die Lan¬
dungstreppe zu unserm Dampfer heraufkommt, diese Anmut, wie
sie sich nach den Ihrigen umsieht, nein, ich täusche mich nicht,
es ist das Nickelprinzeßchen, die wunderhübsche kleine Mexi¬
kanerin, die vor vier Jahren mit ihrem alten dicken Onkel, der der Haifisch-
onkel genannt wurde, auf diesem unserm Dampfer die Reise von Mexiko durch
den Golf hierher nach Newyork und dann weiter nach Hamburg machte. Ja,
sie ist es, wiewohl ich den Haifischvnkel unter den Passagieren, die die Landungs¬
treppe heraufkommen, nicht gewahr werden kann. Er ist vielleicht noch unten
im Gepückraum beschäftigt?

Aber wer ist der Herr dort im grauen Schlapphut, der, mit dem Pack-
träger verhandelnd, ihr zu folgen bemüht ist, einen Southamptonstreckstuhl
am Arm? Wenn er sich doch nur umdrehte, daß ich sein Gesicht sehen könnte.
Sollte es wirklich der bazillenentdeckungswütigc Kollege sein, der ihr damals
auf der Reise den Hof machte? Ach, jetzt ist er wieder im Gewühl ver¬
schwunden!

- Es war Ende September 1892, als ich, an die Schisfsbrnstung gelehnt,
das immer anziehende Schauspiel der Ankunft der neuen Passagiere im Hafen
von Newyork an mir vorüberziehen ließ. Selbst für den langjährigen Schiffs¬
arzt, der Welt und Menschen flieht und sich nur auf hoher See ganz glück¬
lich fühlt, ist die Ankunft der neuen Reisegenossen kurz vor Abgang des Schiffes
immer wieder interessant. Auf diesen eleganten Golfdampfern ist das Publikum
ein ganz andres als auf den Auswanderuugsschisfen, wo man von nichts hört,
als von Berlin, Newyork und Chicago und dem ewigen Dollar! Man hat es
hier meist mit Leuten von etwas weiteren Gesichtskreise zu thun. Als Menschen¬
feind, der man ja als Schiffsarzt so leicht wird, kommt man auf dieser Fahrt
zwischen Newyork und Veracruz oft mit fesselnden Persönlichkeiten zusammen,
die von der Welt und den Menschen auf unserm Erdkreise so viel gesehen
haben, daß sie Vergleiche anstellen können und frei sind von der Naivität der
Selbstbewundernng, die meist dem beschränkten Gesichtskreise der wenig Ge-


Grenzboten III 1393 11
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/89>, abgerufen am 27.11.2024.