Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.leidiger Mensch, der keinem Tier etwas zu leide thun kann. Und doch auch Es ist übrigens kein Wunder, daß der Ostfriese das, was ihn aiigeht, leidiger Mensch, der keinem Tier etwas zu leide thun kann. Und doch auch Es ist übrigens kein Wunder, daß der Ostfriese das, was ihn aiigeht, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215172"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_268" prev="#ID_267"> leidiger Mensch, der keinem Tier etwas zu leide thun kann. Und doch auch<lb/> wieder ein Mensch, der sehr an sich selbst denkt und auf seinen Vorteil bedacht<lb/> ist. Wo er den nicht sieht, ist er schwer zu etwas zu bewegen. Das hat zu¬<lb/> weilen sogar für das wichtige Geschäft des Deichbaues gegolten. Der Ein¬<lb/> bruch des Dollarts, sagt man, hätte vermieden werden können, wenn recht¬<lb/> zeitig alle Beteiligten Hand angelegt Hütten. Aber nein: „Und wenn mir<lb/> das Wasser bis über die Lnnzenspitze hinausgehen sollte, für die da drüben<lb/> deinde ich nicht!" Gewiß ist, daß der ungeheure Schaden, den die Autoniusslut<lb/> 1511 in der Jade angerichtet hat, leicht hätte wieder gut gemacht werden<lb/> können, wenn sich die beteiligten bald geeinigt und den gebrochnen Deich wieder<lb/> aufgebaut hätten. Aber der neue Deich kam erst achtzehn Jahre später zu-<lb/> stände und gab natürlich eine große Strecke dem Meere preis. Herzog Alba<lb/> ist gewiß nicht unser Mann, aber einmal hat er sich doch unsern Beifall er¬<lb/> worben. Die Ostfriesen sollten beleben. Er wollte auch die vom Adel dazu<lb/> heranziehe». Die wollten aber nicht und beriefen sich ans ihre verbrieften Rechte<lb/> und Privilegien. „Briefe habt ihr? Nun, so legt einmal bei der nächsten<lb/> Sturmflut eure Briefe zum Schutz an die Küste! Wenn sie das Meer achtet<lb/> und davor zurückweicht, dann will ich sie auch achten." Auf seinem Recht<lb/> besteht der Ostfriese mit hartem Kopfe, und trotz seines weichen Herzens: mit<lb/> selbstverschuldetem Unglück hat er kein Mitleid. Wenn sich einer in fremde<lb/> Sachen mischt und sich mit Dingen abgiebt, die ihn nichts angehn, dann darf<lb/> er, wen» er dabei zu Schade» kommt, nicht auf Mitleid rechnen. Das gilt<lb/> sogar, wenn es sich um sonst ganz nützliche und heilsame Dinge handelt, z. B.<lb/> wenn sich einer allzu sehr mit Ehrenämtern belasten läßt, und dann sein eignes<lb/> Geschäft dabei zu kurz kommt. Da heißt es einfach: Warum hat er den Spruch<lb/> nicht bedacht: tvM' iMlmLlitö» vn ckartsiu ung'lülclccm d. h. zwölf Ämter und<lb/> dreizehn Unglücke. Übrigens wird es dem Germanisten nicht uninteressant sein,<lb/> bei dieser Gelegenheit zu erfahren, daß das Wort a in ducht bei den Friesen<lb/> noch in lebendigem Gebrauch ist, das erste deutsche Wort, das der litterarisch<lb/> gebildeten Welt vor die Angen gekommen ist, weil es ein römischer Schrift¬<lb/> steller angeführt hat. Wir Neuhochdeutsche kennen es bloß noch in der Gestalt<lb/> von Amt.</p><lb/> <p xml:id="ID_269" next="#ID_270"> Es ist übrigens kein Wunder, daß der Ostfriese das, was ihn aiigeht,<lb/> und das, was ihn nicht angeht, so reinlich von einander scheidet, er liebt ja<lb/> überhaupt die Reinlichkeit. Reinmachen ist der Hausfrauen halbes Leben. Sie<lb/> nennen es „schumeln," ohne Zweifel von „sehnen," denn es wird sehr<lb/> viel Seifenschaum dabei entwickelt. Die armen Männer! Die sind ja auch<lb/> dafür, daß alles hübsch rein ist, aber rein machen — welcher Schrecken!<lb/> Wenn dann nur wenigstens tüchtig gelüftet würde. Aber das ist unsre<lb/> schwache Seite, namentlich bei kleinen Leuten. Die machen nie ein Fenster<lb/> auf, buchstäblich nie. Freilich Urahne, Großmutter, Mutter und Kind sind</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
leidiger Mensch, der keinem Tier etwas zu leide thun kann. Und doch auch
wieder ein Mensch, der sehr an sich selbst denkt und auf seinen Vorteil bedacht
ist. Wo er den nicht sieht, ist er schwer zu etwas zu bewegen. Das hat zu¬
weilen sogar für das wichtige Geschäft des Deichbaues gegolten. Der Ein¬
bruch des Dollarts, sagt man, hätte vermieden werden können, wenn recht¬
zeitig alle Beteiligten Hand angelegt Hütten. Aber nein: „Und wenn mir
das Wasser bis über die Lnnzenspitze hinausgehen sollte, für die da drüben
deinde ich nicht!" Gewiß ist, daß der ungeheure Schaden, den die Autoniusslut
1511 in der Jade angerichtet hat, leicht hätte wieder gut gemacht werden
können, wenn sich die beteiligten bald geeinigt und den gebrochnen Deich wieder
aufgebaut hätten. Aber der neue Deich kam erst achtzehn Jahre später zu-
stände und gab natürlich eine große Strecke dem Meere preis. Herzog Alba
ist gewiß nicht unser Mann, aber einmal hat er sich doch unsern Beifall er¬
worben. Die Ostfriesen sollten beleben. Er wollte auch die vom Adel dazu
heranziehe». Die wollten aber nicht und beriefen sich ans ihre verbrieften Rechte
und Privilegien. „Briefe habt ihr? Nun, so legt einmal bei der nächsten
Sturmflut eure Briefe zum Schutz an die Küste! Wenn sie das Meer achtet
und davor zurückweicht, dann will ich sie auch achten." Auf seinem Recht
besteht der Ostfriese mit hartem Kopfe, und trotz seines weichen Herzens: mit
selbstverschuldetem Unglück hat er kein Mitleid. Wenn sich einer in fremde
Sachen mischt und sich mit Dingen abgiebt, die ihn nichts angehn, dann darf
er, wen» er dabei zu Schade» kommt, nicht auf Mitleid rechnen. Das gilt
sogar, wenn es sich um sonst ganz nützliche und heilsame Dinge handelt, z. B.
wenn sich einer allzu sehr mit Ehrenämtern belasten läßt, und dann sein eignes
Geschäft dabei zu kurz kommt. Da heißt es einfach: Warum hat er den Spruch
nicht bedacht: tvM' iMlmLlitö» vn ckartsiu ung'lülclccm d. h. zwölf Ämter und
dreizehn Unglücke. Übrigens wird es dem Germanisten nicht uninteressant sein,
bei dieser Gelegenheit zu erfahren, daß das Wort a in ducht bei den Friesen
noch in lebendigem Gebrauch ist, das erste deutsche Wort, das der litterarisch
gebildeten Welt vor die Angen gekommen ist, weil es ein römischer Schrift¬
steller angeführt hat. Wir Neuhochdeutsche kennen es bloß noch in der Gestalt
von Amt.
Es ist übrigens kein Wunder, daß der Ostfriese das, was ihn aiigeht,
und das, was ihn nicht angeht, so reinlich von einander scheidet, er liebt ja
überhaupt die Reinlichkeit. Reinmachen ist der Hausfrauen halbes Leben. Sie
nennen es „schumeln," ohne Zweifel von „sehnen," denn es wird sehr
viel Seifenschaum dabei entwickelt. Die armen Männer! Die sind ja auch
dafür, daß alles hübsch rein ist, aber rein machen — welcher Schrecken!
Wenn dann nur wenigstens tüchtig gelüftet würde. Aber das ist unsre
schwache Seite, namentlich bei kleinen Leuten. Die machen nie ein Fenster
auf, buchstäblich nie. Freilich Urahne, Großmutter, Mutter und Kind sind
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