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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Bilder aus dein Westen

Semen etwas davon gewahr wurden, bis der Rektor der Schule zufällig
dahinterkam und sich ins Mittel schlug. Durch Vermittlung des Rektors
fand der Kutscher wieder einen Dienst, und Harry war von seiner aufreibenden
Thätigkeit erlöst. Wer aber dem Geheimnis von der Nachtarbeit auf die
Spur gekommen war, das war niemand anders als Lizzy, die Tochter des
durch Greens Zusammenbruch reich gewordnen Brown, die sich ans Liebe zu
ihrem Harry quälte und nicht eher ruhte, als bis sie die Lehrerinnenstelle
an dieser Schule erhalten und dem Rektor die Sache angezeigt hatte. Den
Schluß des kleinen Romans konnte ich mir mich dem Erlebnis heute früh
beim Aussteigen aus dem Kabelbahuwagen selbst zusammenreimen. Und wer
hätte nicht auf die Vereinigung des jungen Deutschamerikaners mit Jnng-
amerika alles Glück herabwünschen sollen! War sie doch ein Zukunftsbild der
Entwicklung Deutschamerikas.

Weniger erfreulich als in der l^udlio Kellool sieht es in den höhern
Vorbereitungsanstalten für kaufmännische, industrielle, technische und wissen¬
schaftliche Berufszweige, wie Theologie, Rechtswissenschaft und Medizin, aus.
Nicht als ob die äußere Eleganz der Räumlichkeiten dort zu wünschen übrig
ließe. Wenn auch zuweilen räumlich etwas beengt, haben doch anch diese
Institute elegantes Mobiliar und die neuesten Hilfsmittel für den Unterricht
auszuweisen. Aber statt Universitäten, wie sie sich oft stolz nennen, sind es
mehr oder weniger einfache Seminare zur Einführung in die Praxis der be¬
treffenden Berufsarten. Mit Propädeutik und Vorgeschichte hält man sich
nicht im geringsten auf, der Zögling wird sofort in inscliW rs8 geführt.

Um zu einem dieser Seminare zugelassen zu werden, genügt eine Beschei¬
nigung von einem Fachmann, worin sich dieser für genügende Vorbereitung
verbürgt. Damit begiebt sich der Farmerssohn, der manchmal kaum seinen
Namen geläufig schreiben kann, der aber mit dem Gelde seines Vaters speku-
liren lernen möchte, in das Rialtogebäude, wo die höhere Kaufmannsschule ist,
und wo man Stenographiren, Schreibklavierspielen und Zinsrechnung lernt.

Hätten alle Schüler die vorhin geschilderte, wenn auch oberflächliche
Schulbildung, so würden sich diese Bernssseminare nicht so an der Menschheit
versündigen, wie sie es wirklich thun. Sie schicken Leute ohne Kenntnisse,
ohne Bildung und Charakter ins Leben hinaus. Die Schulpflicht ist zwar
streng durchgeführt, aber sie läßt sich nicht auf alle Eingewanderten aus¬
dehnen.

Wie sich ein Cowboy, der kaum des Schreibens kundig ist, in einem
halben Jahre oder einem Jahre zum Börsenspekulanten drillen lassen kann, so
macht ein Pfälzer Hütejunge, nachdem er vielleicht ein Jahr lang in einer
Apotheke Handlangerdienste geleistet und sich dann von einem befreundeten Arzt
den Zulassungszettel erbeten hat, in den üblichen drei Semestern seine Medizin¬
studien durch, ein Berliner Barbiergehilfe, der vielleicht eine leidliche Hand-


Bilder aus dein Westen

Semen etwas davon gewahr wurden, bis der Rektor der Schule zufällig
dahinterkam und sich ins Mittel schlug. Durch Vermittlung des Rektors
fand der Kutscher wieder einen Dienst, und Harry war von seiner aufreibenden
Thätigkeit erlöst. Wer aber dem Geheimnis von der Nachtarbeit auf die
Spur gekommen war, das war niemand anders als Lizzy, die Tochter des
durch Greens Zusammenbruch reich gewordnen Brown, die sich ans Liebe zu
ihrem Harry quälte und nicht eher ruhte, als bis sie die Lehrerinnenstelle
an dieser Schule erhalten und dem Rektor die Sache angezeigt hatte. Den
Schluß des kleinen Romans konnte ich mir mich dem Erlebnis heute früh
beim Aussteigen aus dem Kabelbahuwagen selbst zusammenreimen. Und wer
hätte nicht auf die Vereinigung des jungen Deutschamerikaners mit Jnng-
amerika alles Glück herabwünschen sollen! War sie doch ein Zukunftsbild der
Entwicklung Deutschamerikas.

Weniger erfreulich als in der l^udlio Kellool sieht es in den höhern
Vorbereitungsanstalten für kaufmännische, industrielle, technische und wissen¬
schaftliche Berufszweige, wie Theologie, Rechtswissenschaft und Medizin, aus.
Nicht als ob die äußere Eleganz der Räumlichkeiten dort zu wünschen übrig
ließe. Wenn auch zuweilen räumlich etwas beengt, haben doch anch diese
Institute elegantes Mobiliar und die neuesten Hilfsmittel für den Unterricht
auszuweisen. Aber statt Universitäten, wie sie sich oft stolz nennen, sind es
mehr oder weniger einfache Seminare zur Einführung in die Praxis der be¬
treffenden Berufsarten. Mit Propädeutik und Vorgeschichte hält man sich
nicht im geringsten auf, der Zögling wird sofort in inscliW rs8 geführt.

Um zu einem dieser Seminare zugelassen zu werden, genügt eine Beschei¬
nigung von einem Fachmann, worin sich dieser für genügende Vorbereitung
verbürgt. Damit begiebt sich der Farmerssohn, der manchmal kaum seinen
Namen geläufig schreiben kann, der aber mit dem Gelde seines Vaters speku-
liren lernen möchte, in das Rialtogebäude, wo die höhere Kaufmannsschule ist,
und wo man Stenographiren, Schreibklavierspielen und Zinsrechnung lernt.

Hätten alle Schüler die vorhin geschilderte, wenn auch oberflächliche
Schulbildung, so würden sich diese Bernssseminare nicht so an der Menschheit
versündigen, wie sie es wirklich thun. Sie schicken Leute ohne Kenntnisse,
ohne Bildung und Charakter ins Leben hinaus. Die Schulpflicht ist zwar
streng durchgeführt, aber sie läßt sich nicht auf alle Eingewanderten aus¬
dehnen.

Wie sich ein Cowboy, der kaum des Schreibens kundig ist, in einem
halben Jahre oder einem Jahre zum Börsenspekulanten drillen lassen kann, so
macht ein Pfälzer Hütejunge, nachdem er vielleicht ein Jahr lang in einer
Apotheke Handlangerdienste geleistet und sich dann von einem befreundeten Arzt
den Zulassungszettel erbeten hat, in den üblichen drei Semestern seine Medizin¬
studien durch, ein Berliner Barbiergehilfe, der vielleicht eine leidliche Hand-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/620>, abgerufen am 27.11.2024.