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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Anmerkungen zur Judenfrage

die Apostel der alleinseligmachenden Auslaudsverhimmlung in der Litteratur,
wo anders als am "jrienen" Strand der Spree? Wo haben sie ihre hohe
Schule durchgemacht, unsre jüdischliberalen und sozialdemokratisch-weltschmerz-
licheu Staatsmänner in Duodezformat, die ganz genau wisse", was die Welt¬
geschichte seit fünfundzwanzig Jahren für Fehler begangen hat, und die von
Zeit zu Zeit schulmeisterlich-pedantisch die Stirn runzeln, weil sich Klio, die
hehre Göttin, noch immer nicht von ihnen die Hand führen lassen will? Wo
anders, als in derselben Kaiserstadt, in der auch die Schwindelpresse so üppig
ins Kraut geschossen ist, die dem deutschen Volke die Form seiner Gedanken,
seine altehrwürdige Sprache, bereits mit bestem Erfolg verhunzt hat und es
mit der Zeit wohl auch um sein freies, selbständiges Denken bringen wird?
Natürlich haben bei all diesen schönen Dingen die Juden ihre Hand ganz
hervorragend im Spiele. Berlin und die Juden, sie haben so ziemlich die
gleichen Schicksale gehabt; was Wunder, daß sie sich verbündeten, um sich
gemeinsam in die Hohe zu bringen! Berlin und die Juden, beide standen
bis zu den siebziger Jahren unter einem gewissen Druck, und beide wurde"
fast um dieselbe Zeit von diesem Druck befreit. Berlin, die Hauptstadt des
deutschen Staates, auf dem seit den Tagen des großen Friedrich die Zukunft
unsers Volkes ruhte, hatte auf geistigem Gebiet nie eine führende Rolle ge¬
spielt, himmelhoch wurde es hier von Weimar, Wien, München und Düssel¬
dorf überragt; das war der Druck, der auf ihm lastete. Und die Juden, an
Verstandesfühigkeiten ihren christlichen Mitbürgern gleich, ja nicht selten über¬
legen, wurden durch ungerechten Gesetzeszwang verhindert, diese Fähigkeiten
frei wie ihre Mitbürger zu entfalten; das war der Druck, der auf ihnen
lastete. Da wurden fast zur gleichen Zeit die Juden ihren Mitbürgern a"
politischen und bürgerlichen Rechten gleichgestellt und Berlin, die Hauptstadt
des neuen Reiches, äußerlich über alle andern deutschen Städte erhoben.
Natürlich fanden sich die schönen Seelen, und da sie ihren kleinlichen Begierden
nnn die Zügel schießen lassen konnten, so erzeugten sie zusammen ein litte¬
rarisch-künstlerisch-politisches Protzeutum, wie es die Geschichte des deutschen
Geisteslebens gleich widerwärtig noch nicht verzeichnet hat. Auf die harm¬
losen Schwächen des eingebornen Berliners wurden die angestammten Fehler
der Juden gepfropft, und so entwickelte sich aus gutmütiger Spottlust eine
höchst aufdringliche Nörgelsucht und aus naiver Selbstüberhebung ein voll¬
ständiger Größenwahn. Ein Ausfluß dieses Größenwahns ist es nun auch,
wenn uns der Nadauautisemitismus einreden möchte, die Verjudung Berlins
sei eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volks. New, beides, das haupt¬
städtische Judentum und der hauptstädtische Antisemitismus, sind nur Er¬
scheinungen derselben Krankheit, die wie ein Krebsschaden an der Seele unsers
Volkes frißt, des schnoddrigen Berlinertums. Und als Teile des impotenten
Berlinertums in Kunst, Litteratur und Politik müssen sie beide bekämpft


Anmerkungen zur Judenfrage

die Apostel der alleinseligmachenden Auslaudsverhimmlung in der Litteratur,
wo anders als am „jrienen" Strand der Spree? Wo haben sie ihre hohe
Schule durchgemacht, unsre jüdischliberalen und sozialdemokratisch-weltschmerz-
licheu Staatsmänner in Duodezformat, die ganz genau wisse», was die Welt¬
geschichte seit fünfundzwanzig Jahren für Fehler begangen hat, und die von
Zeit zu Zeit schulmeisterlich-pedantisch die Stirn runzeln, weil sich Klio, die
hehre Göttin, noch immer nicht von ihnen die Hand führen lassen will? Wo
anders, als in derselben Kaiserstadt, in der auch die Schwindelpresse so üppig
ins Kraut geschossen ist, die dem deutschen Volke die Form seiner Gedanken,
seine altehrwürdige Sprache, bereits mit bestem Erfolg verhunzt hat und es
mit der Zeit wohl auch um sein freies, selbständiges Denken bringen wird?
Natürlich haben bei all diesen schönen Dingen die Juden ihre Hand ganz
hervorragend im Spiele. Berlin und die Juden, sie haben so ziemlich die
gleichen Schicksale gehabt; was Wunder, daß sie sich verbündeten, um sich
gemeinsam in die Hohe zu bringen! Berlin und die Juden, beide standen
bis zu den siebziger Jahren unter einem gewissen Druck, und beide wurde»
fast um dieselbe Zeit von diesem Druck befreit. Berlin, die Hauptstadt des
deutschen Staates, auf dem seit den Tagen des großen Friedrich die Zukunft
unsers Volkes ruhte, hatte auf geistigem Gebiet nie eine führende Rolle ge¬
spielt, himmelhoch wurde es hier von Weimar, Wien, München und Düssel¬
dorf überragt; das war der Druck, der auf ihm lastete. Und die Juden, an
Verstandesfühigkeiten ihren christlichen Mitbürgern gleich, ja nicht selten über¬
legen, wurden durch ungerechten Gesetzeszwang verhindert, diese Fähigkeiten
frei wie ihre Mitbürger zu entfalten; das war der Druck, der auf ihnen
lastete. Da wurden fast zur gleichen Zeit die Juden ihren Mitbürgern a»
politischen und bürgerlichen Rechten gleichgestellt und Berlin, die Hauptstadt
des neuen Reiches, äußerlich über alle andern deutschen Städte erhoben.
Natürlich fanden sich die schönen Seelen, und da sie ihren kleinlichen Begierden
nnn die Zügel schießen lassen konnten, so erzeugten sie zusammen ein litte¬
rarisch-künstlerisch-politisches Protzeutum, wie es die Geschichte des deutschen
Geisteslebens gleich widerwärtig noch nicht verzeichnet hat. Auf die harm¬
losen Schwächen des eingebornen Berliners wurden die angestammten Fehler
der Juden gepfropft, und so entwickelte sich aus gutmütiger Spottlust eine
höchst aufdringliche Nörgelsucht und aus naiver Selbstüberhebung ein voll¬
ständiger Größenwahn. Ein Ausfluß dieses Größenwahns ist es nun auch,
wenn uns der Nadauautisemitismus einreden möchte, die Verjudung Berlins
sei eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volks. New, beides, das haupt¬
städtische Judentum und der hauptstädtische Antisemitismus, sind nur Er¬
scheinungen derselben Krankheit, die wie ein Krebsschaden an der Seele unsers
Volkes frißt, des schnoddrigen Berlinertums. Und als Teile des impotenten
Berlinertums in Kunst, Litteratur und Politik müssen sie beide bekämpft


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[0590] Anmerkungen zur Judenfrage die Apostel der alleinseligmachenden Auslaudsverhimmlung in der Litteratur, wo anders als am „jrienen" Strand der Spree? Wo haben sie ihre hohe Schule durchgemacht, unsre jüdischliberalen und sozialdemokratisch-weltschmerz- licheu Staatsmänner in Duodezformat, die ganz genau wisse», was die Welt¬ geschichte seit fünfundzwanzig Jahren für Fehler begangen hat, und die von Zeit zu Zeit schulmeisterlich-pedantisch die Stirn runzeln, weil sich Klio, die hehre Göttin, noch immer nicht von ihnen die Hand führen lassen will? Wo anders, als in derselben Kaiserstadt, in der auch die Schwindelpresse so üppig ins Kraut geschossen ist, die dem deutschen Volke die Form seiner Gedanken, seine altehrwürdige Sprache, bereits mit bestem Erfolg verhunzt hat und es mit der Zeit wohl auch um sein freies, selbständiges Denken bringen wird? Natürlich haben bei all diesen schönen Dingen die Juden ihre Hand ganz hervorragend im Spiele. Berlin und die Juden, sie haben so ziemlich die gleichen Schicksale gehabt; was Wunder, daß sie sich verbündeten, um sich gemeinsam in die Hohe zu bringen! Berlin und die Juden, beide standen bis zu den siebziger Jahren unter einem gewissen Druck, und beide wurde» fast um dieselbe Zeit von diesem Druck befreit. Berlin, die Hauptstadt des deutschen Staates, auf dem seit den Tagen des großen Friedrich die Zukunft unsers Volkes ruhte, hatte auf geistigem Gebiet nie eine führende Rolle ge¬ spielt, himmelhoch wurde es hier von Weimar, Wien, München und Düssel¬ dorf überragt; das war der Druck, der auf ihm lastete. Und die Juden, an Verstandesfühigkeiten ihren christlichen Mitbürgern gleich, ja nicht selten über¬ legen, wurden durch ungerechten Gesetzeszwang verhindert, diese Fähigkeiten frei wie ihre Mitbürger zu entfalten; das war der Druck, der auf ihnen lastete. Da wurden fast zur gleichen Zeit die Juden ihren Mitbürgern a» politischen und bürgerlichen Rechten gleichgestellt und Berlin, die Hauptstadt des neuen Reiches, äußerlich über alle andern deutschen Städte erhoben. Natürlich fanden sich die schönen Seelen, und da sie ihren kleinlichen Begierden nnn die Zügel schießen lassen konnten, so erzeugten sie zusammen ein litte¬ rarisch-künstlerisch-politisches Protzeutum, wie es die Geschichte des deutschen Geisteslebens gleich widerwärtig noch nicht verzeichnet hat. Auf die harm¬ losen Schwächen des eingebornen Berliners wurden die angestammten Fehler der Juden gepfropft, und so entwickelte sich aus gutmütiger Spottlust eine höchst aufdringliche Nörgelsucht und aus naiver Selbstüberhebung ein voll¬ ständiger Größenwahn. Ein Ausfluß dieses Größenwahns ist es nun auch, wenn uns der Nadauautisemitismus einreden möchte, die Verjudung Berlins sei eine Angelegenheit des ganzen deutschen Volks. New, beides, das haupt¬ städtische Judentum und der hauptstädtische Antisemitismus, sind nur Er¬ scheinungen derselben Krankheit, die wie ein Krebsschaden an der Seele unsers Volkes frißt, des schnoddrigen Berlinertums. Und als Teile des impotenten Berlinertums in Kunst, Litteratur und Politik müssen sie beide bekämpft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/590>, abgerufen am 24.11.2024.