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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Anmerkungen zur Judenfrage

Rassenfehler zu überwinden, so mag sich das deutsche Volk ruhig begraben
lassen. Denn dann hält es die weltgeschichtlichen Stürme sicher nicht mehr
aus, die seiner noch harren. Ich glaube das aber nicht, und ich komme hier
zu der ersten Bedingung, die erfüllt sein muß, ehe eine ersprießliche Lösung
der Judenfrage möglich ist. Das deutsche Volk muß sich nicht länger den
Bären aufbinden lassen, die besondern Verdauungsbeschwerden unsrer viel¬
geliebten Haupt- und Residenzstadt Berlin seien eine allgemeine Krankheit des
ganzen Volks. Der altjüngferliche Blaustrumpf an der Spree hat sich an
dem süßen Bewußtsein, Hauptstadt des Reiches zu sein, dermaßen verdorben,
daß ihm jetzt seine jüdischen Mitbürger schwer im Magen liegen. Nun lädt
Spreeathen mit der ihm eignen edeln Bescheidenheit das ganze Reich ein,
doch gefälligst die große Gesundkur mitzumachen, die ihm selbst vielleicht gut
bekommen oder -- es ganz zu Grunde richten würde. Denn Berlin hat es
doch noch nicht schriftlich, daß es plötzlich zu ungeahnter Blüte erstehen würde,
wenn alle Juden aus seinen Mauern auszogen, selbst wenn sie so freundlich
wären, ihr Geld zurückzulassen. Dagegen ist es ihm schon mehr als einmal
schriftlich versichert worden, daß es sich durchaus unfähig gezeigt hat, die große
Aufgabe zu übernehmen, die ihm in den Schoß gefallen ist, nämlich eine wür¬
dige Hauptstadt des neuen Reichs zu werden. Wenn man übrigens nicht das
Glück hat, mit Spreewasser getauft zu sein, braucht man ob dieser Erkenntnis
nicht in Schwermut zu versinken. Es ist ganz gut, daß Berlin nicht zu einer
das Land allmächtig beherrschenden Hauptstadt mit selbstherrlichen Pöbel nach
dem Muster von Paris geworden ist. Und es wäre noch besser, wenn es
andre Städte des Reichs verstanden hätten, sich ein Stück der Führerrvlle
im Geistesleben unsers Volkes zu sichern, zu der sich Berlin als unfähig er¬
wiesen hat. Fürst Vismarck hat einmal in jüngern Jahren das große Wort
gelassen ausgesprochen: "Das wahre preußische Volk wird die großen Städte
zu bändigen wissen, und sollte es sie vom Erdboden vertilgen müssen." Das
deutsche Volk braucht nun seine Hauptstadt uicht gleich vom Erdboden zu
vertilgen, denn sie enthält ja doch ganz passende Räumlichkeiten für Volks¬
vertreter, Minister und andre gemeinnützige Einrichtungen, die mau ruhig
weiter benutzen kann, weil sie einmal basirt. Aber dazu wäre es freilich hohe
Zeit, daß sich das deutsche Volk aufraffte und die unfähige Hauptstadt auf
geistigem Gebiet "bändigte," d. h. ihren vormundschaftlichen Einfluß abschüttelte
und sie sich selbst überließe. Sollte sich dann herausstellen, daß sie von den
Juden bereits so weit unterwühlt ist, daß sie sich nicht mehr aufrecht halten
kann, so mag sie sich für zahlungsunfähig erklären; da Berlin eben noch nicht
das Herz Deutschlands ist, wie sein angeschmachtetes Paris das Herz Frank¬
reichs, so sällt sein Bankerott nicht auf das Reich zurück. Mit dem geistigen
Einfluß Berlins aber ist der Einfluß des Judentums in Politik, Presse und
Litteratur aufs engste verbunden. Wo sind sie denn groß gezogen worden,


Anmerkungen zur Judenfrage

Rassenfehler zu überwinden, so mag sich das deutsche Volk ruhig begraben
lassen. Denn dann hält es die weltgeschichtlichen Stürme sicher nicht mehr
aus, die seiner noch harren. Ich glaube das aber nicht, und ich komme hier
zu der ersten Bedingung, die erfüllt sein muß, ehe eine ersprießliche Lösung
der Judenfrage möglich ist. Das deutsche Volk muß sich nicht länger den
Bären aufbinden lassen, die besondern Verdauungsbeschwerden unsrer viel¬
geliebten Haupt- und Residenzstadt Berlin seien eine allgemeine Krankheit des
ganzen Volks. Der altjüngferliche Blaustrumpf an der Spree hat sich an
dem süßen Bewußtsein, Hauptstadt des Reiches zu sein, dermaßen verdorben,
daß ihm jetzt seine jüdischen Mitbürger schwer im Magen liegen. Nun lädt
Spreeathen mit der ihm eignen edeln Bescheidenheit das ganze Reich ein,
doch gefälligst die große Gesundkur mitzumachen, die ihm selbst vielleicht gut
bekommen oder — es ganz zu Grunde richten würde. Denn Berlin hat es
doch noch nicht schriftlich, daß es plötzlich zu ungeahnter Blüte erstehen würde,
wenn alle Juden aus seinen Mauern auszogen, selbst wenn sie so freundlich
wären, ihr Geld zurückzulassen. Dagegen ist es ihm schon mehr als einmal
schriftlich versichert worden, daß es sich durchaus unfähig gezeigt hat, die große
Aufgabe zu übernehmen, die ihm in den Schoß gefallen ist, nämlich eine wür¬
dige Hauptstadt des neuen Reichs zu werden. Wenn man übrigens nicht das
Glück hat, mit Spreewasser getauft zu sein, braucht man ob dieser Erkenntnis
nicht in Schwermut zu versinken. Es ist ganz gut, daß Berlin nicht zu einer
das Land allmächtig beherrschenden Hauptstadt mit selbstherrlichen Pöbel nach
dem Muster von Paris geworden ist. Und es wäre noch besser, wenn es
andre Städte des Reichs verstanden hätten, sich ein Stück der Führerrvlle
im Geistesleben unsers Volkes zu sichern, zu der sich Berlin als unfähig er¬
wiesen hat. Fürst Vismarck hat einmal in jüngern Jahren das große Wort
gelassen ausgesprochen: „Das wahre preußische Volk wird die großen Städte
zu bändigen wissen, und sollte es sie vom Erdboden vertilgen müssen." Das
deutsche Volk braucht nun seine Hauptstadt uicht gleich vom Erdboden zu
vertilgen, denn sie enthält ja doch ganz passende Räumlichkeiten für Volks¬
vertreter, Minister und andre gemeinnützige Einrichtungen, die mau ruhig
weiter benutzen kann, weil sie einmal basirt. Aber dazu wäre es freilich hohe
Zeit, daß sich das deutsche Volk aufraffte und die unfähige Hauptstadt auf
geistigem Gebiet „bändigte," d. h. ihren vormundschaftlichen Einfluß abschüttelte
und sie sich selbst überließe. Sollte sich dann herausstellen, daß sie von den
Juden bereits so weit unterwühlt ist, daß sie sich nicht mehr aufrecht halten
kann, so mag sie sich für zahlungsunfähig erklären; da Berlin eben noch nicht
das Herz Deutschlands ist, wie sein angeschmachtetes Paris das Herz Frank¬
reichs, so sällt sein Bankerott nicht auf das Reich zurück. Mit dem geistigen
Einfluß Berlins aber ist der Einfluß des Judentums in Politik, Presse und
Litteratur aufs engste verbunden. Wo sind sie denn groß gezogen worden,


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[0589] Anmerkungen zur Judenfrage Rassenfehler zu überwinden, so mag sich das deutsche Volk ruhig begraben lassen. Denn dann hält es die weltgeschichtlichen Stürme sicher nicht mehr aus, die seiner noch harren. Ich glaube das aber nicht, und ich komme hier zu der ersten Bedingung, die erfüllt sein muß, ehe eine ersprießliche Lösung der Judenfrage möglich ist. Das deutsche Volk muß sich nicht länger den Bären aufbinden lassen, die besondern Verdauungsbeschwerden unsrer viel¬ geliebten Haupt- und Residenzstadt Berlin seien eine allgemeine Krankheit des ganzen Volks. Der altjüngferliche Blaustrumpf an der Spree hat sich an dem süßen Bewußtsein, Hauptstadt des Reiches zu sein, dermaßen verdorben, daß ihm jetzt seine jüdischen Mitbürger schwer im Magen liegen. Nun lädt Spreeathen mit der ihm eignen edeln Bescheidenheit das ganze Reich ein, doch gefälligst die große Gesundkur mitzumachen, die ihm selbst vielleicht gut bekommen oder — es ganz zu Grunde richten würde. Denn Berlin hat es doch noch nicht schriftlich, daß es plötzlich zu ungeahnter Blüte erstehen würde, wenn alle Juden aus seinen Mauern auszogen, selbst wenn sie so freundlich wären, ihr Geld zurückzulassen. Dagegen ist es ihm schon mehr als einmal schriftlich versichert worden, daß es sich durchaus unfähig gezeigt hat, die große Aufgabe zu übernehmen, die ihm in den Schoß gefallen ist, nämlich eine wür¬ dige Hauptstadt des neuen Reichs zu werden. Wenn man übrigens nicht das Glück hat, mit Spreewasser getauft zu sein, braucht man ob dieser Erkenntnis nicht in Schwermut zu versinken. Es ist ganz gut, daß Berlin nicht zu einer das Land allmächtig beherrschenden Hauptstadt mit selbstherrlichen Pöbel nach dem Muster von Paris geworden ist. Und es wäre noch besser, wenn es andre Städte des Reichs verstanden hätten, sich ein Stück der Führerrvlle im Geistesleben unsers Volkes zu sichern, zu der sich Berlin als unfähig er¬ wiesen hat. Fürst Vismarck hat einmal in jüngern Jahren das große Wort gelassen ausgesprochen: „Das wahre preußische Volk wird die großen Städte zu bändigen wissen, und sollte es sie vom Erdboden vertilgen müssen." Das deutsche Volk braucht nun seine Hauptstadt uicht gleich vom Erdboden zu vertilgen, denn sie enthält ja doch ganz passende Räumlichkeiten für Volks¬ vertreter, Minister und andre gemeinnützige Einrichtungen, die mau ruhig weiter benutzen kann, weil sie einmal basirt. Aber dazu wäre es freilich hohe Zeit, daß sich das deutsche Volk aufraffte und die unfähige Hauptstadt auf geistigem Gebiet „bändigte," d. h. ihren vormundschaftlichen Einfluß abschüttelte und sie sich selbst überließe. Sollte sich dann herausstellen, daß sie von den Juden bereits so weit unterwühlt ist, daß sie sich nicht mehr aufrecht halten kann, so mag sie sich für zahlungsunfähig erklären; da Berlin eben noch nicht das Herz Deutschlands ist, wie sein angeschmachtetes Paris das Herz Frank¬ reichs, so sällt sein Bankerott nicht auf das Reich zurück. Mit dem geistigen Einfluß Berlins aber ist der Einfluß des Judentums in Politik, Presse und Litteratur aufs engste verbunden. Wo sind sie denn groß gezogen worden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/589>, abgerufen am 28.07.2024.