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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Reisegedanken und Reisolnlder

die wir wildromantisch nennen, für häßlich erklärt, und sie sind geflohen worden.
In der landschaftlichen Schönheit tritt also etwas völlig neues, im ganzen
Umkreise der Sinnlichkeit nicht zu findendes und aus ihr schlechterdings nicht
zu begreifendes hervor, das für alle, denen der Sinn dafür abgeht oder noch
nicht aufgegangen ist, gar nicht vorhanden ist, gerade so wie es für Menschen
ohne musikalisches Gehör, sie mögen übrigens noch so scharf hören, gar keine
Musik als Musik giebt, "ud für die musikalisch Ungebildeten nur Tanzmusik
und einfache Lieder, aber keine symphonische Musik.

Doch was hat denn das mit dem Reisen zu schaffe"? Giebt es irgend
eine Gegend in der Welt, der die Schönheit ganz versagt wäre, steht nicht
sedem zu Hanse das Thor offen, durch das man ins Wunderland des Schönen
eintritt? Gewiß. Ein paar Bäume und ein Stück Wiese, namentlich wenn
auch noch ein kleiner Wasserspiegel dabei liegt, genügen zu einem anmutigen
Landschaftsbilde, und der Heide fehlt es so wenig an Erhabenheit wie dem
Meere. Aber wer nur eine Art von Landschaften kennt, kaun doch schwerlich
sagen, daß er die Schönheit der Natur überhaupt kenne. Auch giebt es Ab¬
stufungen darin, und eignen sich die freundlichen Bilder der Ebne und des
Hügellandes am bestem zum Hintergründe unsers täglichen Schaffens, so sind
es doch erst die romantischen und die erhabnen Landschaften, die uns packen
und aufrütteln, und bei deren Anblick uns die eigentliche Bedeutung der Schön¬
heit aufgeht. Wo die Wasserfluten als flüssiges Gold und flüssiger Smaragd
den Schwimmer umspielen, wo Berge, die ein kleines Paradies umrahmen,
ihre Körperlichkeit zu verlieren scheinen und als zartblaue Lichtgestalten an
die ewigen Höhen erinnern, ans denen das wahre Paradies ruht, wo die
Malerin Sonne Felswände findet, die sie allabendlich in buntsammetue Vor¬
hänge mit Goldstickerei verwandeln kann, und Eisriesen, die sie in holdselig
errötende Jungfrauen verwandelt, wo die schwarzen Steinkolosse mit ihrer
blendend weißen Zackenkrvne die Vorstellung einer unnahbaren Größe und
Reinheit erwecken, da erst merken wir, daß HzO und Lilioiuin. und "üiN'to
nicht bloß alles das verrichten, mas uns die Chemie, die Geognosie und die
Mechanik lehren, sondern nebenbei auch noch etwas andres können, ähnlich wie
Grillparzer nicht bloß Akten schreiben, sondern nebenbei auch dichten konnte.

Reisen ist also gewissermaßen notwendig, wenn der Menschheit die reine,
wahre und vollständige Idee des Schönen aufgehen soll, um so notwendiger,
als die landschaftliche Schönheit auf solche, die sie immer vor Angen haben,
ihre Wirkung zu verlieren scheint. Bei meinem gewöhnlichen Tagewerk und
immerfort möchte ich romantische und heroische Landschaften oder sonst ent¬
zückende Bilder nicht vor Augen haben, sie würden mich stören und aufregen;
was aber anfänglich aufregt, das stumpft mit der Zeit ab. Von welchem
Gesichtspunkte die Schweizer heutzutage einzig und allein noch ihre Berge und
Seen ansehen, das ist ja bekannt.


Reisegedanken und Reisolnlder

die wir wildromantisch nennen, für häßlich erklärt, und sie sind geflohen worden.
In der landschaftlichen Schönheit tritt also etwas völlig neues, im ganzen
Umkreise der Sinnlichkeit nicht zu findendes und aus ihr schlechterdings nicht
zu begreifendes hervor, das für alle, denen der Sinn dafür abgeht oder noch
nicht aufgegangen ist, gar nicht vorhanden ist, gerade so wie es für Menschen
ohne musikalisches Gehör, sie mögen übrigens noch so scharf hören, gar keine
Musik als Musik giebt, »ud für die musikalisch Ungebildeten nur Tanzmusik
und einfache Lieder, aber keine symphonische Musik.

Doch was hat denn das mit dem Reisen zu schaffe»? Giebt es irgend
eine Gegend in der Welt, der die Schönheit ganz versagt wäre, steht nicht
sedem zu Hanse das Thor offen, durch das man ins Wunderland des Schönen
eintritt? Gewiß. Ein paar Bäume und ein Stück Wiese, namentlich wenn
auch noch ein kleiner Wasserspiegel dabei liegt, genügen zu einem anmutigen
Landschaftsbilde, und der Heide fehlt es so wenig an Erhabenheit wie dem
Meere. Aber wer nur eine Art von Landschaften kennt, kaun doch schwerlich
sagen, daß er die Schönheit der Natur überhaupt kenne. Auch giebt es Ab¬
stufungen darin, und eignen sich die freundlichen Bilder der Ebne und des
Hügellandes am bestem zum Hintergründe unsers täglichen Schaffens, so sind
es doch erst die romantischen und die erhabnen Landschaften, die uns packen
und aufrütteln, und bei deren Anblick uns die eigentliche Bedeutung der Schön¬
heit aufgeht. Wo die Wasserfluten als flüssiges Gold und flüssiger Smaragd
den Schwimmer umspielen, wo Berge, die ein kleines Paradies umrahmen,
ihre Körperlichkeit zu verlieren scheinen und als zartblaue Lichtgestalten an
die ewigen Höhen erinnern, ans denen das wahre Paradies ruht, wo die
Malerin Sonne Felswände findet, die sie allabendlich in buntsammetue Vor¬
hänge mit Goldstickerei verwandeln kann, und Eisriesen, die sie in holdselig
errötende Jungfrauen verwandelt, wo die schwarzen Steinkolosse mit ihrer
blendend weißen Zackenkrvne die Vorstellung einer unnahbaren Größe und
Reinheit erwecken, da erst merken wir, daß HzO und Lilioiuin. und «üiN'to
nicht bloß alles das verrichten, mas uns die Chemie, die Geognosie und die
Mechanik lehren, sondern nebenbei auch noch etwas andres können, ähnlich wie
Grillparzer nicht bloß Akten schreiben, sondern nebenbei auch dichten konnte.

Reisen ist also gewissermaßen notwendig, wenn der Menschheit die reine,
wahre und vollständige Idee des Schönen aufgehen soll, um so notwendiger,
als die landschaftliche Schönheit auf solche, die sie immer vor Angen haben,
ihre Wirkung zu verlieren scheint. Bei meinem gewöhnlichen Tagewerk und
immerfort möchte ich romantische und heroische Landschaften oder sonst ent¬
zückende Bilder nicht vor Augen haben, sie würden mich stören und aufregen;
was aber anfänglich aufregt, das stumpft mit der Zeit ab. Von welchem
Gesichtspunkte die Schweizer heutzutage einzig und allein noch ihre Berge und
Seen ansehen, das ist ja bekannt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/571>, abgerufen am 01.09.2024.