Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Reisegedanken und Reisebilder lichnng näher zu bringen. Steht einmal hinter der Presse eine starke, selbst¬ Reisegedanken und Reisebilder or ein paar Monaten haben wir Grenzbotenleser einen Knrsnm Bei der menschlichen Schönheit liegt diese Verwechselung des Schönen Grenzboten III 1893 71
Reisegedanken und Reisebilder lichnng näher zu bringen. Steht einmal hinter der Presse eine starke, selbst¬ Reisegedanken und Reisebilder or ein paar Monaten haben wir Grenzbotenleser einen Knrsnm Bei der menschlichen Schönheit liegt diese Verwechselung des Schönen Grenzboten III 1893 71
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215659"/> <fw type="header" place="top"> Reisegedanken und Reisebilder</fw><lb/> <p xml:id="ID_1962" prev="#ID_1961"> lichnng näher zu bringen. Steht einmal hinter der Presse eine starke, selbst¬<lb/> bewußte Organisation, so hört auch der Zustand auf, daß sich das Verhältnis<lb/> der Regierung, der politischen und wissenschaftlichen Autoritäten zur Presse<lb/> nach dem Heinischen Verse richtet: „Vlamir mich nicht, mein schönes Kind"<lb/> u, s, w., dann kommt vielleicht die Zeit, wo sich der Journalistenstand den<lb/> übrigen Berufen gleichberechtigt anzugliedern vermag, wo unsre Zeitungen von<lb/> Leuten geschrieben werden, die etwas von dem verstehen, was sie beurteilen<lb/> solle», und — o schönster Traum! — wo die Journalisten ein anständiges<lb/> Deutsch schreiben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Reisegedanken und Reisebilder</head><lb/> <p xml:id="ID_1963"> or ein paar Monaten haben wir Grenzbotenleser einen Knrsnm<lb/> ! in der Kunst zu reisen durchschmaruzt. Hat der Lehrer Erfolg<lb/> bei der deutschen Jugend, dann werden die beiden Aufsätze in<lb/> Heft 23 und 24 dereinst als Marksteine in der Geschichte unsers<lb/> I Geisteslebens gelten, denn dann wird eines der drei Gebiete<lb/> des Idealen, das des Schönen, für immer aus dem Sumpfe jener Gemein¬<lb/> heit, die sich mit Unrecht Realismus nennt, gerettet sein. Die Darwinianer<lb/> erklären bekanntlich das Schöne für die Erscheinungsform des dem Jndividual-<lb/> und Gattnugsleben zuträglichen; jedem Hans — so etwa sagen sie — erscheint<lb/> „diejenige" Grete, jedem Heuschreck „diejenige" Henschreckin, jedem Nilpferd<lb/> „diejenige" Nilpferdin ^ oder heißes Nilstnte oder Nilkuh? — am schönsten,<lb/> die für das Geschüft der Kinderzeugung am besten für ihn paßt. Wenn dem¬<lb/> nach die Ästhetiker einen Schönheitskanon aufstellen und etwa behaupten, die<lb/> Sixtina sei schöner als eine Heuschreckin oder Molchin und die mediceische<lb/> Venus komme dem Ideal weiblicher Leibesgestalt näher als Hansens Grete,<lb/> so machen sie sich einer lächerlichen und unerträglichen Anmaßung schuldig,<lb/> der sich zwar die Menge in ihrem blinden Autoritätsglauben lange Zeit hin¬<lb/> durch gebeugt hat, die aber ein hoffnungsvolles junges Geschlecht mit Erfolg<lb/> abzuschütteln beginnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1964" next="#ID_1965"> Bei der menschlichen Schönheit liegt diese Verwechselung des Schönen<lb/> mit dem Zweckmäßiger und dein sinnlich Angenehmen so nahe, daß sie ent¬<lb/> schuldigt werden kann. Nahe verwandt sind ja die drei Gebiete an sich schon<lb/> und greifen vielfach in einander über. Ein zweckmäßig angelegtes und ein-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1893 71</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0569]
Reisegedanken und Reisebilder
lichnng näher zu bringen. Steht einmal hinter der Presse eine starke, selbst¬
bewußte Organisation, so hört auch der Zustand auf, daß sich das Verhältnis
der Regierung, der politischen und wissenschaftlichen Autoritäten zur Presse
nach dem Heinischen Verse richtet: „Vlamir mich nicht, mein schönes Kind"
u, s, w., dann kommt vielleicht die Zeit, wo sich der Journalistenstand den
übrigen Berufen gleichberechtigt anzugliedern vermag, wo unsre Zeitungen von
Leuten geschrieben werden, die etwas von dem verstehen, was sie beurteilen
solle», und — o schönster Traum! — wo die Journalisten ein anständiges
Deutsch schreiben.
Reisegedanken und Reisebilder
or ein paar Monaten haben wir Grenzbotenleser einen Knrsnm
! in der Kunst zu reisen durchschmaruzt. Hat der Lehrer Erfolg
bei der deutschen Jugend, dann werden die beiden Aufsätze in
Heft 23 und 24 dereinst als Marksteine in der Geschichte unsers
I Geisteslebens gelten, denn dann wird eines der drei Gebiete
des Idealen, das des Schönen, für immer aus dem Sumpfe jener Gemein¬
heit, die sich mit Unrecht Realismus nennt, gerettet sein. Die Darwinianer
erklären bekanntlich das Schöne für die Erscheinungsform des dem Jndividual-
und Gattnugsleben zuträglichen; jedem Hans — so etwa sagen sie — erscheint
„diejenige" Grete, jedem Heuschreck „diejenige" Henschreckin, jedem Nilpferd
„diejenige" Nilpferdin ^ oder heißes Nilstnte oder Nilkuh? — am schönsten,
die für das Geschüft der Kinderzeugung am besten für ihn paßt. Wenn dem¬
nach die Ästhetiker einen Schönheitskanon aufstellen und etwa behaupten, die
Sixtina sei schöner als eine Heuschreckin oder Molchin und die mediceische
Venus komme dem Ideal weiblicher Leibesgestalt näher als Hansens Grete,
so machen sie sich einer lächerlichen und unerträglichen Anmaßung schuldig,
der sich zwar die Menge in ihrem blinden Autoritätsglauben lange Zeit hin¬
durch gebeugt hat, die aber ein hoffnungsvolles junges Geschlecht mit Erfolg
abzuschütteln beginnt.
Bei der menschlichen Schönheit liegt diese Verwechselung des Schönen
mit dem Zweckmäßiger und dein sinnlich Angenehmen so nahe, daß sie ent¬
schuldigt werden kann. Nahe verwandt sind ja die drei Gebiete an sich schon
und greifen vielfach in einander über. Ein zweckmäßig angelegtes und ein-
Grenzboten III 1893 71
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