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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Haltung der deutsche" Journalistik, dann kommt man zu einem jämmerlichen
Ergebnis.

Wenn die maßgebenden Personen den Mut hätten, die Bedeutung der
Presse dadurch anzuerkennen, daß sie sich ihrer mit offnem Visir bedienten --
ich glaube, daß schon damit die Grundlage für eine durchgreifende Reorgani¬
sation der Presse gegeben wäre; die lange ersehnte Organisation des Standes
würde nicht lange auf sich warten lassen, und diese ist die Voraussetzung zu
einer sittlichen und wirtschaftlichen Hebung, nur sie vermöchte es, schmutzige
Elemente fernzuhalten und die bereits vorhandnen mit eisernem Besen hiuaus-
zufegen. Aber eine solche Organisation setzt klare Rechtsverhältnisse voraus,
und da sitzt es!

Das Preßrecht (der Kürze halber verstehe ich darunter nicht nur das Pre߬
gesetz, sondern überhaupt die Rechtsverhältnisse der Jorualisten unter einander,
zum Verleger, zum Staat, zum Publikum u. s. w.) ist ein Muster von Unklar¬
heit und Verworrenheit; von irgend einem Verständnis oder auch nur einer
Anerkennung der Eigenartigkeit dieses Nechtsgebiets ist in keinem Gesetzbuch
etwas zu spüren. Die Gerichte beurteilen die einschlägigen Rechtsfälle nach
"gemeinem Recht," d. h. nach römischen Rechtsbegriffen; die Redakteure der
^.olu, cliurim waren aber offenbar sehr friedliche Leute, denn trotz eifrigsten
Studiums habe ich bei keinem einzigen römischen Rechtslehrer irgend eine An-
deutung über Journalistcnrecht gefunden. Was die neuern Gesetzbücher darüber
enthalte", ist entweder haarsträubend albern oder so allgemein gehalten, daß
damit nichts mizufangen ist. Und das Preßgesetz? Du lieber Himmel, wie
lange jammert die Presse schon darüber! aber sie findet weder bei der Re¬
gierung noch beim Parlament Verständnis. Vor anderthalb Jahren wurde
ein vox^-riZ^t-Vertrag mit Amerika im Reichstag einstimmig angenommen, ob¬
wohl ein Blick in die Bestimmungen genügte, ihn als hoc-isws Iscming., als
Karrikatur eines Rechtsschutzes zu erkennen. Gegenwärtig bemühen sich zwar
journalistische Vereinigungen um Revision des Preßrechts, aber bei der Ver-
ständnislosigkeit der maßgebenden Kreise für die Sache habe ich keine Hoffnung
auf Erfolg.

Unklare Rechtsverhältnisse sind aber immer der Tummelplatz anrüchiger
Elemente gewesen. Gewönne es die Kommission für das neue bürgerliche
Gesetzbuch über sich, hier einmal schöpferisch vorzugehen und ganze Arbeit zu
macheu, wahrhaftig, sie würde sich um das Bolkswvhl und die öffentliche Moral
ein hohes Verdienst erwerben.

In jüngster Zeit scheint sich übrigens doch in unsern .Kreisen die Er¬
kenntnis Bahn zu brechen, daß es so nicht weiter gehen kann; die Gründung
einer Pensionsaustalt hat den Gedanken einer umfassenden Berufsorganisation
wieder in Fluß gebracht, und es ist vielleicht dem nächsten Schriftstellertag,
der in Hamburg stattfinden soll, vorbehalten, den Gedanken seiner Verwirk-


Haltung der deutsche» Journalistik, dann kommt man zu einem jämmerlichen
Ergebnis.

Wenn die maßgebenden Personen den Mut hätten, die Bedeutung der
Presse dadurch anzuerkennen, daß sie sich ihrer mit offnem Visir bedienten —
ich glaube, daß schon damit die Grundlage für eine durchgreifende Reorgani¬
sation der Presse gegeben wäre; die lange ersehnte Organisation des Standes
würde nicht lange auf sich warten lassen, und diese ist die Voraussetzung zu
einer sittlichen und wirtschaftlichen Hebung, nur sie vermöchte es, schmutzige
Elemente fernzuhalten und die bereits vorhandnen mit eisernem Besen hiuaus-
zufegen. Aber eine solche Organisation setzt klare Rechtsverhältnisse voraus,
und da sitzt es!

Das Preßrecht (der Kürze halber verstehe ich darunter nicht nur das Pre߬
gesetz, sondern überhaupt die Rechtsverhältnisse der Jorualisten unter einander,
zum Verleger, zum Staat, zum Publikum u. s. w.) ist ein Muster von Unklar¬
heit und Verworrenheit; von irgend einem Verständnis oder auch nur einer
Anerkennung der Eigenartigkeit dieses Nechtsgebiets ist in keinem Gesetzbuch
etwas zu spüren. Die Gerichte beurteilen die einschlägigen Rechtsfälle nach
„gemeinem Recht," d. h. nach römischen Rechtsbegriffen; die Redakteure der
^.olu, cliurim waren aber offenbar sehr friedliche Leute, denn trotz eifrigsten
Studiums habe ich bei keinem einzigen römischen Rechtslehrer irgend eine An-
deutung über Journalistcnrecht gefunden. Was die neuern Gesetzbücher darüber
enthalte», ist entweder haarsträubend albern oder so allgemein gehalten, daß
damit nichts mizufangen ist. Und das Preßgesetz? Du lieber Himmel, wie
lange jammert die Presse schon darüber! aber sie findet weder bei der Re¬
gierung noch beim Parlament Verständnis. Vor anderthalb Jahren wurde
ein vox^-riZ^t-Vertrag mit Amerika im Reichstag einstimmig angenommen, ob¬
wohl ein Blick in die Bestimmungen genügte, ihn als hoc-isws Iscming., als
Karrikatur eines Rechtsschutzes zu erkennen. Gegenwärtig bemühen sich zwar
journalistische Vereinigungen um Revision des Preßrechts, aber bei der Ver-
ständnislosigkeit der maßgebenden Kreise für die Sache habe ich keine Hoffnung
auf Erfolg.

Unklare Rechtsverhältnisse sind aber immer der Tummelplatz anrüchiger
Elemente gewesen. Gewönne es die Kommission für das neue bürgerliche
Gesetzbuch über sich, hier einmal schöpferisch vorzugehen und ganze Arbeit zu
macheu, wahrhaftig, sie würde sich um das Bolkswvhl und die öffentliche Moral
ein hohes Verdienst erwerben.

In jüngster Zeit scheint sich übrigens doch in unsern .Kreisen die Er¬
kenntnis Bahn zu brechen, daß es so nicht weiter gehen kann; die Gründung
einer Pensionsaustalt hat den Gedanken einer umfassenden Berufsorganisation
wieder in Fluß gebracht, und es ist vielleicht dem nächsten Schriftstellertag,
der in Hamburg stattfinden soll, vorbehalten, den Gedanken seiner Verwirk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/568>, abgerufen am 23.11.2024.