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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Wir Journalisten

eigentliche Vildungsquelle für den größten Teil des Volks geworden sind.
Man braucht die Presse, sie ist unentbehrlich, aber man hat keine Zeit, sie zu
ändern, und so nimmt man sie, wie sie ist, und schüttet die geheime Verach¬
tung, die man trotzdem gegen sie fühlt, auf die ans, die hinter ihr stehn: auf
die Journalisten. So haben wir denn heute den bedenklichen Zustand, daß
der in seiner Ausdehnung und Stärke kaum zu berechnende Einfluß der Tages¬
presse von Leuten ausgeht, die in der öffentlichen Wertschätzung eine ganz unter¬
geordnete Stellung einnehmen, teilweise, sagen wir es frei heraus, einfach ver¬
achtet werden. Daß ein solcher Zustand auf die öffentliche Moral die denkbar
schlimmste Wirkung ausübt, muß dem Blödester einleuchten; leider ist es aber
denen am welligsten klar, die am meisten dabei beteiligt sind: den Journa¬
listen selbst.

Das lebt in den Tag hinein, dickhäutig, abgebrüht, eine lebendige Selbst¬
ironie und gleichzeitig eine Verhöhnung des Gedankens, der der eignen Existenz
zu Grunde liegt. Es giebt ja einige unter uns, die unter der Geringschätzung,
die die Gesellschaft den Journalisten entgegenbringt, schwer leiden, die einen
hohen Begriff von ihrer Aufgabe haben, und die mit schmerzlicher Resignation
die Versuche aufgegeben haben, den Stand zu heben und zu säubern. Aber
der große Troß der Journalisten, täuschen wir uns nicht darüber, führt
hinter dem papiernen Zaun ein sehr vergnügtes Dasein, beutet seinen Einfluß
nach Kräften aus und rächt sich für seine Zurücksetzung durch wohlgezielte
Pfeile aus dem sichern Versteck. Es ist so weit gekommen, daß sich unter uns
eine eigne Journalistenmoral ausgebildet hat, die eine verzweifelte Ähnlichkeit
mit der kurzen Diebsmvral hat: Du sollst dich uicht erwischen lassen! im übrigen
aber alles erlaubt, was Zeilenhonorar bringt.

Man greift die Tagespresse an, man spottet mit vollem Recht über die
blödsinnigen Dinge, die da getreulich mitgeteilt werden -- das dümmste immer
telegraphisch --, man zieht mit schwerem Geschütz gegen die seichte Oberfläch¬
lichkeit, die Ungenauigkeit, die verbitterte Wirkung der Presse zu Felde, man
bekämpft die entsittlichenden Darstellungen von Mord und Totschlag, die schlecht
verhüllte Verherrlichung des Gaunertums, aber man sieht nicht, daß dieser
Kampf ein Kampf mit Windmühlen ist. Ihr werdet die Presse nicht besser
machen, wenn ihr die Journalisten uicht besser macht, wenn ihr diesen
Stand in seiner eingehegten Pfütze weiter vegetiren laßt, wenn ihr nicht
versucht, ihn zu heben und zu reinigen von den Elementen, die ihn jetzt
herunterziehen.

Was sind die Journalisten? Die einfachste Definition lautet: es sind Leute,
die für Tagesblätter schreiben oder als Redakteure an Tagesblättern beschäf¬
tigt sind.

Schon aus dieser Definition ergiebt sich, daß der Stand an sich nicht
minderwertig ist; im Gegenteil, lver zugiebt, daß unsrer Presse im nationalen


Wir Journalisten

eigentliche Vildungsquelle für den größten Teil des Volks geworden sind.
Man braucht die Presse, sie ist unentbehrlich, aber man hat keine Zeit, sie zu
ändern, und so nimmt man sie, wie sie ist, und schüttet die geheime Verach¬
tung, die man trotzdem gegen sie fühlt, auf die ans, die hinter ihr stehn: auf
die Journalisten. So haben wir denn heute den bedenklichen Zustand, daß
der in seiner Ausdehnung und Stärke kaum zu berechnende Einfluß der Tages¬
presse von Leuten ausgeht, die in der öffentlichen Wertschätzung eine ganz unter¬
geordnete Stellung einnehmen, teilweise, sagen wir es frei heraus, einfach ver¬
achtet werden. Daß ein solcher Zustand auf die öffentliche Moral die denkbar
schlimmste Wirkung ausübt, muß dem Blödester einleuchten; leider ist es aber
denen am welligsten klar, die am meisten dabei beteiligt sind: den Journa¬
listen selbst.

Das lebt in den Tag hinein, dickhäutig, abgebrüht, eine lebendige Selbst¬
ironie und gleichzeitig eine Verhöhnung des Gedankens, der der eignen Existenz
zu Grunde liegt. Es giebt ja einige unter uns, die unter der Geringschätzung,
die die Gesellschaft den Journalisten entgegenbringt, schwer leiden, die einen
hohen Begriff von ihrer Aufgabe haben, und die mit schmerzlicher Resignation
die Versuche aufgegeben haben, den Stand zu heben und zu säubern. Aber
der große Troß der Journalisten, täuschen wir uns nicht darüber, führt
hinter dem papiernen Zaun ein sehr vergnügtes Dasein, beutet seinen Einfluß
nach Kräften aus und rächt sich für seine Zurücksetzung durch wohlgezielte
Pfeile aus dem sichern Versteck. Es ist so weit gekommen, daß sich unter uns
eine eigne Journalistenmoral ausgebildet hat, die eine verzweifelte Ähnlichkeit
mit der kurzen Diebsmvral hat: Du sollst dich uicht erwischen lassen! im übrigen
aber alles erlaubt, was Zeilenhonorar bringt.

Man greift die Tagespresse an, man spottet mit vollem Recht über die
blödsinnigen Dinge, die da getreulich mitgeteilt werden — das dümmste immer
telegraphisch —, man zieht mit schwerem Geschütz gegen die seichte Oberfläch¬
lichkeit, die Ungenauigkeit, die verbitterte Wirkung der Presse zu Felde, man
bekämpft die entsittlichenden Darstellungen von Mord und Totschlag, die schlecht
verhüllte Verherrlichung des Gaunertums, aber man sieht nicht, daß dieser
Kampf ein Kampf mit Windmühlen ist. Ihr werdet die Presse nicht besser
machen, wenn ihr die Journalisten uicht besser macht, wenn ihr diesen
Stand in seiner eingehegten Pfütze weiter vegetiren laßt, wenn ihr nicht
versucht, ihn zu heben und zu reinigen von den Elementen, die ihn jetzt
herunterziehen.

Was sind die Journalisten? Die einfachste Definition lautet: es sind Leute,
die für Tagesblätter schreiben oder als Redakteure an Tagesblättern beschäf¬
tigt sind.

Schon aus dieser Definition ergiebt sich, daß der Stand an sich nicht
minderwertig ist; im Gegenteil, lver zugiebt, daß unsrer Presse im nationalen


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[0562] Wir Journalisten eigentliche Vildungsquelle für den größten Teil des Volks geworden sind. Man braucht die Presse, sie ist unentbehrlich, aber man hat keine Zeit, sie zu ändern, und so nimmt man sie, wie sie ist, und schüttet die geheime Verach¬ tung, die man trotzdem gegen sie fühlt, auf die ans, die hinter ihr stehn: auf die Journalisten. So haben wir denn heute den bedenklichen Zustand, daß der in seiner Ausdehnung und Stärke kaum zu berechnende Einfluß der Tages¬ presse von Leuten ausgeht, die in der öffentlichen Wertschätzung eine ganz unter¬ geordnete Stellung einnehmen, teilweise, sagen wir es frei heraus, einfach ver¬ achtet werden. Daß ein solcher Zustand auf die öffentliche Moral die denkbar schlimmste Wirkung ausübt, muß dem Blödester einleuchten; leider ist es aber denen am welligsten klar, die am meisten dabei beteiligt sind: den Journa¬ listen selbst. Das lebt in den Tag hinein, dickhäutig, abgebrüht, eine lebendige Selbst¬ ironie und gleichzeitig eine Verhöhnung des Gedankens, der der eignen Existenz zu Grunde liegt. Es giebt ja einige unter uns, die unter der Geringschätzung, die die Gesellschaft den Journalisten entgegenbringt, schwer leiden, die einen hohen Begriff von ihrer Aufgabe haben, und die mit schmerzlicher Resignation die Versuche aufgegeben haben, den Stand zu heben und zu säubern. Aber der große Troß der Journalisten, täuschen wir uns nicht darüber, führt hinter dem papiernen Zaun ein sehr vergnügtes Dasein, beutet seinen Einfluß nach Kräften aus und rächt sich für seine Zurücksetzung durch wohlgezielte Pfeile aus dem sichern Versteck. Es ist so weit gekommen, daß sich unter uns eine eigne Journalistenmoral ausgebildet hat, die eine verzweifelte Ähnlichkeit mit der kurzen Diebsmvral hat: Du sollst dich uicht erwischen lassen! im übrigen aber alles erlaubt, was Zeilenhonorar bringt. Man greift die Tagespresse an, man spottet mit vollem Recht über die blödsinnigen Dinge, die da getreulich mitgeteilt werden — das dümmste immer telegraphisch —, man zieht mit schwerem Geschütz gegen die seichte Oberfläch¬ lichkeit, die Ungenauigkeit, die verbitterte Wirkung der Presse zu Felde, man bekämpft die entsittlichenden Darstellungen von Mord und Totschlag, die schlecht verhüllte Verherrlichung des Gaunertums, aber man sieht nicht, daß dieser Kampf ein Kampf mit Windmühlen ist. Ihr werdet die Presse nicht besser machen, wenn ihr die Journalisten uicht besser macht, wenn ihr diesen Stand in seiner eingehegten Pfütze weiter vegetiren laßt, wenn ihr nicht versucht, ihn zu heben und zu reinigen von den Elementen, die ihn jetzt herunterziehen. Was sind die Journalisten? Die einfachste Definition lautet: es sind Leute, die für Tagesblätter schreiben oder als Redakteure an Tagesblättern beschäf¬ tigt sind. Schon aus dieser Definition ergiebt sich, daß der Stand an sich nicht minderwertig ist; im Gegenteil, lver zugiebt, daß unsrer Presse im nationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/562>, abgerufen am 24.11.2024.