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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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tritt, weiß ein Lied von den Schwierigkeiten zu singen, die sich seinem "heißen
Bemühn" in den Weg stellen. Indem die Meister der Nationalökonomie nur
für ihresgleichen schrieben, haben sie den Pfuschern und Quacksalbern ein er¬
giebiges Feld überlassen, ein Feld, auf dem zu arbeiten ihre Pflicht gewesen
wäre, nicht nur im Interesse des gegenwärtig gerade in Deutschland von
Charlatanen bethörten Volks, sondern auch zum Frommen der Wissenschaft.
Auch für die Gelehrtenstube bedeutet es einen Gewinn, wenn der Lärm des
Lebens bisweilen zu ihr hinaufschlägt, und namentlich der Nationalökonom
kann aus dem Munde des einfachen Mannes manch echtes Körnlein Wahrheit
vernehmen. Wer den Schuh trägt, weiß am besten zu sagen, ob und wo er
drückt. Besteht doch ohnehin auf diesem Gebiete die Gefahr, daß die Statistik
zur höchsten Instanz erhoben werde, die Magd zur Herrin, sie, die die
Menschen nur als Zahlen behandelt und das, was wir als ihre" Kern be¬
trachten müssen, ihr persönliches Wollen und Empfinden, nicht berücksich¬
tigen kann.

Es ist den Lesern der Grenzboten bekannt, daß man innerhalb der Par¬
teien, die hente auf eine völlige Umgestaltung des privaten Bodenbesitzes
hinauswollcu, eine amerikanisch-englische und eine deutsche Richtung unter¬
scheidet. Was die erste betrifft, so darf ich wohl ans das hinweisen, was
vor einiger Zeit in diesen Heften von einem ihrer Anhänger darüber gesagt
worden ist. Weil jedoch die amerikanische Bewegung nach den Berichten, die
von drüben kommen, in stetem Wachsen begriffen ist, und weil sie gleichsam
als die Mutter der deutschen Reformbestrebungen betrachtet werden muß, so
werden dem Leser einige Mitteilungen über ihren Führer erwünscht sein. Zu
diesem Zwecke will ich ans einem Aufsatz, den ich vor kurzem an einer andern
Stelle veröffentlicht habe,") einige Sätze wiederholen.'

Henry George ist im vollen Sinne des Wortes ein LöU-naiv-irmn. Ur¬
sprünglich dem Arbeiterstande angehörend, hat er sich, nicht mit einem Schlage,
sondern Stufe um Stufe in ehrlichem Bemühen erklimmend, zum hervor¬
ragendsten Journalisten der Vereinigten Staaten emporgearbeitet. Er hat
das Leben in allen Etagen kennen gelernt. Ans seinen Werken spricht die
reichste Erfahrung und ein offner Blick für den Zusammenhang der Dinge;
ein warmes Herz treibt ihn an, die Not der Mitmenschen zu schildern, und
der Wunsch, dem vielen Elend, das er sieht, zu steuern, verleiht seinen Worten
jene Kraft der Begeisterung, die den Leser von der ersten bis zur letzte" Zeile
im Banne hält. Dabei ist seine Sprache glühend vor Eifer und von strah¬
lender Schönheit. All diese Vorzüge offenbart sein Hauptwerk I'roArss" auel
?opfre>.y, das gleich bei seinem Erscheinen eine ungewöhnliche Erregung hervor¬
rief und den Verfasser zum Bannerträger einer neuen, mächtigen Partei er-



*) Beilage zu"' Allgemeine" Zeitung Ar. Lett bis SUö.

tritt, weiß ein Lied von den Schwierigkeiten zu singen, die sich seinem „heißen
Bemühn" in den Weg stellen. Indem die Meister der Nationalökonomie nur
für ihresgleichen schrieben, haben sie den Pfuschern und Quacksalbern ein er¬
giebiges Feld überlassen, ein Feld, auf dem zu arbeiten ihre Pflicht gewesen
wäre, nicht nur im Interesse des gegenwärtig gerade in Deutschland von
Charlatanen bethörten Volks, sondern auch zum Frommen der Wissenschaft.
Auch für die Gelehrtenstube bedeutet es einen Gewinn, wenn der Lärm des
Lebens bisweilen zu ihr hinaufschlägt, und namentlich der Nationalökonom
kann aus dem Munde des einfachen Mannes manch echtes Körnlein Wahrheit
vernehmen. Wer den Schuh trägt, weiß am besten zu sagen, ob und wo er
drückt. Besteht doch ohnehin auf diesem Gebiete die Gefahr, daß die Statistik
zur höchsten Instanz erhoben werde, die Magd zur Herrin, sie, die die
Menschen nur als Zahlen behandelt und das, was wir als ihre» Kern be¬
trachten müssen, ihr persönliches Wollen und Empfinden, nicht berücksich¬
tigen kann.

Es ist den Lesern der Grenzboten bekannt, daß man innerhalb der Par¬
teien, die hente auf eine völlige Umgestaltung des privaten Bodenbesitzes
hinauswollcu, eine amerikanisch-englische und eine deutsche Richtung unter¬
scheidet. Was die erste betrifft, so darf ich wohl ans das hinweisen, was
vor einiger Zeit in diesen Heften von einem ihrer Anhänger darüber gesagt
worden ist. Weil jedoch die amerikanische Bewegung nach den Berichten, die
von drüben kommen, in stetem Wachsen begriffen ist, und weil sie gleichsam
als die Mutter der deutschen Reformbestrebungen betrachtet werden muß, so
werden dem Leser einige Mitteilungen über ihren Führer erwünscht sein. Zu
diesem Zwecke will ich ans einem Aufsatz, den ich vor kurzem an einer andern
Stelle veröffentlicht habe,") einige Sätze wiederholen.'

Henry George ist im vollen Sinne des Wortes ein LöU-naiv-irmn. Ur¬
sprünglich dem Arbeiterstande angehörend, hat er sich, nicht mit einem Schlage,
sondern Stufe um Stufe in ehrlichem Bemühen erklimmend, zum hervor¬
ragendsten Journalisten der Vereinigten Staaten emporgearbeitet. Er hat
das Leben in allen Etagen kennen gelernt. Ans seinen Werken spricht die
reichste Erfahrung und ein offner Blick für den Zusammenhang der Dinge;
ein warmes Herz treibt ihn an, die Not der Mitmenschen zu schildern, und
der Wunsch, dem vielen Elend, das er sieht, zu steuern, verleiht seinen Worten
jene Kraft der Begeisterung, die den Leser von der ersten bis zur letzte» Zeile
im Banne hält. Dabei ist seine Sprache glühend vor Eifer und von strah¬
lender Schönheit. All diese Vorzüge offenbart sein Hauptwerk I'roArss« auel
?opfre>.y, das gleich bei seinem Erscheinen eine ungewöhnliche Erregung hervor¬
rief und den Verfasser zum Bannerträger einer neuen, mächtigen Partei er-



*) Beilage zu»' Allgemeine» Zeitung Ar. Lett bis SUö.
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[0538] tritt, weiß ein Lied von den Schwierigkeiten zu singen, die sich seinem „heißen Bemühn" in den Weg stellen. Indem die Meister der Nationalökonomie nur für ihresgleichen schrieben, haben sie den Pfuschern und Quacksalbern ein er¬ giebiges Feld überlassen, ein Feld, auf dem zu arbeiten ihre Pflicht gewesen wäre, nicht nur im Interesse des gegenwärtig gerade in Deutschland von Charlatanen bethörten Volks, sondern auch zum Frommen der Wissenschaft. Auch für die Gelehrtenstube bedeutet es einen Gewinn, wenn der Lärm des Lebens bisweilen zu ihr hinaufschlägt, und namentlich der Nationalökonom kann aus dem Munde des einfachen Mannes manch echtes Körnlein Wahrheit vernehmen. Wer den Schuh trägt, weiß am besten zu sagen, ob und wo er drückt. Besteht doch ohnehin auf diesem Gebiete die Gefahr, daß die Statistik zur höchsten Instanz erhoben werde, die Magd zur Herrin, sie, die die Menschen nur als Zahlen behandelt und das, was wir als ihre» Kern be¬ trachten müssen, ihr persönliches Wollen und Empfinden, nicht berücksich¬ tigen kann. Es ist den Lesern der Grenzboten bekannt, daß man innerhalb der Par¬ teien, die hente auf eine völlige Umgestaltung des privaten Bodenbesitzes hinauswollcu, eine amerikanisch-englische und eine deutsche Richtung unter¬ scheidet. Was die erste betrifft, so darf ich wohl ans das hinweisen, was vor einiger Zeit in diesen Heften von einem ihrer Anhänger darüber gesagt worden ist. Weil jedoch die amerikanische Bewegung nach den Berichten, die von drüben kommen, in stetem Wachsen begriffen ist, und weil sie gleichsam als die Mutter der deutschen Reformbestrebungen betrachtet werden muß, so werden dem Leser einige Mitteilungen über ihren Führer erwünscht sein. Zu diesem Zwecke will ich ans einem Aufsatz, den ich vor kurzem an einer andern Stelle veröffentlicht habe,") einige Sätze wiederholen.' Henry George ist im vollen Sinne des Wortes ein LöU-naiv-irmn. Ur¬ sprünglich dem Arbeiterstande angehörend, hat er sich, nicht mit einem Schlage, sondern Stufe um Stufe in ehrlichem Bemühen erklimmend, zum hervor¬ ragendsten Journalisten der Vereinigten Staaten emporgearbeitet. Er hat das Leben in allen Etagen kennen gelernt. Ans seinen Werken spricht die reichste Erfahrung und ein offner Blick für den Zusammenhang der Dinge; ein warmes Herz treibt ihn an, die Not der Mitmenschen zu schildern, und der Wunsch, dem vielen Elend, das er sieht, zu steuern, verleiht seinen Worten jene Kraft der Begeisterung, die den Leser von der ersten bis zur letzte» Zeile im Banne hält. Dabei ist seine Sprache glühend vor Eifer und von strah¬ lender Schönheit. All diese Vorzüge offenbart sein Hauptwerk I'roArss« auel ?opfre>.y, das gleich bei seinem Erscheinen eine ungewöhnliche Erregung hervor¬ rief und den Verfasser zum Bannerträger einer neuen, mächtigen Partei er- *) Beilage zu»' Allgemeine» Zeitung Ar. Lett bis SUö.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/538>, abgerufen am 27.07.2024.