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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lharles Kingsloy als Dichter und Sozicilreformer

Ä^nler Claude Mellvt und seine heitere, lebensfrohe Gutem Sabina. Sie
wohnen in London und beherbergen die angeschwärmte Schauspielerin La
Cvrdifiamma, eine Amerikanerin mit dem wirklichen Namen Marie Lavingtvn.
Tom hat sie in Amerika kennen gelernt und ihr dort manche Ritterdienste
geleistet. Ihre Anbeter sind der reiche Amerikaner Stangrave und der kleine
Lord Skoutbush. Aber Skontbnsh muß weichen und zieht sich nach Abercilva
zu seiner Schwester Lucia zurück. Die Cholera vertreibt die Gesellschaft
nach Wales, und hier am Fuße des Snowdon spielt sich ein Eifersuchtsdrama
ab, das den Dichter Elseley in den Tod treibt.

Inzwischen ist der Krimkrieg ausgebrochen, und Tom ist sofort bereit,
sein Blut dem Vaterlande zu opfern. Er macht den Krieg mit, wird ge¬
fangen genommen und kehrt endlich nach zwei Jahren wieder nach England
zurück. Seiner Geliebten Graec ist er treu geblieben. Die Lebenskampfe
haben ihn wieder zu einem gottesfürchtigen Menschen gemacht. "Ich erkannte
-- sagt er zu ihr --, daß ich seit Jahren versucht hatte, wer der stärkere
sei, Gott oder ich. Ich erkannte, daß ich in thörichter Weise versucht hatte,
ob ich nicht ohne ihn fertig werden könnte. Dort im Kriege sah ich ein,
daß das nicht geht, daß ich es nicht konnte. Ich fühlte wie ein Kind, das
in dem Glauben, es könne seinen Weg selber finden, die Heimat verlassen
hat, aber sich sofort verirrt."

Auch der Roman I>vo?Lg,r3 ^Zo ist trotz der etwas verworrnen Hand¬
lung spannend geschrieben, die Charaktere sind vortrefflich gezeichnet, die Ge¬
spräche enthalten eine Fülle richtiger Beobachtungen und feiner psychologischer
Bemerkungen. Die Naturschilderungen, insbesondre die von dem Hochlande
von Wales, der Umgebung des Snowdon und der Mosellandschaft, sind dem
Verfasser gut gelungen.

Nach allen Angriffen, Verleumdungen und Verketzerungen, die Kingsley
zu ertragen gehabt hatte, war es eine große Genugthuung für ihn, daß ihn
die Königin Viktoria im Jahre 1859 zu ihrem Kaplan ernannte und ihn
aufforderte, in Whitehall und in Windsor vor dem Hofe zu predigen. Im
nächsten Jahre wurde ihm von Lord Palmerston die Professur für neuere
Geschichte um der Universität Cambridge übertragen. Er siedelte nach Cam¬
bridge über und wurde dort der Erzieher des Prinzen von Wales. Außer¬
dem nahmen die historischen Studien, die später sein Freund Max Müller
unter dem Titel tuo uom-in n,na eilf lautem gesammelt und herausgegeben
hat, seine Arbeitskraft fo in Anspruch, daß die Zeit von 1860 bis 1866 für
fein dichterisches Schaffen ziemlich unfruchtbar geblieben ist. Nur die litte¬
rarisch wenig bedeutende Jugenderzählung Ills 'Wg.törbMes, n, kairz^ kath lor
Ä I.Anet (übersetzt von E. Prätorius, Leipzig, Wartig, 1885) fällt in
diese Zeit; sie erschien 1862. Erst nach einer Reise, die er 1864 mit Anthony
Fronde nach Spanien und Südfrankreich machte, um sich von einer nervösen


Groi,',lioten III 1893 66
Lharles Kingsloy als Dichter und Sozicilreformer

Ä^nler Claude Mellvt und seine heitere, lebensfrohe Gutem Sabina. Sie
wohnen in London und beherbergen die angeschwärmte Schauspielerin La
Cvrdifiamma, eine Amerikanerin mit dem wirklichen Namen Marie Lavingtvn.
Tom hat sie in Amerika kennen gelernt und ihr dort manche Ritterdienste
geleistet. Ihre Anbeter sind der reiche Amerikaner Stangrave und der kleine
Lord Skoutbush. Aber Skontbnsh muß weichen und zieht sich nach Abercilva
zu seiner Schwester Lucia zurück. Die Cholera vertreibt die Gesellschaft
nach Wales, und hier am Fuße des Snowdon spielt sich ein Eifersuchtsdrama
ab, das den Dichter Elseley in den Tod treibt.

Inzwischen ist der Krimkrieg ausgebrochen, und Tom ist sofort bereit,
sein Blut dem Vaterlande zu opfern. Er macht den Krieg mit, wird ge¬
fangen genommen und kehrt endlich nach zwei Jahren wieder nach England
zurück. Seiner Geliebten Graec ist er treu geblieben. Die Lebenskampfe
haben ihn wieder zu einem gottesfürchtigen Menschen gemacht. „Ich erkannte
— sagt er zu ihr —, daß ich seit Jahren versucht hatte, wer der stärkere
sei, Gott oder ich. Ich erkannte, daß ich in thörichter Weise versucht hatte,
ob ich nicht ohne ihn fertig werden könnte. Dort im Kriege sah ich ein,
daß das nicht geht, daß ich es nicht konnte. Ich fühlte wie ein Kind, das
in dem Glauben, es könne seinen Weg selber finden, die Heimat verlassen
hat, aber sich sofort verirrt."

Auch der Roman I>vo?Lg,r3 ^Zo ist trotz der etwas verworrnen Hand¬
lung spannend geschrieben, die Charaktere sind vortrefflich gezeichnet, die Ge¬
spräche enthalten eine Fülle richtiger Beobachtungen und feiner psychologischer
Bemerkungen. Die Naturschilderungen, insbesondre die von dem Hochlande
von Wales, der Umgebung des Snowdon und der Mosellandschaft, sind dem
Verfasser gut gelungen.

Nach allen Angriffen, Verleumdungen und Verketzerungen, die Kingsley
zu ertragen gehabt hatte, war es eine große Genugthuung für ihn, daß ihn
die Königin Viktoria im Jahre 1859 zu ihrem Kaplan ernannte und ihn
aufforderte, in Whitehall und in Windsor vor dem Hofe zu predigen. Im
nächsten Jahre wurde ihm von Lord Palmerston die Professur für neuere
Geschichte um der Universität Cambridge übertragen. Er siedelte nach Cam¬
bridge über und wurde dort der Erzieher des Prinzen von Wales. Außer¬
dem nahmen die historischen Studien, die später sein Freund Max Müller
unter dem Titel tuo uom-in n,na eilf lautem gesammelt und herausgegeben
hat, seine Arbeitskraft fo in Anspruch, daß die Zeit von 1860 bis 1866 für
fein dichterisches Schaffen ziemlich unfruchtbar geblieben ist. Nur die litte¬
rarisch wenig bedeutende Jugenderzählung Ills 'Wg.törbMes, n, kairz^ kath lor
Ä I.Anet (übersetzt von E. Prätorius, Leipzig, Wartig, 1885) fällt in
diese Zeit; sie erschien 1862. Erst nach einer Reise, die er 1864 mit Anthony
Fronde nach Spanien und Südfrankreich machte, um sich von einer nervösen


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[0529] Lharles Kingsloy als Dichter und Sozicilreformer Ä^nler Claude Mellvt und seine heitere, lebensfrohe Gutem Sabina. Sie wohnen in London und beherbergen die angeschwärmte Schauspielerin La Cvrdifiamma, eine Amerikanerin mit dem wirklichen Namen Marie Lavingtvn. Tom hat sie in Amerika kennen gelernt und ihr dort manche Ritterdienste geleistet. Ihre Anbeter sind der reiche Amerikaner Stangrave und der kleine Lord Skoutbush. Aber Skontbnsh muß weichen und zieht sich nach Abercilva zu seiner Schwester Lucia zurück. Die Cholera vertreibt die Gesellschaft nach Wales, und hier am Fuße des Snowdon spielt sich ein Eifersuchtsdrama ab, das den Dichter Elseley in den Tod treibt. Inzwischen ist der Krimkrieg ausgebrochen, und Tom ist sofort bereit, sein Blut dem Vaterlande zu opfern. Er macht den Krieg mit, wird ge¬ fangen genommen und kehrt endlich nach zwei Jahren wieder nach England zurück. Seiner Geliebten Graec ist er treu geblieben. Die Lebenskampfe haben ihn wieder zu einem gottesfürchtigen Menschen gemacht. „Ich erkannte — sagt er zu ihr —, daß ich seit Jahren versucht hatte, wer der stärkere sei, Gott oder ich. Ich erkannte, daß ich in thörichter Weise versucht hatte, ob ich nicht ohne ihn fertig werden könnte. Dort im Kriege sah ich ein, daß das nicht geht, daß ich es nicht konnte. Ich fühlte wie ein Kind, das in dem Glauben, es könne seinen Weg selber finden, die Heimat verlassen hat, aber sich sofort verirrt." Auch der Roman I>vo?Lg,r3 ^Zo ist trotz der etwas verworrnen Hand¬ lung spannend geschrieben, die Charaktere sind vortrefflich gezeichnet, die Ge¬ spräche enthalten eine Fülle richtiger Beobachtungen und feiner psychologischer Bemerkungen. Die Naturschilderungen, insbesondre die von dem Hochlande von Wales, der Umgebung des Snowdon und der Mosellandschaft, sind dem Verfasser gut gelungen. Nach allen Angriffen, Verleumdungen und Verketzerungen, die Kingsley zu ertragen gehabt hatte, war es eine große Genugthuung für ihn, daß ihn die Königin Viktoria im Jahre 1859 zu ihrem Kaplan ernannte und ihn aufforderte, in Whitehall und in Windsor vor dem Hofe zu predigen. Im nächsten Jahre wurde ihm von Lord Palmerston die Professur für neuere Geschichte um der Universität Cambridge übertragen. Er siedelte nach Cam¬ bridge über und wurde dort der Erzieher des Prinzen von Wales. Außer¬ dem nahmen die historischen Studien, die später sein Freund Max Müller unter dem Titel tuo uom-in n,na eilf lautem gesammelt und herausgegeben hat, seine Arbeitskraft fo in Anspruch, daß die Zeit von 1860 bis 1866 für fein dichterisches Schaffen ziemlich unfruchtbar geblieben ist. Nur die litte¬ rarisch wenig bedeutende Jugenderzählung Ills 'Wg.törbMes, n, kairz^ kath lor Ä I.Anet (übersetzt von E. Prätorius, Leipzig, Wartig, 1885) fällt in diese Zeit; sie erschien 1862. Erst nach einer Reise, die er 1864 mit Anthony Fronde nach Spanien und Südfrankreich machte, um sich von einer nervösen Groi,',lioten III 1893 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/529>, abgerufen am 27.11.2024.