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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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also echt poetisch darstellt, so liefert Hainisch zu diesem Vorgange die statistischen
und sonstigen wirtschaftlichen Daten. Er kommt zu dem Schlüsse, daß ein
großer, vielleicht der größte Teil der Alpenbanern nicht lange mehr in seinem
friedsamen Selbstgenügen, in der ererbten Naturalwirtschaft, bei der jeder Hof
das beste Teil seines Bedarfs erzeugt, werde verharren können. Die Geld-
forderungen des Staats, der Gemeinde, die vermehrten Lebensbedürfnisse der
Familie, der steigende Lohn des Gesindes, auch die Abfindung der übrigen
Erben werden den Bauer vom Hofe drängen, dem Großbesitze neuen Grund
zuführen und zugleich der Abtrennung von Parzellen für den Häusler und die
Tagelöhner die Wege ebnen. Jnnerösterreich wird in absehbarer Zeit in den
wirtschaftlichen Weltverkehr gezogen werden und den Weg gehen, der den Sn-
detenländern gewiesen ist.

Dieser unabwendbare Gang der Dinge wird, wenn auch darüber viele
Existenzen zu Grunde gehen werden, den Charakter der Alpenländer in dem
Sinne ändern, daß sie sich durch Emporblühen der Industrie sowohl wirt¬
schaftlich als dem Bevölkerungszuwachs nach dem Norden Österreichs eben¬
bürtig an die Seite stellen werden. Hämisch hofft, daß sie rasch über den
toten Punkt hinwegkommen, die Krisis überstehen und mit Hilfe energischer
Maßregeln der Regierung entschlossen den Weg zum Eintritt in das kapita¬
listische Wirtschaftssystem einschlagen werden. Sein Gedankengang ist also
augenscheinlich von der raZs as" nonrbro" ergriffen. Die Massen sind es,
meint er, die die großen nationalen Schlachten bei den Abstimmungen der
Wähler schlagen. Die moderne Arbeiterbewegung, die sich ein theoretisch be¬
gründetes Ziel stecke, wachse unaufhörlich; es sei ein Kernschade, daß in den
Arbeitermassen Österreichs das tschechische Element so überwiege. An der großen
Zukunft, die dem Proletariat bevorstehe, müsse unter den Stämmen Österreichs
in erster Linie der deutsche teilnehmen; seine reiche Bildung befähige ihn zu
dem Siege in diesem Wettlaufe, besonders deshalb, weil die deutsche Kultur eine
Anziehungskraft üben werde auf die auf internationalem Boden stehenden Ar¬
beiter der übrigen Nationalitäten. Mit diesem versöhnenden und hoffnungs-
freudigen Ausblick schließt der Verfasser sein sorgfältig gearbeitetes Buch.

Hainischs Buch hat überdies das Verdienst, eine weitere treffliche Arbeit
angeregt zu haben, einen Aufsatz, deu Professor Heinrich Herkuer in Karlsruhe
kürzlich in einer Wiener Zeitschrift veröffentlicht hat über die nationalen
Pflichten gegenüber jenen Bevölkerungsklassen, die als Schöpfer gewaltiger
Werte des Nationalvermögens in Kummer und Armut dahinsiechen. Hcrkner
knüpft an die traurige Thatsache der hohen Sterblichkeitsziffer der Kinder in
den deutschen Fabrikbezirken Nordostböhmens an, macht auf die nationale Gefahr
aufmerksam, die in der körperlichen Degeneration der deutschen Arbeiterbevöl¬
kerung liegt, und richtet eine warme Mahnung an die deutschen Gemeinden des
Nordens, sich mit aller Thatkraft der höchsten nationalen Pflicht zuzuwenden:


also echt poetisch darstellt, so liefert Hainisch zu diesem Vorgange die statistischen
und sonstigen wirtschaftlichen Daten. Er kommt zu dem Schlüsse, daß ein
großer, vielleicht der größte Teil der Alpenbanern nicht lange mehr in seinem
friedsamen Selbstgenügen, in der ererbten Naturalwirtschaft, bei der jeder Hof
das beste Teil seines Bedarfs erzeugt, werde verharren können. Die Geld-
forderungen des Staats, der Gemeinde, die vermehrten Lebensbedürfnisse der
Familie, der steigende Lohn des Gesindes, auch die Abfindung der übrigen
Erben werden den Bauer vom Hofe drängen, dem Großbesitze neuen Grund
zuführen und zugleich der Abtrennung von Parzellen für den Häusler und die
Tagelöhner die Wege ebnen. Jnnerösterreich wird in absehbarer Zeit in den
wirtschaftlichen Weltverkehr gezogen werden und den Weg gehen, der den Sn-
detenländern gewiesen ist.

Dieser unabwendbare Gang der Dinge wird, wenn auch darüber viele
Existenzen zu Grunde gehen werden, den Charakter der Alpenländer in dem
Sinne ändern, daß sie sich durch Emporblühen der Industrie sowohl wirt¬
schaftlich als dem Bevölkerungszuwachs nach dem Norden Österreichs eben¬
bürtig an die Seite stellen werden. Hämisch hofft, daß sie rasch über den
toten Punkt hinwegkommen, die Krisis überstehen und mit Hilfe energischer
Maßregeln der Regierung entschlossen den Weg zum Eintritt in das kapita¬
listische Wirtschaftssystem einschlagen werden. Sein Gedankengang ist also
augenscheinlich von der raZs as» nonrbro» ergriffen. Die Massen sind es,
meint er, die die großen nationalen Schlachten bei den Abstimmungen der
Wähler schlagen. Die moderne Arbeiterbewegung, die sich ein theoretisch be¬
gründetes Ziel stecke, wachse unaufhörlich; es sei ein Kernschade, daß in den
Arbeitermassen Österreichs das tschechische Element so überwiege. An der großen
Zukunft, die dem Proletariat bevorstehe, müsse unter den Stämmen Österreichs
in erster Linie der deutsche teilnehmen; seine reiche Bildung befähige ihn zu
dem Siege in diesem Wettlaufe, besonders deshalb, weil die deutsche Kultur eine
Anziehungskraft üben werde auf die auf internationalem Boden stehenden Ar¬
beiter der übrigen Nationalitäten. Mit diesem versöhnenden und hoffnungs-
freudigen Ausblick schließt der Verfasser sein sorgfältig gearbeitetes Buch.

Hainischs Buch hat überdies das Verdienst, eine weitere treffliche Arbeit
angeregt zu haben, einen Aufsatz, deu Professor Heinrich Herkuer in Karlsruhe
kürzlich in einer Wiener Zeitschrift veröffentlicht hat über die nationalen
Pflichten gegenüber jenen Bevölkerungsklassen, die als Schöpfer gewaltiger
Werte des Nationalvermögens in Kummer und Armut dahinsiechen. Hcrkner
knüpft an die traurige Thatsache der hohen Sterblichkeitsziffer der Kinder in
den deutschen Fabrikbezirken Nordostböhmens an, macht auf die nationale Gefahr
aufmerksam, die in der körperlichen Degeneration der deutschen Arbeiterbevöl¬
kerung liegt, und richtet eine warme Mahnung an die deutschen Gemeinden des
Nordens, sich mit aller Thatkraft der höchsten nationalen Pflicht zuzuwenden:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/506>, abgerufen am 28.07.2024.