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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Charles Ringsley als Dichter und Sozialreformer

Oo-oxgi'Mon g.xMsä to gArivulwre, worin er auseinandersetzte, wie die Grund¬
sätze seiner Partei auf die Landwirtschaft angewandt werden könnten. Aber
auch die Angriffe blieben nicht aus. Von allen Seiten drangen die Gegner
auf die christlichen Sozialisten ein. Die Anhänger des Manchcstertums, die
Freidenker, die Dissenters, die Chartisten und die Hochkirchler, alle vereinigten
sich, um gegen die neuen, zum Teil falsch verstandnen, zum Teil gefürchteten
Bestrebungen Kingsleys vorzugehen. Selbst an persönlichen Angriffen sollte
es nicht fehlen. Im Jahre 1851 fand in London die erste große Weltaus¬
stellung statt. Eine Masse von Arbeitern war nach London gekommen, und
diesen sollte Kingsleh auf Wunsch des Pfarrers an der Johanniskirche pre¬
digen. Kingsleh war dazu bereit und wählte das Thema: Die Votschaft
der Kirche an die Arbeiter. Zum Text nahm er die Stelle Lukas 4,
16--21, wo es unter anderen heißt: "Da ward ihm das Buch des Pro¬
pheten Jesaias gereicht. Und da er das Buch öffnete, traf er die Stelle,
wo geschrieben steht: Der Geist des Herrn ist auf mir, derhalben er mich
gesalbet hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen. Er hat mich
gesandt, zu Heilen, die gebrochnen Herzens sind, zu predigen den Ge¬
fangnen, daß sie los seien, und den Blinden, daß sie wieder sehen sollen, die
Niedergeschmetterten zu entlassen in Freiheit und zu predigen daS angenehme
Jahr des Herrn." Ans Grund dieses Textes hielt Kingsleh vor den Arbeitern
eine Predigt, die voll ist von sozialdemokratischen Geiste und Anklagen ent¬
hält, wie sie schärfer und mutiger noch nie von der Kanzel herab den Schul¬
digen zugerufen worden waren. Gleich der Anfang ist eine rücksichtslose Ver¬
urteilung des Kirchenregiments und der Geistlichen. "Die Vorstellung von
der christlichen Kirche sagt er --, ist in den Köpfen vieler verbunden mit
der Vorstellung von Priesterherrschaft und Königsherrschaft, von Unterjochung
des Geistes, Verfolgung und Tyrannei. Und es wäre lächerlich, zu leugnen,
daß Ursache genug vorhanden ist, den Gedanken an die Kirche zu verbinden
mit jenen furchtbaren Sünden des Menschen gegen den Menschen." Kingsleh
verurteilt die Kirche und ihre Diener, die ihren Beruf und ihre Aufgabe ver¬
kannt hätten und nicht wissen wollten, daß Gott sie dem Volke schicke, um
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der vollsten und weitesten Bedeutung
der Worte zu predigen und zu üben. Jeder Priester, der diese Ausgabe uicht
erfülle, sei ein Verräter an Gott und den Menschen. "Ihr müßt die Kirche
beurteilen -- sagt er -- nach ihrer Idee und ihrem Wesen und nicht bloß
nach den Zufälligkeiten oder Krankheiten von Teilen an ihr. Wenn ihr ge¬
fragt würdet, was eine Eiche sei, so würdet ihr, um eure Antwort zu geben,
nicht ihre Schwämme und Galläpfel, nicht ihre Narben und Moose unter¬
suchen; ihr würdet auf das sehen, was sie im gesunden Zustand ist, aus das,
Was alle Eichen gemein haben, ans die eigentümliche Form des Stammes,
der Zweige, der Blätter und Früchte, was sie zu einer Eiche macht, unab-


Grenzboten III 1893 57
Charles Ringsley als Dichter und Sozialreformer

Oo-oxgi'Mon g.xMsä to gArivulwre, worin er auseinandersetzte, wie die Grund¬
sätze seiner Partei auf die Landwirtschaft angewandt werden könnten. Aber
auch die Angriffe blieben nicht aus. Von allen Seiten drangen die Gegner
auf die christlichen Sozialisten ein. Die Anhänger des Manchcstertums, die
Freidenker, die Dissenters, die Chartisten und die Hochkirchler, alle vereinigten
sich, um gegen die neuen, zum Teil falsch verstandnen, zum Teil gefürchteten
Bestrebungen Kingsleys vorzugehen. Selbst an persönlichen Angriffen sollte
es nicht fehlen. Im Jahre 1851 fand in London die erste große Weltaus¬
stellung statt. Eine Masse von Arbeitern war nach London gekommen, und
diesen sollte Kingsleh auf Wunsch des Pfarrers an der Johanniskirche pre¬
digen. Kingsleh war dazu bereit und wählte das Thema: Die Votschaft
der Kirche an die Arbeiter. Zum Text nahm er die Stelle Lukas 4,
16—21, wo es unter anderen heißt: „Da ward ihm das Buch des Pro¬
pheten Jesaias gereicht. Und da er das Buch öffnete, traf er die Stelle,
wo geschrieben steht: Der Geist des Herrn ist auf mir, derhalben er mich
gesalbet hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen. Er hat mich
gesandt, zu Heilen, die gebrochnen Herzens sind, zu predigen den Ge¬
fangnen, daß sie los seien, und den Blinden, daß sie wieder sehen sollen, die
Niedergeschmetterten zu entlassen in Freiheit und zu predigen daS angenehme
Jahr des Herrn." Ans Grund dieses Textes hielt Kingsleh vor den Arbeitern
eine Predigt, die voll ist von sozialdemokratischen Geiste und Anklagen ent¬
hält, wie sie schärfer und mutiger noch nie von der Kanzel herab den Schul¬
digen zugerufen worden waren. Gleich der Anfang ist eine rücksichtslose Ver¬
urteilung des Kirchenregiments und der Geistlichen. „Die Vorstellung von
der christlichen Kirche sagt er —, ist in den Köpfen vieler verbunden mit
der Vorstellung von Priesterherrschaft und Königsherrschaft, von Unterjochung
des Geistes, Verfolgung und Tyrannei. Und es wäre lächerlich, zu leugnen,
daß Ursache genug vorhanden ist, den Gedanken an die Kirche zu verbinden
mit jenen furchtbaren Sünden des Menschen gegen den Menschen." Kingsleh
verurteilt die Kirche und ihre Diener, die ihren Beruf und ihre Aufgabe ver¬
kannt hätten und nicht wissen wollten, daß Gott sie dem Volke schicke, um
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der vollsten und weitesten Bedeutung
der Worte zu predigen und zu üben. Jeder Priester, der diese Ausgabe uicht
erfülle, sei ein Verräter an Gott und den Menschen. „Ihr müßt die Kirche
beurteilen — sagt er — nach ihrer Idee und ihrem Wesen und nicht bloß
nach den Zufälligkeiten oder Krankheiten von Teilen an ihr. Wenn ihr ge¬
fragt würdet, was eine Eiche sei, so würdet ihr, um eure Antwort zu geben,
nicht ihre Schwämme und Galläpfel, nicht ihre Narben und Moose unter¬
suchen; ihr würdet auf das sehen, was sie im gesunden Zustand ist, aus das,
Was alle Eichen gemein haben, ans die eigentümliche Form des Stammes,
der Zweige, der Blätter und Früchte, was sie zu einer Eiche macht, unab-


Grenzboten III 1893 57
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/457>, abgerufen am 01.09.2024.