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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Zur Silberfrage

sein, und man kann sich auch leicht vorstellen, wie es gekommen ist, daß sich
die "Relation" Jahrtausende hindurch mit merkwürdiger Beständigkeit be¬
hauptet und nur unbedeutend um die Zahl 14 geschwankt hat. Die stärksten
Abweichungen weisen das vierte und si'ufte christliche Jahrhundert und das
Jahr 1875 auf; in der Mervvingcrzeit war das Pfund Gold nur neunmal
soviel wert wie das Pfund Silber, in dem zuletzt genannten Jahre beinahe
sechzehnmal soviel (15,98. Mit dem folgenden Jahre 1876 sodann, wo die
Relation auf 17,88 steigt, beginnt die Periode der Silberentwertung). Es
läßt sich, wie gesagt, leicht einsehen, warum die Mehr- oder Minderproduktivn
von Gold oder Silber für gewöhnlich einen so geringen Einfluß auf seinen
Preis ausübt, daß bei diesen Metallen das Gesetz von Angebot und Nach¬
frage aufgehoben zu sein scheint. Das Angebot hängt nämlich bei ihnen
weniger als bei irgend einer andern Ware von der Jahresproduktion ab, weil
ihrer Dauerhaftigkeit wegen der von Alters her gewonnene Vorrat so groß
ist, daß für gewöhnlich der Jahreszuwachs dem Gesamtschatze gegenüber nicht
in Betracht kommt. (Für das Gold hat man berechnet, daß von dem in
einem gegebnen Zeitpunkt vorhandnen Vorrat nach hundert Jahren noch vier
Fünftel übrig sind.) Für gewöhnlich sagen wir; denn daß und wie eine
außergewöhnlich starke Produktion wirkt, wissen wir ja vom sechzehnten Jahr¬
hundert her, wo der amerikanische Gold- und Silberstrom den Preis der Edel¬
metalle auf ein Fünftel hernbdrückte. Gold und Silber bilden in dieser Be¬
ziehung den stärksten Gegensatz zum Getreide, das unter allen Waren die
stärksten und raschesten Preisschwankungen ausweist, weil sein jedesmaliger
Vorrat nur aus der letzten Ernte und den Überbleibseln der vorhergehenden
besteht, svdciß das Angebot und demnach -- bei ungefähr gleichbleibender
Nachfrage -- der Preis ganz allein vom Ernteausfall zweier aufeinander¬
folgenden Jahre abhängt. Die Nachfrage aber macht sich bei den Edelmetallen
deswegen nicht sehr bemerklich, weil sie nicht, gleich den Nahrungsmitteln,
stürmisch begehrte Gebrauchsgegenstünde für jedermann sind. Der Bedarf an
Münzmetall bleibt von Jahr zu Jahr so ziemlich derselbe, goldne und silberne
Gefäße, Prunkgeräte und Schmucksachen aber kaufen nur die Reichen, und
diese ohne heftiges Begehren; findet der Nachfragende einen solchen Gegen¬
stand zu teuer, so unterläßt er ohne sonderlichen Schmerz den Einkauf oder
verschiebt ihn auf gelegnere Zeit.

Für gewöhnlich also äußert die Jahresproduktion der beiden Edelmetalle
nur geringe Wirkung auf ihren Preis. Bever geht aber zu weit, wenn er
sich einbildet, daß sie darum der Natur der Ware entkleidet und dem Gesetz
von Angebot und Nachfrage entrückt werden könnten, daß es möglich sei, die
althergebrachte, übrigens doch auch nicht ganz feste Wertrelation gesetzlich für
immer festzulegen. Seine Doppelwährung ist, will uns scheinen, ein Traum,
der weder jemals Wirklichkeit gehabt hat, uoch jemals wird verwirklicht werden


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sein, und man kann sich auch leicht vorstellen, wie es gekommen ist, daß sich
die „Relation" Jahrtausende hindurch mit merkwürdiger Beständigkeit be¬
hauptet und nur unbedeutend um die Zahl 14 geschwankt hat. Die stärksten
Abweichungen weisen das vierte und si'ufte christliche Jahrhundert und das
Jahr 1875 auf; in der Mervvingcrzeit war das Pfund Gold nur neunmal
soviel wert wie das Pfund Silber, in dem zuletzt genannten Jahre beinahe
sechzehnmal soviel (15,98. Mit dem folgenden Jahre 1876 sodann, wo die
Relation auf 17,88 steigt, beginnt die Periode der Silberentwertung). Es
läßt sich, wie gesagt, leicht einsehen, warum die Mehr- oder Minderproduktivn
von Gold oder Silber für gewöhnlich einen so geringen Einfluß auf seinen
Preis ausübt, daß bei diesen Metallen das Gesetz von Angebot und Nach¬
frage aufgehoben zu sein scheint. Das Angebot hängt nämlich bei ihnen
weniger als bei irgend einer andern Ware von der Jahresproduktion ab, weil
ihrer Dauerhaftigkeit wegen der von Alters her gewonnene Vorrat so groß
ist, daß für gewöhnlich der Jahreszuwachs dem Gesamtschatze gegenüber nicht
in Betracht kommt. (Für das Gold hat man berechnet, daß von dem in
einem gegebnen Zeitpunkt vorhandnen Vorrat nach hundert Jahren noch vier
Fünftel übrig sind.) Für gewöhnlich sagen wir; denn daß und wie eine
außergewöhnlich starke Produktion wirkt, wissen wir ja vom sechzehnten Jahr¬
hundert her, wo der amerikanische Gold- und Silberstrom den Preis der Edel¬
metalle auf ein Fünftel hernbdrückte. Gold und Silber bilden in dieser Be¬
ziehung den stärksten Gegensatz zum Getreide, das unter allen Waren die
stärksten und raschesten Preisschwankungen ausweist, weil sein jedesmaliger
Vorrat nur aus der letzten Ernte und den Überbleibseln der vorhergehenden
besteht, svdciß das Angebot und demnach — bei ungefähr gleichbleibender
Nachfrage — der Preis ganz allein vom Ernteausfall zweier aufeinander¬
folgenden Jahre abhängt. Die Nachfrage aber macht sich bei den Edelmetallen
deswegen nicht sehr bemerklich, weil sie nicht, gleich den Nahrungsmitteln,
stürmisch begehrte Gebrauchsgegenstünde für jedermann sind. Der Bedarf an
Münzmetall bleibt von Jahr zu Jahr so ziemlich derselbe, goldne und silberne
Gefäße, Prunkgeräte und Schmucksachen aber kaufen nur die Reichen, und
diese ohne heftiges Begehren; findet der Nachfragende einen solchen Gegen¬
stand zu teuer, so unterläßt er ohne sonderlichen Schmerz den Einkauf oder
verschiebt ihn auf gelegnere Zeit.

Für gewöhnlich also äußert die Jahresproduktion der beiden Edelmetalle
nur geringe Wirkung auf ihren Preis. Bever geht aber zu weit, wenn er
sich einbildet, daß sie darum der Natur der Ware entkleidet und dem Gesetz
von Angebot und Nachfrage entrückt werden könnten, daß es möglich sei, die
althergebrachte, übrigens doch auch nicht ganz feste Wertrelation gesetzlich für
immer festzulegen. Seine Doppelwährung ist, will uns scheinen, ein Traum,
der weder jemals Wirklichkeit gehabt hat, uoch jemals wird verwirklicht werden


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[0450] Zur Silberfrage sein, und man kann sich auch leicht vorstellen, wie es gekommen ist, daß sich die „Relation" Jahrtausende hindurch mit merkwürdiger Beständigkeit be¬ hauptet und nur unbedeutend um die Zahl 14 geschwankt hat. Die stärksten Abweichungen weisen das vierte und si'ufte christliche Jahrhundert und das Jahr 1875 auf; in der Mervvingcrzeit war das Pfund Gold nur neunmal soviel wert wie das Pfund Silber, in dem zuletzt genannten Jahre beinahe sechzehnmal soviel (15,98. Mit dem folgenden Jahre 1876 sodann, wo die Relation auf 17,88 steigt, beginnt die Periode der Silberentwertung). Es läßt sich, wie gesagt, leicht einsehen, warum die Mehr- oder Minderproduktivn von Gold oder Silber für gewöhnlich einen so geringen Einfluß auf seinen Preis ausübt, daß bei diesen Metallen das Gesetz von Angebot und Nach¬ frage aufgehoben zu sein scheint. Das Angebot hängt nämlich bei ihnen weniger als bei irgend einer andern Ware von der Jahresproduktion ab, weil ihrer Dauerhaftigkeit wegen der von Alters her gewonnene Vorrat so groß ist, daß für gewöhnlich der Jahreszuwachs dem Gesamtschatze gegenüber nicht in Betracht kommt. (Für das Gold hat man berechnet, daß von dem in einem gegebnen Zeitpunkt vorhandnen Vorrat nach hundert Jahren noch vier Fünftel übrig sind.) Für gewöhnlich sagen wir; denn daß und wie eine außergewöhnlich starke Produktion wirkt, wissen wir ja vom sechzehnten Jahr¬ hundert her, wo der amerikanische Gold- und Silberstrom den Preis der Edel¬ metalle auf ein Fünftel hernbdrückte. Gold und Silber bilden in dieser Be¬ ziehung den stärksten Gegensatz zum Getreide, das unter allen Waren die stärksten und raschesten Preisschwankungen ausweist, weil sein jedesmaliger Vorrat nur aus der letzten Ernte und den Überbleibseln der vorhergehenden besteht, svdciß das Angebot und demnach — bei ungefähr gleichbleibender Nachfrage — der Preis ganz allein vom Ernteausfall zweier aufeinander¬ folgenden Jahre abhängt. Die Nachfrage aber macht sich bei den Edelmetallen deswegen nicht sehr bemerklich, weil sie nicht, gleich den Nahrungsmitteln, stürmisch begehrte Gebrauchsgegenstünde für jedermann sind. Der Bedarf an Münzmetall bleibt von Jahr zu Jahr so ziemlich derselbe, goldne und silberne Gefäße, Prunkgeräte und Schmucksachen aber kaufen nur die Reichen, und diese ohne heftiges Begehren; findet der Nachfragende einen solchen Gegen¬ stand zu teuer, so unterläßt er ohne sonderlichen Schmerz den Einkauf oder verschiebt ihn auf gelegnere Zeit. Für gewöhnlich also äußert die Jahresproduktion der beiden Edelmetalle nur geringe Wirkung auf ihren Preis. Bever geht aber zu weit, wenn er sich einbildet, daß sie darum der Natur der Ware entkleidet und dem Gesetz von Angebot und Nachfrage entrückt werden könnten, daß es möglich sei, die althergebrachte, übrigens doch auch nicht ganz feste Wertrelation gesetzlich für immer festzulegen. Seine Doppelwährung ist, will uns scheinen, ein Traum, der weder jemals Wirklichkeit gehabt hat, uoch jemals wird verwirklicht werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/450>, abgerufen am 24.11.2024.