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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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von unser" Hochschulen

zu irgend einer andern innerlicher Beruf. Daß aber unsre Privatdozenten die
akademische Laufbahn aus unwiderstehlichem innern Drang beschritten, das
möchte ich für die Mehrzahl ganz entschieden bestreiten. Auffällig ist es
wenigstens, daß es gerade die, denen mau den innern Beruf zum Lehren an¬
merkt, höchstens bis zum außerordentlichen Professor, also nur zu einer schlecht
bezahlten und ziemlich einflußloser Stellung bringen. Für die philosophische
Fakultät -- ich rede hier überhaupt nur von dieser und der juristischen, und
mit Vorliebe von der ersten, weil ich sie besser kenne -- wäre es naturgemäß,
daß endlich zwischen ihr nud der höhern Schule eine Brücke geschlagen würde.
Bewährte Schulmänner sollte man zu Universitätslehrern aufrücken lassen, nur
ihnen Einfluß auf das heranwachsende Geschlecht zu sichern, statt daß man sie
im besten Falle zu Schulräten und vortragenden Räten im Ministerium er¬
nennt, wo sie sich ihr Leben lang mit Pedanterie und Büreaukrateutum herum¬
schlagen müssen. Männer, die sich in der Praxis bewährt haben, brauchte
man auch nicht mehr am Gängelbande eines geschmacklosen Prüfungsreglements
herumzuführen. Wenn über solcher Verbindung mit dem praktischen Leben der
morsche Bau unsrer Hochschulen ganz ans den Fugen ginge, ich würde ihm
keine Thräne nachweinen. Mir scheint dus längst nicht mehr zu einander zu
Passen, was man immer noch unter dem geräumigen Hut der nnivsiÄtW litts-
rg.mir zusammenzuhalten bestrebt ist; wenn ich recht sehe, so herrscht auf unsern
bessern technischen Hochschulen bereits ein viel frischerer Geist. Als sich auf
der zu Charlottenburg vor einigen Jahren die .Korps mit ihrem mittelalter¬
lichen Wesen gar zu breit machten, löste man sie kurzer Hand auf. Ein gleiches
Vorgehen wäre in Bonn oder Heidelberg einfach unmöglich, die jungen Feudal¬
herren könnten anstellen, was sie wollten.

Um noch einmal ans den Punkt zurückzukommen, von dem ich ausging'
die Universitäten sollten sich doch das beliebte Manöver, sich "ans die Hinter¬
beine zu stellen," abgewöhnen, oder, wenn sie es denn nicht lassen können,
das große Publikum sollte sich durch das Wehgeschrei um die "akademische
Freiheit" nicht irre macheu lassen. Ich habe eS als notwendig bezeichnet, daß
Lehrern und Schülern mehr freie Bewegung gewährt werde, als sie haben oder
je gehabt haben. Aber Freiheit und Zügellosigkeit sind nicht dasselbe. Man
kann es anch verstehen, daß sich die alten Herren nicht an deu Gedanken ge¬
wöhnen können, es sei vorbei mit der Poesie des Verbindungslebeus. Aber
es ist wirklich nicht viel Poesie mehr dran; denn es ist ein untrügliches Kenn¬
zeichen: was Gregor Samarow zu einem Roman einschlachtet, darin ist keine
Spur von Poesie. Die echte Poesie des Studentenlebens pflanzt sich nur in
mündlicher Überlieferung fort, und was davon gedruckt an die Öffentlichkeit
tritt, das hört auf, Poesie zu sein. An die Öffentlichkeit aber drängt sie
sich heutzutage aller Orten, und mancher Amtsrichter und auch mancher
Unterstaatssekretär wird die akademische Poesie bis an sein Lebensende nicht


Grenzboien III 18"". 54
von unser» Hochschulen

zu irgend einer andern innerlicher Beruf. Daß aber unsre Privatdozenten die
akademische Laufbahn aus unwiderstehlichem innern Drang beschritten, das
möchte ich für die Mehrzahl ganz entschieden bestreiten. Auffällig ist es
wenigstens, daß es gerade die, denen mau den innern Beruf zum Lehren an¬
merkt, höchstens bis zum außerordentlichen Professor, also nur zu einer schlecht
bezahlten und ziemlich einflußloser Stellung bringen. Für die philosophische
Fakultät — ich rede hier überhaupt nur von dieser und der juristischen, und
mit Vorliebe von der ersten, weil ich sie besser kenne — wäre es naturgemäß,
daß endlich zwischen ihr nud der höhern Schule eine Brücke geschlagen würde.
Bewährte Schulmänner sollte man zu Universitätslehrern aufrücken lassen, nur
ihnen Einfluß auf das heranwachsende Geschlecht zu sichern, statt daß man sie
im besten Falle zu Schulräten und vortragenden Räten im Ministerium er¬
nennt, wo sie sich ihr Leben lang mit Pedanterie und Büreaukrateutum herum¬
schlagen müssen. Männer, die sich in der Praxis bewährt haben, brauchte
man auch nicht mehr am Gängelbande eines geschmacklosen Prüfungsreglements
herumzuführen. Wenn über solcher Verbindung mit dem praktischen Leben der
morsche Bau unsrer Hochschulen ganz ans den Fugen ginge, ich würde ihm
keine Thräne nachweinen. Mir scheint dus längst nicht mehr zu einander zu
Passen, was man immer noch unter dem geräumigen Hut der nnivsiÄtW litts-
rg.mir zusammenzuhalten bestrebt ist; wenn ich recht sehe, so herrscht auf unsern
bessern technischen Hochschulen bereits ein viel frischerer Geist. Als sich auf
der zu Charlottenburg vor einigen Jahren die .Korps mit ihrem mittelalter¬
lichen Wesen gar zu breit machten, löste man sie kurzer Hand auf. Ein gleiches
Vorgehen wäre in Bonn oder Heidelberg einfach unmöglich, die jungen Feudal¬
herren könnten anstellen, was sie wollten.

Um noch einmal ans den Punkt zurückzukommen, von dem ich ausging'
die Universitäten sollten sich doch das beliebte Manöver, sich „ans die Hinter¬
beine zu stellen," abgewöhnen, oder, wenn sie es denn nicht lassen können,
das große Publikum sollte sich durch das Wehgeschrei um die „akademische
Freiheit" nicht irre macheu lassen. Ich habe eS als notwendig bezeichnet, daß
Lehrern und Schülern mehr freie Bewegung gewährt werde, als sie haben oder
je gehabt haben. Aber Freiheit und Zügellosigkeit sind nicht dasselbe. Man
kann es anch verstehen, daß sich die alten Herren nicht an deu Gedanken ge¬
wöhnen können, es sei vorbei mit der Poesie des Verbindungslebeus. Aber
es ist wirklich nicht viel Poesie mehr dran; denn es ist ein untrügliches Kenn¬
zeichen: was Gregor Samarow zu einem Roman einschlachtet, darin ist keine
Spur von Poesie. Die echte Poesie des Studentenlebens pflanzt sich nur in
mündlicher Überlieferung fort, und was davon gedruckt an die Öffentlichkeit
tritt, das hört auf, Poesie zu sein. An die Öffentlichkeit aber drängt sie
sich heutzutage aller Orten, und mancher Amtsrichter und auch mancher
Unterstaatssekretär wird die akademische Poesie bis an sein Lebensende nicht


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[0433] von unser» Hochschulen zu irgend einer andern innerlicher Beruf. Daß aber unsre Privatdozenten die akademische Laufbahn aus unwiderstehlichem innern Drang beschritten, das möchte ich für die Mehrzahl ganz entschieden bestreiten. Auffällig ist es wenigstens, daß es gerade die, denen mau den innern Beruf zum Lehren an¬ merkt, höchstens bis zum außerordentlichen Professor, also nur zu einer schlecht bezahlten und ziemlich einflußloser Stellung bringen. Für die philosophische Fakultät — ich rede hier überhaupt nur von dieser und der juristischen, und mit Vorliebe von der ersten, weil ich sie besser kenne — wäre es naturgemäß, daß endlich zwischen ihr nud der höhern Schule eine Brücke geschlagen würde. Bewährte Schulmänner sollte man zu Universitätslehrern aufrücken lassen, nur ihnen Einfluß auf das heranwachsende Geschlecht zu sichern, statt daß man sie im besten Falle zu Schulräten und vortragenden Räten im Ministerium er¬ nennt, wo sie sich ihr Leben lang mit Pedanterie und Büreaukrateutum herum¬ schlagen müssen. Männer, die sich in der Praxis bewährt haben, brauchte man auch nicht mehr am Gängelbande eines geschmacklosen Prüfungsreglements herumzuführen. Wenn über solcher Verbindung mit dem praktischen Leben der morsche Bau unsrer Hochschulen ganz ans den Fugen ginge, ich würde ihm keine Thräne nachweinen. Mir scheint dus längst nicht mehr zu einander zu Passen, was man immer noch unter dem geräumigen Hut der nnivsiÄtW litts- rg.mir zusammenzuhalten bestrebt ist; wenn ich recht sehe, so herrscht auf unsern bessern technischen Hochschulen bereits ein viel frischerer Geist. Als sich auf der zu Charlottenburg vor einigen Jahren die .Korps mit ihrem mittelalter¬ lichen Wesen gar zu breit machten, löste man sie kurzer Hand auf. Ein gleiches Vorgehen wäre in Bonn oder Heidelberg einfach unmöglich, die jungen Feudal¬ herren könnten anstellen, was sie wollten. Um noch einmal ans den Punkt zurückzukommen, von dem ich ausging' die Universitäten sollten sich doch das beliebte Manöver, sich „ans die Hinter¬ beine zu stellen," abgewöhnen, oder, wenn sie es denn nicht lassen können, das große Publikum sollte sich durch das Wehgeschrei um die „akademische Freiheit" nicht irre macheu lassen. Ich habe eS als notwendig bezeichnet, daß Lehrern und Schülern mehr freie Bewegung gewährt werde, als sie haben oder je gehabt haben. Aber Freiheit und Zügellosigkeit sind nicht dasselbe. Man kann es anch verstehen, daß sich die alten Herren nicht an deu Gedanken ge¬ wöhnen können, es sei vorbei mit der Poesie des Verbindungslebeus. Aber es ist wirklich nicht viel Poesie mehr dran; denn es ist ein untrügliches Kenn¬ zeichen: was Gregor Samarow zu einem Roman einschlachtet, darin ist keine Spur von Poesie. Die echte Poesie des Studentenlebens pflanzt sich nur in mündlicher Überlieferung fort, und was davon gedruckt an die Öffentlichkeit tritt, das hört auf, Poesie zu sein. An die Öffentlichkeit aber drängt sie sich heutzutage aller Orten, und mancher Amtsrichter und auch mancher Unterstaatssekretär wird die akademische Poesie bis an sein Lebensende nicht Grenzboien III 18«". 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/433>, abgerufen am 28.07.2024.