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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Humor und Humoristen

sichten waren gut, sie beruhten ans der festen Überzeugung, eine hei ige Pflicht
an ihren Mitmenschen zu erfüllen. Wo über finden sich solche Absichten bei
unsern modernen Satirikern? Man sucht sich ja nnr über das Elend der
Gegenwart hiuwegzuwitzelu, um es zu vergessen; man macht sich lustig über
die Welt, weil mau im legten Grunde an ihr verzweifelt.

Die moderne Satire wird daher vollends unsrer humoristischen Impotenz
uicht abhelfen, sondern sie eher verschlimmern, dafür sorgt schon unsre hastende,
nimmer rastende Zeit. Während der Witz zu alleu Zeiten und uuter allem
Umständen, wennauch freilich in verschiednen Maße, emporgesproßt ist. erblüht
die Blume des Humors uur selteu und unter besondern Verhältnissen. Nicht
in dem Wirbel schnelllebiger Jahre, nicht unter deu Stürmen welterschüttern-
der Ereignisse, sondern nur auf dem Boden ruhiger Zeiten grüne der Humor
üppiger. Die Zeiten nach der Reformation, die trägen Friedensjahre vor
1813, vor und nach 1848 haben unsre besten Humoristen erzeugt; in diesen
Jahrzehnten gab namentlich ein reich entwickeltes und meist verwickeltes Ge¬
sellschaftsleben, verbunden mit einem beschaulichem Familienleben ^loff für die
Lachlust des launigen Beobachters. Fast scheint es, als dürfte man darnach
den Schluß wageii, auch die Gegenwart sei nach den gewaltigen Stürmen der
deutschen Reichsgründung besonders geeignet, dem Humoristen als Studienfeld
M dienen; aber der Schein trügt. Trotz der zwanzig langen Friedensjahre
haben wir noch keine Ruhe, auf die äußern Kämpfe sind innere gefolgt und
werden weitere folgen. Zwar in der Kunst hat sich bereits ein glückverhei¬
ßender Bote gezeigt, die hübschen Zeichmmgen deS Hamburger Künstlers
Alters haben bei dem deutschen Publikum selbst Oberländers geistvolle Kari¬
katuren ausgestochen. Aber erst die kommende Zeit wird lehren, welcher Taube
Noahs dieser Vorbote gleicht; vor der Hand wenigstens zeigt unsre Litteratur,
daß für die Entwicklung neuen Humors die Wasser noch nicht gefallen find.

Bis auf deu heutigen Tag ist der Humor, wohl in enger Verbindung
mit dem vielgerühmten deutschen Gemüt oft als ein besondrer Vorzug des
"Volkes der Dichter und Denker" bezeichnet worden, und wenn man diese
etwas prahlerische Vehauptuug nicht recht festhalten konnte, war man so gnädig,
wenigstens die Engländer gütigst mit einzuschließen. Ganz abgesehen nun davon,
daß wir auf dem Gebiete des Humors thatsächlich hinter den Engländern
zurückstehen (man denke nnr an Shakespeare und Dickens), so liegt doch eine
gewisse Wahrheit in jener kühnen Behauptung. In den Litteraturen andrer
Volksstümme sind die Humoristen erst recht dünn gesät. Bei den Slawen
kann man von einer humoristischen Litteratur überhaupt kaum sprechen. Bei
den Romanen liegt es schon in ihrem ganzen Naturell, in ihrem feurigen,leicht beweglichen Volkscharakter begründet, daß sie die wechselvolle, wenn
auch niedrigere Sphäre des Witzes vorziehen. Der Germane grübelt, der
Romane sprüht Funken. Während bei dem Germanen das Gemüt den Ver-


Humor und Humoristen

sichten waren gut, sie beruhten ans der festen Überzeugung, eine hei ige Pflicht
an ihren Mitmenschen zu erfüllen. Wo über finden sich solche Absichten bei
unsern modernen Satirikern? Man sucht sich ja nnr über das Elend der
Gegenwart hiuwegzuwitzelu, um es zu vergessen; man macht sich lustig über
die Welt, weil mau im legten Grunde an ihr verzweifelt.

Die moderne Satire wird daher vollends unsrer humoristischen Impotenz
uicht abhelfen, sondern sie eher verschlimmern, dafür sorgt schon unsre hastende,
nimmer rastende Zeit. Während der Witz zu alleu Zeiten und uuter allem
Umständen, wennauch freilich in verschiednen Maße, emporgesproßt ist. erblüht
die Blume des Humors uur selteu und unter besondern Verhältnissen. Nicht
in dem Wirbel schnelllebiger Jahre, nicht unter deu Stürmen welterschüttern-
der Ereignisse, sondern nur auf dem Boden ruhiger Zeiten grüne der Humor
üppiger. Die Zeiten nach der Reformation, die trägen Friedensjahre vor
1813, vor und nach 1848 haben unsre besten Humoristen erzeugt; in diesen
Jahrzehnten gab namentlich ein reich entwickeltes und meist verwickeltes Ge¬
sellschaftsleben, verbunden mit einem beschaulichem Familienleben ^loff für die
Lachlust des launigen Beobachters. Fast scheint es, als dürfte man darnach
den Schluß wageii, auch die Gegenwart sei nach den gewaltigen Stürmen der
deutschen Reichsgründung besonders geeignet, dem Humoristen als Studienfeld
M dienen; aber der Schein trügt. Trotz der zwanzig langen Friedensjahre
haben wir noch keine Ruhe, auf die äußern Kämpfe sind innere gefolgt und
werden weitere folgen. Zwar in der Kunst hat sich bereits ein glückverhei¬
ßender Bote gezeigt, die hübschen Zeichmmgen deS Hamburger Künstlers
Alters haben bei dem deutschen Publikum selbst Oberländers geistvolle Kari¬
katuren ausgestochen. Aber erst die kommende Zeit wird lehren, welcher Taube
Noahs dieser Vorbote gleicht; vor der Hand wenigstens zeigt unsre Litteratur,
daß für die Entwicklung neuen Humors die Wasser noch nicht gefallen find.

Bis auf deu heutigen Tag ist der Humor, wohl in enger Verbindung
mit dem vielgerühmten deutschen Gemüt oft als ein besondrer Vorzug des
„Volkes der Dichter und Denker" bezeichnet worden, und wenn man diese
etwas prahlerische Vehauptuug nicht recht festhalten konnte, war man so gnädig,
wenigstens die Engländer gütigst mit einzuschließen. Ganz abgesehen nun davon,
daß wir auf dem Gebiete des Humors thatsächlich hinter den Engländern
zurückstehen (man denke nnr an Shakespeare und Dickens), so liegt doch eine
gewisse Wahrheit in jener kühnen Behauptung. In den Litteraturen andrer
Volksstümme sind die Humoristen erst recht dünn gesät. Bei den Slawen
kann man von einer humoristischen Litteratur überhaupt kaum sprechen. Bei
den Romanen liegt es schon in ihrem ganzen Naturell, in ihrem feurigen,leicht beweglichen Volkscharakter begründet, daß sie die wechselvolle, wenn
auch niedrigere Sphäre des Witzes vorziehen. Der Germane grübelt, der
Romane sprüht Funken. Während bei dem Germanen das Gemüt den Ver-


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[0043] Humor und Humoristen sichten waren gut, sie beruhten ans der festen Überzeugung, eine hei ige Pflicht an ihren Mitmenschen zu erfüllen. Wo über finden sich solche Absichten bei unsern modernen Satirikern? Man sucht sich ja nnr über das Elend der Gegenwart hiuwegzuwitzelu, um es zu vergessen; man macht sich lustig über die Welt, weil mau im legten Grunde an ihr verzweifelt. Die moderne Satire wird daher vollends unsrer humoristischen Impotenz uicht abhelfen, sondern sie eher verschlimmern, dafür sorgt schon unsre hastende, nimmer rastende Zeit. Während der Witz zu alleu Zeiten und uuter allem Umständen, wennauch freilich in verschiednen Maße, emporgesproßt ist. erblüht die Blume des Humors uur selteu und unter besondern Verhältnissen. Nicht in dem Wirbel schnelllebiger Jahre, nicht unter deu Stürmen welterschüttern- der Ereignisse, sondern nur auf dem Boden ruhiger Zeiten grüne der Humor üppiger. Die Zeiten nach der Reformation, die trägen Friedensjahre vor 1813, vor und nach 1848 haben unsre besten Humoristen erzeugt; in diesen Jahrzehnten gab namentlich ein reich entwickeltes und meist verwickeltes Ge¬ sellschaftsleben, verbunden mit einem beschaulichem Familienleben ^loff für die Lachlust des launigen Beobachters. Fast scheint es, als dürfte man darnach den Schluß wageii, auch die Gegenwart sei nach den gewaltigen Stürmen der deutschen Reichsgründung besonders geeignet, dem Humoristen als Studienfeld M dienen; aber der Schein trügt. Trotz der zwanzig langen Friedensjahre haben wir noch keine Ruhe, auf die äußern Kämpfe sind innere gefolgt und werden weitere folgen. Zwar in der Kunst hat sich bereits ein glückverhei¬ ßender Bote gezeigt, die hübschen Zeichmmgen deS Hamburger Künstlers Alters haben bei dem deutschen Publikum selbst Oberländers geistvolle Kari¬ katuren ausgestochen. Aber erst die kommende Zeit wird lehren, welcher Taube Noahs dieser Vorbote gleicht; vor der Hand wenigstens zeigt unsre Litteratur, daß für die Entwicklung neuen Humors die Wasser noch nicht gefallen find. Bis auf deu heutigen Tag ist der Humor, wohl in enger Verbindung mit dem vielgerühmten deutschen Gemüt oft als ein besondrer Vorzug des „Volkes der Dichter und Denker" bezeichnet worden, und wenn man diese etwas prahlerische Vehauptuug nicht recht festhalten konnte, war man so gnädig, wenigstens die Engländer gütigst mit einzuschließen. Ganz abgesehen nun davon, daß wir auf dem Gebiete des Humors thatsächlich hinter den Engländern zurückstehen (man denke nnr an Shakespeare und Dickens), so liegt doch eine gewisse Wahrheit in jener kühnen Behauptung. In den Litteraturen andrer Volksstümme sind die Humoristen erst recht dünn gesät. Bei den Slawen kann man von einer humoristischen Litteratur überhaupt kaum sprechen. Bei den Romanen liegt es schon in ihrem ganzen Naturell, in ihrem feurigen,leicht beweglichen Volkscharakter begründet, daß sie die wechselvolle, wenn auch niedrigere Sphäre des Witzes vorziehen. Der Germane grübelt, der Romane sprüht Funken. Während bei dem Germanen das Gemüt den Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/43>, abgerufen am 01.09.2024.