Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Humor und Humoristen

Die moderne Humoristik, so paradox es klingen mag, will von wirklichem
Humor gar nichts wissen. An dieser traurigen Thatsache sind aber nicht bloß
die Dichter, sondern zum großen Teile mich das Publikum schuld. In den
letzten Jahrzehnten ist nach und nach der Zeitgeschmack ein andrer geworden:
der moderne Leser will gar nicht vor allem erquickende Lektüre, dazu fehlt
ihm schon viel zu sehr die Naivität der Väter, er will vor allem pikante Lek¬
türe haben, die seine Bosheit kitzelt; er will nicht mehr den idealen Humor
-- der dünkt ihm altfränkisch --, er will die Satire, die seiner Meinung nach
allein für unser modernes Leben paßt. Und er hat vielleicht nicht Unrecht
damit.

Jede Zeit trägt ihren besondern Stempel, und bei allem liebenswürdigen
Optimismus gegenüber der Gegenwart läßt sich doch nicht leugnen, daß sie
für die ungestörte Entfaltung eines echten Humoristen so wenig geeignet ist
wie kaum je eine andre Zeit. Die Litteraturgeschichte läßt sich ja ebenso
wenig schablonisiren wie die Weltgeschichte, aber dennoch ist es wohl nicht
zuviel gesagt, daß unsre Zeit mit allen großen Kulturperioden das Schicksal
teilt, daß sich unter dem scharfen Kontrast der Erscheinungen nur selten der
Witz zu der lichten Höhe des Humors erhebt, um so mehr aber in den
Leistungen beißender Satire glänzt; man denke nnr an die nachperikleische und
an die Cnsarenzeit. Einen entscheidenden Einfluß auf den Zeitcharakter übt
jedenfalls die Politik, der man ja geradezu nachsagt, daß sie den Charakter
verderbe, namentlich die Parteipolitik, die heutzutage auf Kosten unsers National¬
bewußtseins vorherrscht. Sie dient lediglich dazu, daß die Nisse und Unter¬
schiede im Volke immer weiter auseinander klaffen, die Geister immer heftiger
aufeinander platzen. Wahrhaftig eine für den Humor recht ungeeignete Zeit!

Und in der That, wohin man blickt, im Roman, in der Novelle, im
Liede und selbst im Drama schwindet mehr und mehr die humoristische Epi¬
sode; Unzufriedenheit, Spott und damit die Satire drangt sich in den Vorder¬
grund. Zwar wartet das scheidende Jahrhundert noch immer eines wahrhaft
großen Satirikers, aber im Zeitalter der Satire leben wir schon lange. Und
die moderne Satire ist recht eigentlich ein Kind des Witzes. Damit soll nicht
gesagt sein, daß es nicht auch einen Humor der Satire geben könne, nein,
die großen Satiriker des sechzehnten Jahrhunderts zählen ganz gewiß mich zu
den größten Humoristen aller Zeiten, aber ihre Satire ging eben nicht aus
von giftiger Laune, pessimistischer Weltverachtung oder gar grimmiger Verzweif¬
lung, sondern sie entsprang aus keckem Übermut, derbem Freimut und aus¬
gelassener Lust zum Widerspruch in einer philiströsen und dabei aufgeblasenen
Zeit. Ihr Meister und Vorbild war der muntere Horaz, aber nicht der ver¬
bitterte Juvenal. Ein Muruer, ein Fischart, selbst ein Rabelais war bei aller
beißenden Ironie, bei allem schonungsloser Spott doch immer von tiefem,
sittlichem Ernst erfüllt; ihr Humor war oft derb und wild, aber ihre Ab-


Humor und Humoristen

Die moderne Humoristik, so paradox es klingen mag, will von wirklichem
Humor gar nichts wissen. An dieser traurigen Thatsache sind aber nicht bloß
die Dichter, sondern zum großen Teile mich das Publikum schuld. In den
letzten Jahrzehnten ist nach und nach der Zeitgeschmack ein andrer geworden:
der moderne Leser will gar nicht vor allem erquickende Lektüre, dazu fehlt
ihm schon viel zu sehr die Naivität der Väter, er will vor allem pikante Lek¬
türe haben, die seine Bosheit kitzelt; er will nicht mehr den idealen Humor
— der dünkt ihm altfränkisch —, er will die Satire, die seiner Meinung nach
allein für unser modernes Leben paßt. Und er hat vielleicht nicht Unrecht
damit.

Jede Zeit trägt ihren besondern Stempel, und bei allem liebenswürdigen
Optimismus gegenüber der Gegenwart läßt sich doch nicht leugnen, daß sie
für die ungestörte Entfaltung eines echten Humoristen so wenig geeignet ist
wie kaum je eine andre Zeit. Die Litteraturgeschichte läßt sich ja ebenso
wenig schablonisiren wie die Weltgeschichte, aber dennoch ist es wohl nicht
zuviel gesagt, daß unsre Zeit mit allen großen Kulturperioden das Schicksal
teilt, daß sich unter dem scharfen Kontrast der Erscheinungen nur selten der
Witz zu der lichten Höhe des Humors erhebt, um so mehr aber in den
Leistungen beißender Satire glänzt; man denke nnr an die nachperikleische und
an die Cnsarenzeit. Einen entscheidenden Einfluß auf den Zeitcharakter übt
jedenfalls die Politik, der man ja geradezu nachsagt, daß sie den Charakter
verderbe, namentlich die Parteipolitik, die heutzutage auf Kosten unsers National¬
bewußtseins vorherrscht. Sie dient lediglich dazu, daß die Nisse und Unter¬
schiede im Volke immer weiter auseinander klaffen, die Geister immer heftiger
aufeinander platzen. Wahrhaftig eine für den Humor recht ungeeignete Zeit!

Und in der That, wohin man blickt, im Roman, in der Novelle, im
Liede und selbst im Drama schwindet mehr und mehr die humoristische Epi¬
sode; Unzufriedenheit, Spott und damit die Satire drangt sich in den Vorder¬
grund. Zwar wartet das scheidende Jahrhundert noch immer eines wahrhaft
großen Satirikers, aber im Zeitalter der Satire leben wir schon lange. Und
die moderne Satire ist recht eigentlich ein Kind des Witzes. Damit soll nicht
gesagt sein, daß es nicht auch einen Humor der Satire geben könne, nein,
die großen Satiriker des sechzehnten Jahrhunderts zählen ganz gewiß mich zu
den größten Humoristen aller Zeiten, aber ihre Satire ging eben nicht aus
von giftiger Laune, pessimistischer Weltverachtung oder gar grimmiger Verzweif¬
lung, sondern sie entsprang aus keckem Übermut, derbem Freimut und aus¬
gelassener Lust zum Widerspruch in einer philiströsen und dabei aufgeblasenen
Zeit. Ihr Meister und Vorbild war der muntere Horaz, aber nicht der ver¬
bitterte Juvenal. Ein Muruer, ein Fischart, selbst ein Rabelais war bei aller
beißenden Ironie, bei allem schonungsloser Spott doch immer von tiefem,
sittlichem Ernst erfüllt; ihr Humor war oft derb und wild, aber ihre Ab-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215132"/>
          <fw type="header" place="top"> Humor und Humoristen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_131"> Die moderne Humoristik, so paradox es klingen mag, will von wirklichem<lb/>
Humor gar nichts wissen. An dieser traurigen Thatsache sind aber nicht bloß<lb/>
die Dichter, sondern zum großen Teile mich das Publikum schuld. In den<lb/>
letzten Jahrzehnten ist nach und nach der Zeitgeschmack ein andrer geworden:<lb/>
der moderne Leser will gar nicht vor allem erquickende Lektüre, dazu fehlt<lb/>
ihm schon viel zu sehr die Naivität der Väter, er will vor allem pikante Lek¬<lb/>
türe haben, die seine Bosheit kitzelt; er will nicht mehr den idealen Humor<lb/>
&#x2014; der dünkt ihm altfränkisch &#x2014;, er will die Satire, die seiner Meinung nach<lb/>
allein für unser modernes Leben paßt. Und er hat vielleicht nicht Unrecht<lb/>
damit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_132"> Jede Zeit trägt ihren besondern Stempel, und bei allem liebenswürdigen<lb/>
Optimismus gegenüber der Gegenwart läßt sich doch nicht leugnen, daß sie<lb/>
für die ungestörte Entfaltung eines echten Humoristen so wenig geeignet ist<lb/>
wie kaum je eine andre Zeit. Die Litteraturgeschichte läßt sich ja ebenso<lb/>
wenig schablonisiren wie die Weltgeschichte, aber dennoch ist es wohl nicht<lb/>
zuviel gesagt, daß unsre Zeit mit allen großen Kulturperioden das Schicksal<lb/>
teilt, daß sich unter dem scharfen Kontrast der Erscheinungen nur selten der<lb/>
Witz zu der lichten Höhe des Humors erhebt, um so mehr aber in den<lb/>
Leistungen beißender Satire glänzt; man denke nnr an die nachperikleische und<lb/>
an die Cnsarenzeit. Einen entscheidenden Einfluß auf den Zeitcharakter übt<lb/>
jedenfalls die Politik, der man ja geradezu nachsagt, daß sie den Charakter<lb/>
verderbe, namentlich die Parteipolitik, die heutzutage auf Kosten unsers National¬<lb/>
bewußtseins vorherrscht. Sie dient lediglich dazu, daß die Nisse und Unter¬<lb/>
schiede im Volke immer weiter auseinander klaffen, die Geister immer heftiger<lb/>
aufeinander platzen.  Wahrhaftig eine für den Humor recht ungeeignete Zeit!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_133" next="#ID_134"> Und in der That, wohin man blickt, im Roman, in der Novelle, im<lb/>
Liede und selbst im Drama schwindet mehr und mehr die humoristische Epi¬<lb/>
sode; Unzufriedenheit, Spott und damit die Satire drangt sich in den Vorder¬<lb/>
grund. Zwar wartet das scheidende Jahrhundert noch immer eines wahrhaft<lb/>
großen Satirikers, aber im Zeitalter der Satire leben wir schon lange. Und<lb/>
die moderne Satire ist recht eigentlich ein Kind des Witzes. Damit soll nicht<lb/>
gesagt sein, daß es nicht auch einen Humor der Satire geben könne, nein,<lb/>
die großen Satiriker des sechzehnten Jahrhunderts zählen ganz gewiß mich zu<lb/>
den größten Humoristen aller Zeiten, aber ihre Satire ging eben nicht aus<lb/>
von giftiger Laune, pessimistischer Weltverachtung oder gar grimmiger Verzweif¬<lb/>
lung, sondern sie entsprang aus keckem Übermut, derbem Freimut und aus¬<lb/>
gelassener Lust zum Widerspruch in einer philiströsen und dabei aufgeblasenen<lb/>
Zeit. Ihr Meister und Vorbild war der muntere Horaz, aber nicht der ver¬<lb/>
bitterte Juvenal. Ein Muruer, ein Fischart, selbst ein Rabelais war bei aller<lb/>
beißenden Ironie, bei allem schonungsloser Spott doch immer von tiefem,<lb/>
sittlichem Ernst erfüllt; ihr Humor war oft derb und wild, aber ihre Ab-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] Humor und Humoristen Die moderne Humoristik, so paradox es klingen mag, will von wirklichem Humor gar nichts wissen. An dieser traurigen Thatsache sind aber nicht bloß die Dichter, sondern zum großen Teile mich das Publikum schuld. In den letzten Jahrzehnten ist nach und nach der Zeitgeschmack ein andrer geworden: der moderne Leser will gar nicht vor allem erquickende Lektüre, dazu fehlt ihm schon viel zu sehr die Naivität der Väter, er will vor allem pikante Lek¬ türe haben, die seine Bosheit kitzelt; er will nicht mehr den idealen Humor — der dünkt ihm altfränkisch —, er will die Satire, die seiner Meinung nach allein für unser modernes Leben paßt. Und er hat vielleicht nicht Unrecht damit. Jede Zeit trägt ihren besondern Stempel, und bei allem liebenswürdigen Optimismus gegenüber der Gegenwart läßt sich doch nicht leugnen, daß sie für die ungestörte Entfaltung eines echten Humoristen so wenig geeignet ist wie kaum je eine andre Zeit. Die Litteraturgeschichte läßt sich ja ebenso wenig schablonisiren wie die Weltgeschichte, aber dennoch ist es wohl nicht zuviel gesagt, daß unsre Zeit mit allen großen Kulturperioden das Schicksal teilt, daß sich unter dem scharfen Kontrast der Erscheinungen nur selten der Witz zu der lichten Höhe des Humors erhebt, um so mehr aber in den Leistungen beißender Satire glänzt; man denke nnr an die nachperikleische und an die Cnsarenzeit. Einen entscheidenden Einfluß auf den Zeitcharakter übt jedenfalls die Politik, der man ja geradezu nachsagt, daß sie den Charakter verderbe, namentlich die Parteipolitik, die heutzutage auf Kosten unsers National¬ bewußtseins vorherrscht. Sie dient lediglich dazu, daß die Nisse und Unter¬ schiede im Volke immer weiter auseinander klaffen, die Geister immer heftiger aufeinander platzen. Wahrhaftig eine für den Humor recht ungeeignete Zeit! Und in der That, wohin man blickt, im Roman, in der Novelle, im Liede und selbst im Drama schwindet mehr und mehr die humoristische Epi¬ sode; Unzufriedenheit, Spott und damit die Satire drangt sich in den Vorder¬ grund. Zwar wartet das scheidende Jahrhundert noch immer eines wahrhaft großen Satirikers, aber im Zeitalter der Satire leben wir schon lange. Und die moderne Satire ist recht eigentlich ein Kind des Witzes. Damit soll nicht gesagt sein, daß es nicht auch einen Humor der Satire geben könne, nein, die großen Satiriker des sechzehnten Jahrhunderts zählen ganz gewiß mich zu den größten Humoristen aller Zeiten, aber ihre Satire ging eben nicht aus von giftiger Laune, pessimistischer Weltverachtung oder gar grimmiger Verzweif¬ lung, sondern sie entsprang aus keckem Übermut, derbem Freimut und aus¬ gelassener Lust zum Widerspruch in einer philiströsen und dabei aufgeblasenen Zeit. Ihr Meister und Vorbild war der muntere Horaz, aber nicht der ver¬ bitterte Juvenal. Ein Muruer, ein Fischart, selbst ein Rabelais war bei aller beißenden Ironie, bei allem schonungsloser Spott doch immer von tiefem, sittlichem Ernst erfüllt; ihr Humor war oft derb und wild, aber ihre Ab-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/42>, abgerufen am 23.11.2024.