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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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die brutale Oberstleutnantsmoral der Suderuuinnschen "Heimat." Solange
die Begeisterung der Burschenschafterzeit dem harmlosen Nil studentischer
Form und Umgangssprache die Wage hielt, so lange war er ungefährlich.
Seit aber die Begeisterung bei unsrer studirenden Jugend aus der Mode ge¬
kommen ist, seitdem hat der Ulk aufgehört, harmlos zu sein. Da das ernste
Gegengewicht fehlt, so hat er die Studentenschaft immer tiefer hinabgezogen
in die beengenden Bande eines geisttötenden Formalismus.

Aber nochmals drängt sich die Frage ans: wie war das möglich? Denn
das Auffällige an dieser Thatsache ist, daß der junge Fuchs in der Regel einen
ganz gewaltigen Wissensdurst von der Schule mit auf die Universität bringt.
Dort, so hofft er, werde ihm die Herrlichkeit der Wissenschaft erst recht auf¬
gehen, dort werde er Antwort bekommen auf so manche Frage, die während
der Schulzeit unbeantwortet geblieben ist. Anfangs sitzt er auch fleißig im
Kolleg und arbeitet zu Hause ein paar Stunden lang durch, was er gehört
hat; dann schwärzt er eine Stunde, dann zwei, dann findet er, daß er den
Faden verloren hat, und nun bleibt er ganz weg, um sich dem fidele" Burscheu¬
leben in die Arme zu werfen. Man wird sagen, das sei der gewöhnliche
Lauf der Verführung. Das ist richtig, es erklärt aber noch nicht alles. Wer
nämlich die verschiednen Fakultäten beobachtet hat, der wird finden, daß die
systematischen Bummler meistens Juristen oder Philologen sind, während die
Mediziner, die es überhaupt zu etwas bringen, während ihrer ganzen
Studienzeit mit ziemlich gleichmäßigem Fleiß arbeiten. Ich habe aber nicht
bemerkt, daß die Mediziner darum weniger lustige Studenten wären; im
Gegenteil, auch die eigentlichen Duckmäuser dürften in ihrer Fakultät spär¬
licher vertreten sein, als in den beiden andern. Das kann doch kein Zufall
sein. Der Grund dieser Erscheinung liegt ja auch auf der Hand. Der Me¬
diziner muß arbeiten, muß Vorlesungen hören und Kliniken besuchen, muß
in persönliche Berührung mit seinem Professor kommen, wenn er überhaupt
ein Examen bestehen will. Denn sein Examen ist ein Stück praktischer Thä¬
tigkeit, wie er sie später auszuüben hat. Den Philologen aber und den
Juristen hindern sechs verbummelte Semester gar nicht, im achten ein leidliches
Examen zu machen. Da in den Examenarbeiten originale Gedanken höchst
ungern gesehen werden, so bietet dieser Teil des Examens auch dein keine
unüberwindlichen Schwierigkeiten, der sich in deu Stoff erst hineinarbeiten
muß. Was dann noch für das mündliche Examen nötig ist, lernt man mit
Hilfe einiger erfahrnen Praktiker in acht Wochen auswendig, um es in eben
so viel Zeit nach dem Examen wieder zu vergessen. Es ist auch nichts daran
verloren, denn für das Leben kann man es doch nicht brauchen. Kürzlich wurde
darüber geklagt, daß durchgefnllene Referendare mit ihren abgewiesenen Ar¬
beiten an andern Universitüteu die Doktorwürde haben erwerben können. Auch
in der philosophischen Fakultät kommen ähnliche Dinge vor. Mir ist der


die brutale Oberstleutnantsmoral der Suderuuinnschen „Heimat." Solange
die Begeisterung der Burschenschafterzeit dem harmlosen Nil studentischer
Form und Umgangssprache die Wage hielt, so lange war er ungefährlich.
Seit aber die Begeisterung bei unsrer studirenden Jugend aus der Mode ge¬
kommen ist, seitdem hat der Ulk aufgehört, harmlos zu sein. Da das ernste
Gegengewicht fehlt, so hat er die Studentenschaft immer tiefer hinabgezogen
in die beengenden Bande eines geisttötenden Formalismus.

Aber nochmals drängt sich die Frage ans: wie war das möglich? Denn
das Auffällige an dieser Thatsache ist, daß der junge Fuchs in der Regel einen
ganz gewaltigen Wissensdurst von der Schule mit auf die Universität bringt.
Dort, so hofft er, werde ihm die Herrlichkeit der Wissenschaft erst recht auf¬
gehen, dort werde er Antwort bekommen auf so manche Frage, die während
der Schulzeit unbeantwortet geblieben ist. Anfangs sitzt er auch fleißig im
Kolleg und arbeitet zu Hause ein paar Stunden lang durch, was er gehört
hat; dann schwärzt er eine Stunde, dann zwei, dann findet er, daß er den
Faden verloren hat, und nun bleibt er ganz weg, um sich dem fidele» Burscheu¬
leben in die Arme zu werfen. Man wird sagen, das sei der gewöhnliche
Lauf der Verführung. Das ist richtig, es erklärt aber noch nicht alles. Wer
nämlich die verschiednen Fakultäten beobachtet hat, der wird finden, daß die
systematischen Bummler meistens Juristen oder Philologen sind, während die
Mediziner, die es überhaupt zu etwas bringen, während ihrer ganzen
Studienzeit mit ziemlich gleichmäßigem Fleiß arbeiten. Ich habe aber nicht
bemerkt, daß die Mediziner darum weniger lustige Studenten wären; im
Gegenteil, auch die eigentlichen Duckmäuser dürften in ihrer Fakultät spär¬
licher vertreten sein, als in den beiden andern. Das kann doch kein Zufall
sein. Der Grund dieser Erscheinung liegt ja auch auf der Hand. Der Me¬
diziner muß arbeiten, muß Vorlesungen hören und Kliniken besuchen, muß
in persönliche Berührung mit seinem Professor kommen, wenn er überhaupt
ein Examen bestehen will. Denn sein Examen ist ein Stück praktischer Thä¬
tigkeit, wie er sie später auszuüben hat. Den Philologen aber und den
Juristen hindern sechs verbummelte Semester gar nicht, im achten ein leidliches
Examen zu machen. Da in den Examenarbeiten originale Gedanken höchst
ungern gesehen werden, so bietet dieser Teil des Examens auch dein keine
unüberwindlichen Schwierigkeiten, der sich in deu Stoff erst hineinarbeiten
muß. Was dann noch für das mündliche Examen nötig ist, lernt man mit
Hilfe einiger erfahrnen Praktiker in acht Wochen auswendig, um es in eben
so viel Zeit nach dem Examen wieder zu vergessen. Es ist auch nichts daran
verloren, denn für das Leben kann man es doch nicht brauchen. Kürzlich wurde
darüber geklagt, daß durchgefnllene Referendare mit ihren abgewiesenen Ar¬
beiten an andern Universitüteu die Doktorwürde haben erwerben können. Auch
in der philosophischen Fakultät kommen ähnliche Dinge vor. Mir ist der


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[0428] die brutale Oberstleutnantsmoral der Suderuuinnschen „Heimat." Solange die Begeisterung der Burschenschafterzeit dem harmlosen Nil studentischer Form und Umgangssprache die Wage hielt, so lange war er ungefährlich. Seit aber die Begeisterung bei unsrer studirenden Jugend aus der Mode ge¬ kommen ist, seitdem hat der Ulk aufgehört, harmlos zu sein. Da das ernste Gegengewicht fehlt, so hat er die Studentenschaft immer tiefer hinabgezogen in die beengenden Bande eines geisttötenden Formalismus. Aber nochmals drängt sich die Frage ans: wie war das möglich? Denn das Auffällige an dieser Thatsache ist, daß der junge Fuchs in der Regel einen ganz gewaltigen Wissensdurst von der Schule mit auf die Universität bringt. Dort, so hofft er, werde ihm die Herrlichkeit der Wissenschaft erst recht auf¬ gehen, dort werde er Antwort bekommen auf so manche Frage, die während der Schulzeit unbeantwortet geblieben ist. Anfangs sitzt er auch fleißig im Kolleg und arbeitet zu Hause ein paar Stunden lang durch, was er gehört hat; dann schwärzt er eine Stunde, dann zwei, dann findet er, daß er den Faden verloren hat, und nun bleibt er ganz weg, um sich dem fidele» Burscheu¬ leben in die Arme zu werfen. Man wird sagen, das sei der gewöhnliche Lauf der Verführung. Das ist richtig, es erklärt aber noch nicht alles. Wer nämlich die verschiednen Fakultäten beobachtet hat, der wird finden, daß die systematischen Bummler meistens Juristen oder Philologen sind, während die Mediziner, die es überhaupt zu etwas bringen, während ihrer ganzen Studienzeit mit ziemlich gleichmäßigem Fleiß arbeiten. Ich habe aber nicht bemerkt, daß die Mediziner darum weniger lustige Studenten wären; im Gegenteil, auch die eigentlichen Duckmäuser dürften in ihrer Fakultät spär¬ licher vertreten sein, als in den beiden andern. Das kann doch kein Zufall sein. Der Grund dieser Erscheinung liegt ja auch auf der Hand. Der Me¬ diziner muß arbeiten, muß Vorlesungen hören und Kliniken besuchen, muß in persönliche Berührung mit seinem Professor kommen, wenn er überhaupt ein Examen bestehen will. Denn sein Examen ist ein Stück praktischer Thä¬ tigkeit, wie er sie später auszuüben hat. Den Philologen aber und den Juristen hindern sechs verbummelte Semester gar nicht, im achten ein leidliches Examen zu machen. Da in den Examenarbeiten originale Gedanken höchst ungern gesehen werden, so bietet dieser Teil des Examens auch dein keine unüberwindlichen Schwierigkeiten, der sich in deu Stoff erst hineinarbeiten muß. Was dann noch für das mündliche Examen nötig ist, lernt man mit Hilfe einiger erfahrnen Praktiker in acht Wochen auswendig, um es in eben so viel Zeit nach dem Examen wieder zu vergessen. Es ist auch nichts daran verloren, denn für das Leben kann man es doch nicht brauchen. Kürzlich wurde darüber geklagt, daß durchgefnllene Referendare mit ihren abgewiesenen Ar¬ beiten an andern Universitüteu die Doktorwürde haben erwerben können. Auch in der philosophischen Fakultät kommen ähnliche Dinge vor. Mir ist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/428>, abgerufen am 24.11.2024.