Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Lauter Einbänder tiges Leben sein würde, wollte sie hinaus in das gelobte Land." Daß sich Es ist ohne Frage ein Stück Leben, das Wildenbruch in den Nahmen Grenzboten III 1893 52
Lauter Einbänder tiges Leben sein würde, wollte sie hinaus in das gelobte Land." Daß sich Es ist ohne Frage ein Stück Leben, das Wildenbruch in den Nahmen Grenzboten III 1893 52
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215507"/> <fw type="header" place="top"> Lauter Einbänder</fw><lb/> <p xml:id="ID_1496" prev="#ID_1495"> tiges Leben sein würde, wollte sie hinaus in das gelobte Land." Daß sich<lb/> hinter dem Verlangen nach dein Bilde das Verlangen nach einer Wieder¬<lb/> begegnung mit seinem Urheber regt, verbirgt sie sich selbst. Unter dem Vor¬<lb/> wand einer Reise nach Berlin fährt Dorothea nach München und damit<lb/> unrettbar ihrem Schicksal entgegen. Daß sie, noch heiß und erfüllt von dem<lb/> Anblick des Bildes, mit Verheißer zusammentrifft, daß dieser aus Dorotheas<lb/> Reise nach München die dämonische Macht erkennt, die er über sie gewonnen<lb/> hat, und sie ohne weiteres an sich reißt, daß sie nicht mehr die Widerstands¬<lb/> fähigkeit hat, die eine ganz simple Natur vielleicht bewahren würde, daß sie<lb/> sich von dem liebetrunknen Künstler nach Verona entführen läßt und erst,<lb/> nachdem sie sich ihm ganz hingegeben hat, ans ihrem Taumel erwacht, das<lb/> alles erscheint nnr natürlich, wenn man einmal annimmt, daß in ihr jene<lb/> Liebe überwältigend geworden ist, um die Mantegazza und Lombroso besser<lb/> Bescheid wissen, als alle Dichter der Welt. Noch natürlicher aber ist es, daß<lb/> diesem Taumel ein entsetzliches Erwachen folgt. Woran Dorothea in dem<lb/> ersten Fieber des Abenteuers uicht und Verheißer überhaupt nicht gedacht hat,<lb/> daß ihre Natur uicht das Zeug zu einer wilden Knnstlerche besitzt, dies Ge¬<lb/> fühl kommt mit aller Macht über sie. Ein klaffender Abgrund thut sich<lb/> zwischen den beiden Menschen auf, die nur so eng verbunden sind. Dorothea<lb/> weiß und will nichts, als jetzt, wo es zu spät ist, den Segen ihrer Familie<lb/> erflehen, dem Bunde die Weihe geben lassen, Bcrheißer fühlt nicht, daß sie<lb/> tief unglücklich ist und sein muß, daß seine einzige Pflicht wäre, mit ihr auf<lb/> jede Gefahr nach Deutschland, nach Hamburg heimzukehren, sie dort zu seinem<lb/> rechtmüßigen Weibe zu machen. Er schwelgt in dem Glück ihres Besitzes, er<lb/> sieht mit lechzender Augen nur, was ihm ihre Schönheit als Mann und<lb/> als Künstler verheißt, der Kunstzigeuner hat keine Ahnung von dem, was in<lb/> Dorotheas Seele vorgeht. Er möchte sie beschwichtigen und ihr jeden Gefallen<lb/> erweisen, begreift aber nicht, warum sie nicht, da es doch einmal so ist, ein<lb/> Stück Leben mit ihm genießen und teilen will. Wie der Gegensatz zwischen<lb/> ihr und ihm immer schärfer heraustritt, fühlt sich das unglückliche Weib immer<lb/> tiefer entwürdigt und sucht am Ende den Tod auf den Klippen von Capri.<lb/> Die leblose Gestalt, über der Heinrich Verheißer verzweifelnd zusammenstürzt,<lb/> ist ein Opfer seines Künstlcregvismus. „Die Flut des italischen Meeres hatte<lb/> ihr blondes deutsches Haar durchnetzt und das Blut aus ihren Wunden gespült.<lb/> Ohne Makel lag sie da, jetzt wieder das geworden, was sie einst gewesen war,<lb/> die reine, die Weiße Dorothea."</p><lb/> <p xml:id="ID_1497" next="#ID_1498"> Es ist ohne Frage ein Stück Leben, das Wildenbruch in den Nahmen<lb/> dieses Bandes zusammengedrängt hat, es ist eine mit Wärme, mit leidenschaft¬<lb/> lichem Anteil, mit großer Meisterschaft der Einzelschilderung, namentlich in dem<lb/> bei Hamburg spielenden größern Teil der Erzählung, vorgetragne Geschichte.<lb/> Ein paar UnWahrscheinlichkeiten wollen wenig bedeuten gegenüber der einen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1893 52</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0417]
Lauter Einbänder
tiges Leben sein würde, wollte sie hinaus in das gelobte Land." Daß sich
hinter dem Verlangen nach dein Bilde das Verlangen nach einer Wieder¬
begegnung mit seinem Urheber regt, verbirgt sie sich selbst. Unter dem Vor¬
wand einer Reise nach Berlin fährt Dorothea nach München und damit
unrettbar ihrem Schicksal entgegen. Daß sie, noch heiß und erfüllt von dem
Anblick des Bildes, mit Verheißer zusammentrifft, daß dieser aus Dorotheas
Reise nach München die dämonische Macht erkennt, die er über sie gewonnen
hat, und sie ohne weiteres an sich reißt, daß sie nicht mehr die Widerstands¬
fähigkeit hat, die eine ganz simple Natur vielleicht bewahren würde, daß sie
sich von dem liebetrunknen Künstler nach Verona entführen läßt und erst,
nachdem sie sich ihm ganz hingegeben hat, ans ihrem Taumel erwacht, das
alles erscheint nnr natürlich, wenn man einmal annimmt, daß in ihr jene
Liebe überwältigend geworden ist, um die Mantegazza und Lombroso besser
Bescheid wissen, als alle Dichter der Welt. Noch natürlicher aber ist es, daß
diesem Taumel ein entsetzliches Erwachen folgt. Woran Dorothea in dem
ersten Fieber des Abenteuers uicht und Verheißer überhaupt nicht gedacht hat,
daß ihre Natur uicht das Zeug zu einer wilden Knnstlerche besitzt, dies Ge¬
fühl kommt mit aller Macht über sie. Ein klaffender Abgrund thut sich
zwischen den beiden Menschen auf, die nur so eng verbunden sind. Dorothea
weiß und will nichts, als jetzt, wo es zu spät ist, den Segen ihrer Familie
erflehen, dem Bunde die Weihe geben lassen, Bcrheißer fühlt nicht, daß sie
tief unglücklich ist und sein muß, daß seine einzige Pflicht wäre, mit ihr auf
jede Gefahr nach Deutschland, nach Hamburg heimzukehren, sie dort zu seinem
rechtmüßigen Weibe zu machen. Er schwelgt in dem Glück ihres Besitzes, er
sieht mit lechzender Augen nur, was ihm ihre Schönheit als Mann und
als Künstler verheißt, der Kunstzigeuner hat keine Ahnung von dem, was in
Dorotheas Seele vorgeht. Er möchte sie beschwichtigen und ihr jeden Gefallen
erweisen, begreift aber nicht, warum sie nicht, da es doch einmal so ist, ein
Stück Leben mit ihm genießen und teilen will. Wie der Gegensatz zwischen
ihr und ihm immer schärfer heraustritt, fühlt sich das unglückliche Weib immer
tiefer entwürdigt und sucht am Ende den Tod auf den Klippen von Capri.
Die leblose Gestalt, über der Heinrich Verheißer verzweifelnd zusammenstürzt,
ist ein Opfer seines Künstlcregvismus. „Die Flut des italischen Meeres hatte
ihr blondes deutsches Haar durchnetzt und das Blut aus ihren Wunden gespült.
Ohne Makel lag sie da, jetzt wieder das geworden, was sie einst gewesen war,
die reine, die Weiße Dorothea."
Es ist ohne Frage ein Stück Leben, das Wildenbruch in den Nahmen
dieses Bandes zusammengedrängt hat, es ist eine mit Wärme, mit leidenschaft¬
lichem Anteil, mit großer Meisterschaft der Einzelschilderung, namentlich in dem
bei Hamburg spielenden größern Teil der Erzählung, vorgetragne Geschichte.
Ein paar UnWahrscheinlichkeiten wollen wenig bedeuten gegenüber der einen
Grenzboten III 1893 52
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |