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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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ein empfindlicher Maugel an höhern Beamten herrschen wird. Für das Heer
ist Mangel an Offizierersatz schon jetzt fühlbar. Die Kundgebung des Kaisers,
derzufolge von den Regimentskommandeuren bei der Annahme von Offizier¬
aspiranten möglichst weitherzig verfahren werden soll, hat bisher nur wenig
Erfolg gehabt, da der Kreis der Bevölkerung, ans dem der Osfizierersatz
kommt, nach den einmal obwaltenden Verhältnissen derselbe wie bisher geblieben
ist, wenigstens vorläufig. Darum sollten die Familien, aus denen Beamten¬
schaft und Offizierkorps ihren Nachwuchs nehmen, eher ermutigt werden, ihre
Kinder für den Staatsdienst groß zu ziehen. Aber welche Sorge bringt es
mit sich, wenn einem nicht mit irdischen Gütern gesegneten Beamten oder
Offizier fünf oder sechs Jungen von sechs bis sechzehn Jahren zu erziehen
obliegt! Dem Offizier hilft das Kadettenhaus, aber doch nur dann, wenn
er gesonnen ist, seine Jungen, ohne zu wissen, ob sie Neigung und Geschick
dazu haben, Offizier werden zu lassen. Dem Beamten hilft das Kadettenhaus
nicht; seinen Söhnen ist es verschlossen, er müßte denn die Pension bezahlen,
und die ist nicht unbedeutend. Sind die Kinder im Hause, so ist doch für
Schulgeld und Schulbücher jährlich eine große Summe zu zechten; und die
größte Sorge macht die Wohnung. Giebt es doch Hauswirte, die grund¬
sätzlich Familien mit Kindern nicht aufnehmen. Eine genügend geräumige
Wohnung ist in jedem Falle sehr teuer. Wie gut ist da der unverheiratete
oder der kinderlose Kamerad oder Amtsgenvsse dran! Er bekommt Gehalt
und Wohnungsgeldznschnß, und der Offizier noch dazu Servis in derselben
Höhe wie der kinderreiche Familienvater. Was muß sich dieser alles versagen,
wenn er seine Knaben zu tüchtigen Männern heranbilden will! Sollte da
der Staat nicht wenigstens durch eine gerechtere Verteilung des Wohnuugs-
geldzuschusfes Hilfe leisten?

In Rußland ist kürzlich aus der Feder A. Rittichs, eines höhern Of¬
fiziers, ein Werk erschienen unter dem Titel: Das russische Kriegswesen in der
Wirklichkeit und in Träumen. Hier wird nebenbei dargelegt, wie sich in Nu߬
land die meisten bemittelten jungen Leute aus dem Adel und dem Kanfmanns-
stcmde der Dienstpflicht zu entziehen wissen, sodaß der Offiziersersatz gefährdet
ist, besonders wenn die Armee bedeutend vermehrt wird. Dazu kommt, daß
in den russischen Offizierfamilien bereits völlig das Zweikiudershstem herrscht,
sodaß also auch aus den Offizierfamilien selbst in Zukunft kein genügender
Offizierersatz zu erwarten ist. "In Frankreich, heißt es, wird dadurch wenigstens
das Vermögen erhalten. Bei uns fällt auch das weg; wir habe" kein Ver¬
mögen und keine Kinder." Ob nicht das Zweikiudershstem auch in deutschen
Offizier- und Beamtenfamilien schon bedenklich um sich greift! Ein Wider¬
spruch ist sehr schwer zu widerlegen, weil es eben an jeder Statistik fehlt.
Aber periodische Beobachtungen eines in mehreren großen Garnisonen be¬
kannten Militärgeistlichen mit Benutzung der Aufzeichnungen in den Kirchen-


ein empfindlicher Maugel an höhern Beamten herrschen wird. Für das Heer
ist Mangel an Offizierersatz schon jetzt fühlbar. Die Kundgebung des Kaisers,
derzufolge von den Regimentskommandeuren bei der Annahme von Offizier¬
aspiranten möglichst weitherzig verfahren werden soll, hat bisher nur wenig
Erfolg gehabt, da der Kreis der Bevölkerung, ans dem der Osfizierersatz
kommt, nach den einmal obwaltenden Verhältnissen derselbe wie bisher geblieben
ist, wenigstens vorläufig. Darum sollten die Familien, aus denen Beamten¬
schaft und Offizierkorps ihren Nachwuchs nehmen, eher ermutigt werden, ihre
Kinder für den Staatsdienst groß zu ziehen. Aber welche Sorge bringt es
mit sich, wenn einem nicht mit irdischen Gütern gesegneten Beamten oder
Offizier fünf oder sechs Jungen von sechs bis sechzehn Jahren zu erziehen
obliegt! Dem Offizier hilft das Kadettenhaus, aber doch nur dann, wenn
er gesonnen ist, seine Jungen, ohne zu wissen, ob sie Neigung und Geschick
dazu haben, Offizier werden zu lassen. Dem Beamten hilft das Kadettenhaus
nicht; seinen Söhnen ist es verschlossen, er müßte denn die Pension bezahlen,
und die ist nicht unbedeutend. Sind die Kinder im Hause, so ist doch für
Schulgeld und Schulbücher jährlich eine große Summe zu zechten; und die
größte Sorge macht die Wohnung. Giebt es doch Hauswirte, die grund¬
sätzlich Familien mit Kindern nicht aufnehmen. Eine genügend geräumige
Wohnung ist in jedem Falle sehr teuer. Wie gut ist da der unverheiratete
oder der kinderlose Kamerad oder Amtsgenvsse dran! Er bekommt Gehalt
und Wohnungsgeldznschnß, und der Offizier noch dazu Servis in derselben
Höhe wie der kinderreiche Familienvater. Was muß sich dieser alles versagen,
wenn er seine Knaben zu tüchtigen Männern heranbilden will! Sollte da
der Staat nicht wenigstens durch eine gerechtere Verteilung des Wohnuugs-
geldzuschusfes Hilfe leisten?

In Rußland ist kürzlich aus der Feder A. Rittichs, eines höhern Of¬
fiziers, ein Werk erschienen unter dem Titel: Das russische Kriegswesen in der
Wirklichkeit und in Träumen. Hier wird nebenbei dargelegt, wie sich in Nu߬
land die meisten bemittelten jungen Leute aus dem Adel und dem Kanfmanns-
stcmde der Dienstpflicht zu entziehen wissen, sodaß der Offiziersersatz gefährdet
ist, besonders wenn die Armee bedeutend vermehrt wird. Dazu kommt, daß
in den russischen Offizierfamilien bereits völlig das Zweikiudershstem herrscht,
sodaß also auch aus den Offizierfamilien selbst in Zukunft kein genügender
Offizierersatz zu erwarten ist. „In Frankreich, heißt es, wird dadurch wenigstens
das Vermögen erhalten. Bei uns fällt auch das weg; wir habe» kein Ver¬
mögen und keine Kinder." Ob nicht das Zweikiudershstem auch in deutschen
Offizier- und Beamtenfamilien schon bedenklich um sich greift! Ein Wider¬
spruch ist sehr schwer zu widerlegen, weil es eben an jeder Statistik fehlt.
Aber periodische Beobachtungen eines in mehreren großen Garnisonen be¬
kannten Militärgeistlichen mit Benutzung der Aufzeichnungen in den Kirchen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/402>, abgerufen am 24.11.2024.