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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Humor und Humoristen

Wirkung nicht in notwendigen Gegensatze zu der des Humors, aber sein Wir¬
kungskreis liegt mehr in den niedern Sphären der Beurteilung; nur selten
klimmt er einmal zu den sonnigen Höhen hinan, auf denen sein Bruder thront.
Während dieser fast nie von seinem überirdischen Wohnsitz herabsteigt in das
gemeine, alltägliche Leben, trifft man seinen weniger wählerischen Doppelgänger
überall, in allen Lebenslagen, bei jeder Menschcnklcisse. Herr Witz fühlt sich
auch überall Wohl, in den feinsten Salons ist er ebenso zu Hause wie in den
verkommensten Schenken der inissra Md8, ihm steht der Frack so gut wie die
Arbcitsbluse. Auch das Reich seiner Äußerungen hat viel weitere Grenzen,
denn obwohl Vasall seines edlern Bruders, herrscht er doch absoluter als jener,
und alles beugt sich seinem Szepter. Während der Humor seiner Götterwürde
nie etwas vergiebt, auch bei der Schilderung des niedrigsten seine Vornehm¬
heit bewahrt, ist dem Witz alles erlaubt. Ihn hält keine Schranke, denn er
kennt ja keine Standesrücksichten, er darf necken, tränken, demütigen, höhnen,
schmähen, ja selbst verwunden, denn seine oberste Absicht ist nicht zu erfreuen,
sondern zu korrigiren und zu kritisiren; zu diesem Zweck aber verachtet er zu¬
meist den leichten Schlag der Pritsche, die sein Bruder liebt, und schwingt
lieber die Geißel.

Darnach kann es nicht Wunder nehmen, daß gerade in unserm kritik¬
lustigen Zeitalter, wo mau die scharfen Worte liebt, der Witz eine Ausbildung
erhalten hat, wie kaum je zuvor. Auszulachen, zu verspotten, zu tadeln und
zu kritisiren versteht ja niemand so gut als der Vertreter des tlo as siöelö,
da niemand so gut wie er "den Splitter in seines Bruders Auge sieht." Die
Vertreter echten Humors dagegen (nicht die sogenannten "Humoristen," von
denen es ja noch immer wimmelt) sind leider heutzutage ebenso wie einst, zur
Zeit des Diogenes, die wahren Menschen "mit der Laterne zu suchen." Denn
zum wirklichen Humoristen gehört eben nicht nur ein scharfes Auge für die
Fehler der Zeitgenossen, sondern vor allem ein Helles, horniges Gemüt, ein
warmes Herz, ein edler Gerechtigkeitssinn, eine feine Harmonie der ganzen
innern Persönlichkeit und erst zuletzt ein sprudelnder Witz, ohne den es freilich
nicht abgeht. Wo sind aber heutzutage die Dichter, die all diese kostbaren
Eigenschaften in sich vereinigten? Die Witzblätter schießen auf wie die Pilze
nach dem Sommerregeu, aber die echten Humoristen sterben aus; Reuter
und Scheffel sind dahin; ein paar andre wandeln noch unter uns, aber wie
lange noch? tönt die bekümmerte Frage. Schon kommen sie uns vor wie
hochragende Säulen, umleuchtet von dem Mvrgenrot einer neuen, andern
Zeit. Der junge Nachwuchs, und damit die zuversichtliche Zukunftshoff¬
nung, fehlt. Zwar wird unser litterarischer Markt Jahr für Jahr von
"Humoresken" überflutet, aber meist sind diese gerühmten "Humoresken" nicht
einmal komische Geschichten, geschweige denn "Geschichten voll köstlichen Hu¬
mors," wie sie so oft von freigebigen Kritikern genannt werden.


Humor und Humoristen

Wirkung nicht in notwendigen Gegensatze zu der des Humors, aber sein Wir¬
kungskreis liegt mehr in den niedern Sphären der Beurteilung; nur selten
klimmt er einmal zu den sonnigen Höhen hinan, auf denen sein Bruder thront.
Während dieser fast nie von seinem überirdischen Wohnsitz herabsteigt in das
gemeine, alltägliche Leben, trifft man seinen weniger wählerischen Doppelgänger
überall, in allen Lebenslagen, bei jeder Menschcnklcisse. Herr Witz fühlt sich
auch überall Wohl, in den feinsten Salons ist er ebenso zu Hause wie in den
verkommensten Schenken der inissra Md8, ihm steht der Frack so gut wie die
Arbcitsbluse. Auch das Reich seiner Äußerungen hat viel weitere Grenzen,
denn obwohl Vasall seines edlern Bruders, herrscht er doch absoluter als jener,
und alles beugt sich seinem Szepter. Während der Humor seiner Götterwürde
nie etwas vergiebt, auch bei der Schilderung des niedrigsten seine Vornehm¬
heit bewahrt, ist dem Witz alles erlaubt. Ihn hält keine Schranke, denn er
kennt ja keine Standesrücksichten, er darf necken, tränken, demütigen, höhnen,
schmähen, ja selbst verwunden, denn seine oberste Absicht ist nicht zu erfreuen,
sondern zu korrigiren und zu kritisiren; zu diesem Zweck aber verachtet er zu¬
meist den leichten Schlag der Pritsche, die sein Bruder liebt, und schwingt
lieber die Geißel.

Darnach kann es nicht Wunder nehmen, daß gerade in unserm kritik¬
lustigen Zeitalter, wo mau die scharfen Worte liebt, der Witz eine Ausbildung
erhalten hat, wie kaum je zuvor. Auszulachen, zu verspotten, zu tadeln und
zu kritisiren versteht ja niemand so gut als der Vertreter des tlo as siöelö,
da niemand so gut wie er „den Splitter in seines Bruders Auge sieht." Die
Vertreter echten Humors dagegen (nicht die sogenannten „Humoristen," von
denen es ja noch immer wimmelt) sind leider heutzutage ebenso wie einst, zur
Zeit des Diogenes, die wahren Menschen „mit der Laterne zu suchen." Denn
zum wirklichen Humoristen gehört eben nicht nur ein scharfes Auge für die
Fehler der Zeitgenossen, sondern vor allem ein Helles, horniges Gemüt, ein
warmes Herz, ein edler Gerechtigkeitssinn, eine feine Harmonie der ganzen
innern Persönlichkeit und erst zuletzt ein sprudelnder Witz, ohne den es freilich
nicht abgeht. Wo sind aber heutzutage die Dichter, die all diese kostbaren
Eigenschaften in sich vereinigten? Die Witzblätter schießen auf wie die Pilze
nach dem Sommerregeu, aber die echten Humoristen sterben aus; Reuter
und Scheffel sind dahin; ein paar andre wandeln noch unter uns, aber wie
lange noch? tönt die bekümmerte Frage. Schon kommen sie uns vor wie
hochragende Säulen, umleuchtet von dem Mvrgenrot einer neuen, andern
Zeit. Der junge Nachwuchs, und damit die zuversichtliche Zukunftshoff¬
nung, fehlt. Zwar wird unser litterarischer Markt Jahr für Jahr von
„Humoresken" überflutet, aber meist sind diese gerühmten „Humoresken" nicht
einmal komische Geschichten, geschweige denn „Geschichten voll köstlichen Hu¬
mors," wie sie so oft von freigebigen Kritikern genannt werden.


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[0040] Humor und Humoristen Wirkung nicht in notwendigen Gegensatze zu der des Humors, aber sein Wir¬ kungskreis liegt mehr in den niedern Sphären der Beurteilung; nur selten klimmt er einmal zu den sonnigen Höhen hinan, auf denen sein Bruder thront. Während dieser fast nie von seinem überirdischen Wohnsitz herabsteigt in das gemeine, alltägliche Leben, trifft man seinen weniger wählerischen Doppelgänger überall, in allen Lebenslagen, bei jeder Menschcnklcisse. Herr Witz fühlt sich auch überall Wohl, in den feinsten Salons ist er ebenso zu Hause wie in den verkommensten Schenken der inissra Md8, ihm steht der Frack so gut wie die Arbcitsbluse. Auch das Reich seiner Äußerungen hat viel weitere Grenzen, denn obwohl Vasall seines edlern Bruders, herrscht er doch absoluter als jener, und alles beugt sich seinem Szepter. Während der Humor seiner Götterwürde nie etwas vergiebt, auch bei der Schilderung des niedrigsten seine Vornehm¬ heit bewahrt, ist dem Witz alles erlaubt. Ihn hält keine Schranke, denn er kennt ja keine Standesrücksichten, er darf necken, tränken, demütigen, höhnen, schmähen, ja selbst verwunden, denn seine oberste Absicht ist nicht zu erfreuen, sondern zu korrigiren und zu kritisiren; zu diesem Zweck aber verachtet er zu¬ meist den leichten Schlag der Pritsche, die sein Bruder liebt, und schwingt lieber die Geißel. Darnach kann es nicht Wunder nehmen, daß gerade in unserm kritik¬ lustigen Zeitalter, wo mau die scharfen Worte liebt, der Witz eine Ausbildung erhalten hat, wie kaum je zuvor. Auszulachen, zu verspotten, zu tadeln und zu kritisiren versteht ja niemand so gut als der Vertreter des tlo as siöelö, da niemand so gut wie er „den Splitter in seines Bruders Auge sieht." Die Vertreter echten Humors dagegen (nicht die sogenannten „Humoristen," von denen es ja noch immer wimmelt) sind leider heutzutage ebenso wie einst, zur Zeit des Diogenes, die wahren Menschen „mit der Laterne zu suchen." Denn zum wirklichen Humoristen gehört eben nicht nur ein scharfes Auge für die Fehler der Zeitgenossen, sondern vor allem ein Helles, horniges Gemüt, ein warmes Herz, ein edler Gerechtigkeitssinn, eine feine Harmonie der ganzen innern Persönlichkeit und erst zuletzt ein sprudelnder Witz, ohne den es freilich nicht abgeht. Wo sind aber heutzutage die Dichter, die all diese kostbaren Eigenschaften in sich vereinigten? Die Witzblätter schießen auf wie die Pilze nach dem Sommerregeu, aber die echten Humoristen sterben aus; Reuter und Scheffel sind dahin; ein paar andre wandeln noch unter uns, aber wie lange noch? tönt die bekümmerte Frage. Schon kommen sie uns vor wie hochragende Säulen, umleuchtet von dem Mvrgenrot einer neuen, andern Zeit. Der junge Nachwuchs, und damit die zuversichtliche Zukunftshoff¬ nung, fehlt. Zwar wird unser litterarischer Markt Jahr für Jahr von „Humoresken" überflutet, aber meist sind diese gerühmten „Humoresken" nicht einmal komische Geschichten, geschweige denn „Geschichten voll köstlichen Hu¬ mors," wie sie so oft von freigebigen Kritikern genannt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/40>, abgerufen am 23.11.2024.