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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Humor und Humoristen

er ist und wie er sein soll, man wird sich aber vergeblich bemühen, mit kurzen,
trocknen Worten anzugeben, was er ist. Es fehlt zwar in unsrer Litteratur
nicht an kurzen Definitionen des Humors, aber keine ist zutreffend, geschweige
denn erschöpfend. Das kluge Wort des Altmeisters Kreißig behält noch immer
Recht: "Vom 5)umor und seiner künstlerischen Offenbarung gilt allen Ästhetikern
Zum TroK noch immer das Wort, mit dem die Schrift den Gottesatem der
Schöpfung bezeichnet: Du hörest sein Brausen wohl, aber du weißt uicht, von
wannen er kommt, noch wohin er führt."

Doppelt erschwert wird die Erkenntnis des Humors dadurch, daß er
einen Bruder hat, der ihm sehr ähnlich sieht; das ist der Witz. Erst wenn
man beide Brüder ueben einander sieht, merkt man den Unterschied. Freilich
schlüge diese Doppelgängerei zu Gunsten des unbedeutendem der beiden
Brüder, des Witzes, ans; er, der mit beiden Füßen im Leben steht, giebt
sich gern für den olympischen Bruder ans, der doch so selten herabsteigt
von seiner Götterhöhe in das Getriebe der Sterblichen, der feinen Vasallen,
den Witz, ruhig gewähren läßt. Aber bei allen Unterschieden haben beide doch
manches mit einander gemein. Einen Humor ohne Witz kann man sich gar
nicht vorstellen, ebenso wenig wie ein Gemüt ohne Verstand. Leider ist aber
die umgekehrte Erscheinung heutzutage keine Seltenheit mehr, es giebt nur
allzu viel Witz ohne Humor, wie es eben auch recht viel Verstandesmenschen
ohne Gemüt giebt. Und dieser Vergleich hat einen tiefern Grund; denn that¬
sächlich steht der Humor im engste" Zusammenhang mit dem Gemüte, ebenso
wie der Witz mit dem Verstände; der Witz ist ein Talent des Verstandes, der
Humor dagegen eine edle, ja vielleicht die edelste Perle des Gemüts.

Wollen wir noch weiter in das Wesen des echten Humors eindringen, so
müssen wir nach seinen Erscheinungsformen fragen. Der wahre Humor ist
natürlich, ursprünglich und unerschöpflich; er quillt hell sprudelnd hervor, rein
"ut lauter wie der unversiegliche Bergquell; er ist naiv und ungeschminkt
"ne ein lächelndes Dorfkind, dem unbewußt ein sichrer Takt die Worte lehrt,
dem kein Gefühl die Brust durchbebt, das nicht unmittelbar ans dem Herzen
stammte. Frei und leicht wie ein gütiger Lichtelf schwebt der Humor dahin,
immer lachend und scherzend, lindernd und versöhnend, nie höhnisch und ver¬
letzend. Wahr, doch ohne gehässige Übertreibung, zeigt er die Schwächen der
Menschen, aber nicht um sie zu geißeln und zu lüstern, sondern nur um sie
gemeinsam mit andern herzlich zu belachen. Sein Spott wird zur harmlos
heiter" Ironie, sein Tadel zur lustige", bald ausgelassenen, bald pathetischen
Strafpredigt, deren "göttliche Grobheit" immer nur ergötzlich wirkt; seine Ver¬
zweiflung endlich zur wehmutsvollen Rührung, deren liebenswürdige Komik
^zaubert und ansteckt. Der wahre Humor kann also mir wohlthun und er-
freue", jede andre Tendenz liegt ihm fern.

Anders sein mehr irdisch gearteter Bruder, der Witz. Freilich steht seine


Humor und Humoristen

er ist und wie er sein soll, man wird sich aber vergeblich bemühen, mit kurzen,
trocknen Worten anzugeben, was er ist. Es fehlt zwar in unsrer Litteratur
nicht an kurzen Definitionen des Humors, aber keine ist zutreffend, geschweige
denn erschöpfend. Das kluge Wort des Altmeisters Kreißig behält noch immer
Recht: „Vom 5)umor und seiner künstlerischen Offenbarung gilt allen Ästhetikern
Zum TroK noch immer das Wort, mit dem die Schrift den Gottesatem der
Schöpfung bezeichnet: Du hörest sein Brausen wohl, aber du weißt uicht, von
wannen er kommt, noch wohin er führt."

Doppelt erschwert wird die Erkenntnis des Humors dadurch, daß er
einen Bruder hat, der ihm sehr ähnlich sieht; das ist der Witz. Erst wenn
man beide Brüder ueben einander sieht, merkt man den Unterschied. Freilich
schlüge diese Doppelgängerei zu Gunsten des unbedeutendem der beiden
Brüder, des Witzes, ans; er, der mit beiden Füßen im Leben steht, giebt
sich gern für den olympischen Bruder ans, der doch so selten herabsteigt
von seiner Götterhöhe in das Getriebe der Sterblichen, der feinen Vasallen,
den Witz, ruhig gewähren läßt. Aber bei allen Unterschieden haben beide doch
manches mit einander gemein. Einen Humor ohne Witz kann man sich gar
nicht vorstellen, ebenso wenig wie ein Gemüt ohne Verstand. Leider ist aber
die umgekehrte Erscheinung heutzutage keine Seltenheit mehr, es giebt nur
allzu viel Witz ohne Humor, wie es eben auch recht viel Verstandesmenschen
ohne Gemüt giebt. Und dieser Vergleich hat einen tiefern Grund; denn that¬
sächlich steht der Humor im engste» Zusammenhang mit dem Gemüte, ebenso
wie der Witz mit dem Verstände; der Witz ist ein Talent des Verstandes, der
Humor dagegen eine edle, ja vielleicht die edelste Perle des Gemüts.

Wollen wir noch weiter in das Wesen des echten Humors eindringen, so
müssen wir nach seinen Erscheinungsformen fragen. Der wahre Humor ist
natürlich, ursprünglich und unerschöpflich; er quillt hell sprudelnd hervor, rein
"ut lauter wie der unversiegliche Bergquell; er ist naiv und ungeschminkt
"ne ein lächelndes Dorfkind, dem unbewußt ein sichrer Takt die Worte lehrt,
dem kein Gefühl die Brust durchbebt, das nicht unmittelbar ans dem Herzen
stammte. Frei und leicht wie ein gütiger Lichtelf schwebt der Humor dahin,
immer lachend und scherzend, lindernd und versöhnend, nie höhnisch und ver¬
letzend. Wahr, doch ohne gehässige Übertreibung, zeigt er die Schwächen der
Menschen, aber nicht um sie zu geißeln und zu lüstern, sondern nur um sie
gemeinsam mit andern herzlich zu belachen. Sein Spott wird zur harmlos
heiter» Ironie, sein Tadel zur lustige», bald ausgelassenen, bald pathetischen
Strafpredigt, deren „göttliche Grobheit" immer nur ergötzlich wirkt; seine Ver¬
zweiflung endlich zur wehmutsvollen Rührung, deren liebenswürdige Komik
^zaubert und ansteckt. Der wahre Humor kann also mir wohlthun und er-
freue», jede andre Tendenz liegt ihm fern.

Anders sein mehr irdisch gearteter Bruder, der Witz. Freilich steht seine


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[0039] Humor und Humoristen er ist und wie er sein soll, man wird sich aber vergeblich bemühen, mit kurzen, trocknen Worten anzugeben, was er ist. Es fehlt zwar in unsrer Litteratur nicht an kurzen Definitionen des Humors, aber keine ist zutreffend, geschweige denn erschöpfend. Das kluge Wort des Altmeisters Kreißig behält noch immer Recht: „Vom 5)umor und seiner künstlerischen Offenbarung gilt allen Ästhetikern Zum TroK noch immer das Wort, mit dem die Schrift den Gottesatem der Schöpfung bezeichnet: Du hörest sein Brausen wohl, aber du weißt uicht, von wannen er kommt, noch wohin er führt." Doppelt erschwert wird die Erkenntnis des Humors dadurch, daß er einen Bruder hat, der ihm sehr ähnlich sieht; das ist der Witz. Erst wenn man beide Brüder ueben einander sieht, merkt man den Unterschied. Freilich schlüge diese Doppelgängerei zu Gunsten des unbedeutendem der beiden Brüder, des Witzes, ans; er, der mit beiden Füßen im Leben steht, giebt sich gern für den olympischen Bruder ans, der doch so selten herabsteigt von seiner Götterhöhe in das Getriebe der Sterblichen, der feinen Vasallen, den Witz, ruhig gewähren läßt. Aber bei allen Unterschieden haben beide doch manches mit einander gemein. Einen Humor ohne Witz kann man sich gar nicht vorstellen, ebenso wenig wie ein Gemüt ohne Verstand. Leider ist aber die umgekehrte Erscheinung heutzutage keine Seltenheit mehr, es giebt nur allzu viel Witz ohne Humor, wie es eben auch recht viel Verstandesmenschen ohne Gemüt giebt. Und dieser Vergleich hat einen tiefern Grund; denn that¬ sächlich steht der Humor im engste» Zusammenhang mit dem Gemüte, ebenso wie der Witz mit dem Verstände; der Witz ist ein Talent des Verstandes, der Humor dagegen eine edle, ja vielleicht die edelste Perle des Gemüts. Wollen wir noch weiter in das Wesen des echten Humors eindringen, so müssen wir nach seinen Erscheinungsformen fragen. Der wahre Humor ist natürlich, ursprünglich und unerschöpflich; er quillt hell sprudelnd hervor, rein "ut lauter wie der unversiegliche Bergquell; er ist naiv und ungeschminkt "ne ein lächelndes Dorfkind, dem unbewußt ein sichrer Takt die Worte lehrt, dem kein Gefühl die Brust durchbebt, das nicht unmittelbar ans dem Herzen stammte. Frei und leicht wie ein gütiger Lichtelf schwebt der Humor dahin, immer lachend und scherzend, lindernd und versöhnend, nie höhnisch und ver¬ letzend. Wahr, doch ohne gehässige Übertreibung, zeigt er die Schwächen der Menschen, aber nicht um sie zu geißeln und zu lüstern, sondern nur um sie gemeinsam mit andern herzlich zu belachen. Sein Spott wird zur harmlos heiter» Ironie, sein Tadel zur lustige», bald ausgelassenen, bald pathetischen Strafpredigt, deren „göttliche Grobheit" immer nur ergötzlich wirkt; seine Ver¬ zweiflung endlich zur wehmutsvollen Rührung, deren liebenswürdige Komik ^zaubert und ansteckt. Der wahre Humor kann also mir wohlthun und er- freue», jede andre Tendenz liegt ihm fern. Anders sein mehr irdisch gearteter Bruder, der Witz. Freilich steht seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/39>, abgerufen am 27.07.2024.