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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lharles Aiimsley als Dichter und Sozialreformer

Wie unsre Werkstatt ist? Ebensowenig glauben die Geschäftsleute daran, sonst
gingen sie nicht von der Predigt uach Hause, um Sand in den Zucker und
Schlcheublätter in den Thee zu mischen , lügnerische Anpreisungen ihrer ver¬
fälschten Waren hinauszuschicken und den letzten Heller den armen Geschöpfen
abzupressen, die in elenden stinkenden Hüufern zur Miete wohnen. Und die
Arbeiter -- die lachen über das alles, so viel kann ich dir sagen. Denen
nützt die Religion was Rechtes! Du kannst selbst sehen, daß sie nur für
Frauen und Kinder taugt. Wohin du gehen magst, in Kirchen und Kapellen,
siehst du fast nur Franenhüte und Kinder. Ich glaube kein Wort davon --
ein für allemal! Ich bin alt genng, selbst zu denken, und ein Freidenker will
ich sein und nichts glauben, als was ich weiß und verstehe!" Akkon zieht
endlich zu Sandy Mackah, dein seltsamen aber gutmütigen Buchhändler, der
mutterseelenallein in einem dunkeln Laden zwischen seinen alten Scharteken ein
beschauliches Leben führt. Die Schriften und Bücher der Hochtories und
Venthamiten hat er gekreuzigt oder an Bändern an der Decke seines Ladens
aufgehängt. Über dem Kamin zwischen Pfeifen, Federn und Eßwaren steht
Michelangelos hautloses Modell, und daran hängt ein Zettel mit der Aufschrift:

Eines Tages wird Akkon mit seinem Better Georg bekannt, einem
lustigen Streber und orthodoxen Theologen von der Universität Cambridge.
Auf einem Spaziergange gehen sie in die Dulwicher Gemäldegalerie. Hier,
vor dem Gemälde des heiligen Sebastian lernt Akkon einen Gelehrten,
den Dechanten Winnstah aus Cambridge, und dessen reizende Tochter
Lilian kennen. Die erste Liebe schleicht sich in des armen Burschen Herz.
Er trüuiut und dichtet und lebt nur in Liebesliedern. Aber der alte
Saudy reißt ihn aus seinen unfruchtbaren Trünmeu und führt ihn zurück
zu seiner natürlichen Bestimmung, der eines Volksdichters. "Um dich her,
sagt er, in jeder Branntweinschenke und jedem Gemüsekellcr, streiten Gott
und Satan mit einander um Tod und Leben, jede Dachkammer ist ein Ver¬
lornes und wiedergefundnes Paradies, hältst du es noch für deiner un¬
würdig, ein Volksdichter zu werden?"

Akkon Locke studirt nun die Maler, um seine Phantasie zu bereichern, er
arbeitet sich durch Carlyles Geschichte der französischen Revolution, um seine
Begriffe über Staat und Gesellschaft zu klären, er vergräbt sich in Tennysons
Gedichte, um dessen demokratische Richtung zu verstehen und sich an der Schön¬
heit seiner Sprache zu begeistern. In seinen eignen ersten Versuchen lehnt er
sich an den Stil seiner Lieblingsdichter Burns und Tennyson. Aber Sandy
ruft ihm zu: "Mach dir einen eignen Stil, Junge! Bist so wenig ein schot¬
tischer Tagelöhner, wie ein Lineolner Gutsherr. Geh deinen eignen Weg und


Lharles Aiimsley als Dichter und Sozialreformer

Wie unsre Werkstatt ist? Ebensowenig glauben die Geschäftsleute daran, sonst
gingen sie nicht von der Predigt uach Hause, um Sand in den Zucker und
Schlcheublätter in den Thee zu mischen , lügnerische Anpreisungen ihrer ver¬
fälschten Waren hinauszuschicken und den letzten Heller den armen Geschöpfen
abzupressen, die in elenden stinkenden Hüufern zur Miete wohnen. Und die
Arbeiter — die lachen über das alles, so viel kann ich dir sagen. Denen
nützt die Religion was Rechtes! Du kannst selbst sehen, daß sie nur für
Frauen und Kinder taugt. Wohin du gehen magst, in Kirchen und Kapellen,
siehst du fast nur Franenhüte und Kinder. Ich glaube kein Wort davon —
ein für allemal! Ich bin alt genng, selbst zu denken, und ein Freidenker will
ich sein und nichts glauben, als was ich weiß und verstehe!" Akkon zieht
endlich zu Sandy Mackah, dein seltsamen aber gutmütigen Buchhändler, der
mutterseelenallein in einem dunkeln Laden zwischen seinen alten Scharteken ein
beschauliches Leben führt. Die Schriften und Bücher der Hochtories und
Venthamiten hat er gekreuzigt oder an Bändern an der Decke seines Ladens
aufgehängt. Über dem Kamin zwischen Pfeifen, Federn und Eßwaren steht
Michelangelos hautloses Modell, und daran hängt ein Zettel mit der Aufschrift:

Eines Tages wird Akkon mit seinem Better Georg bekannt, einem
lustigen Streber und orthodoxen Theologen von der Universität Cambridge.
Auf einem Spaziergange gehen sie in die Dulwicher Gemäldegalerie. Hier,
vor dem Gemälde des heiligen Sebastian lernt Akkon einen Gelehrten,
den Dechanten Winnstah aus Cambridge, und dessen reizende Tochter
Lilian kennen. Die erste Liebe schleicht sich in des armen Burschen Herz.
Er trüuiut und dichtet und lebt nur in Liebesliedern. Aber der alte
Saudy reißt ihn aus seinen unfruchtbaren Trünmeu und führt ihn zurück
zu seiner natürlichen Bestimmung, der eines Volksdichters. „Um dich her,
sagt er, in jeder Branntweinschenke und jedem Gemüsekellcr, streiten Gott
und Satan mit einander um Tod und Leben, jede Dachkammer ist ein Ver¬
lornes und wiedergefundnes Paradies, hältst du es noch für deiner un¬
würdig, ein Volksdichter zu werden?"

Akkon Locke studirt nun die Maler, um seine Phantasie zu bereichern, er
arbeitet sich durch Carlyles Geschichte der französischen Revolution, um seine
Begriffe über Staat und Gesellschaft zu klären, er vergräbt sich in Tennysons
Gedichte, um dessen demokratische Richtung zu verstehen und sich an der Schön¬
heit seiner Sprache zu begeistern. In seinen eignen ersten Versuchen lehnt er
sich an den Stil seiner Lieblingsdichter Burns und Tennyson. Aber Sandy
ruft ihm zu: „Mach dir einen eignen Stil, Junge! Bist so wenig ein schot¬
tischer Tagelöhner, wie ein Lineolner Gutsherr. Geh deinen eignen Weg und


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[0373] Lharles Aiimsley als Dichter und Sozialreformer Wie unsre Werkstatt ist? Ebensowenig glauben die Geschäftsleute daran, sonst gingen sie nicht von der Predigt uach Hause, um Sand in den Zucker und Schlcheublätter in den Thee zu mischen , lügnerische Anpreisungen ihrer ver¬ fälschten Waren hinauszuschicken und den letzten Heller den armen Geschöpfen abzupressen, die in elenden stinkenden Hüufern zur Miete wohnen. Und die Arbeiter — die lachen über das alles, so viel kann ich dir sagen. Denen nützt die Religion was Rechtes! Du kannst selbst sehen, daß sie nur für Frauen und Kinder taugt. Wohin du gehen magst, in Kirchen und Kapellen, siehst du fast nur Franenhüte und Kinder. Ich glaube kein Wort davon — ein für allemal! Ich bin alt genng, selbst zu denken, und ein Freidenker will ich sein und nichts glauben, als was ich weiß und verstehe!" Akkon zieht endlich zu Sandy Mackah, dein seltsamen aber gutmütigen Buchhändler, der mutterseelenallein in einem dunkeln Laden zwischen seinen alten Scharteken ein beschauliches Leben führt. Die Schriften und Bücher der Hochtories und Venthamiten hat er gekreuzigt oder an Bändern an der Decke seines Ladens aufgehängt. Über dem Kamin zwischen Pfeifen, Federn und Eßwaren steht Michelangelos hautloses Modell, und daran hängt ein Zettel mit der Aufschrift: Eines Tages wird Akkon mit seinem Better Georg bekannt, einem lustigen Streber und orthodoxen Theologen von der Universität Cambridge. Auf einem Spaziergange gehen sie in die Dulwicher Gemäldegalerie. Hier, vor dem Gemälde des heiligen Sebastian lernt Akkon einen Gelehrten, den Dechanten Winnstah aus Cambridge, und dessen reizende Tochter Lilian kennen. Die erste Liebe schleicht sich in des armen Burschen Herz. Er trüuiut und dichtet und lebt nur in Liebesliedern. Aber der alte Saudy reißt ihn aus seinen unfruchtbaren Trünmeu und führt ihn zurück zu seiner natürlichen Bestimmung, der eines Volksdichters. „Um dich her, sagt er, in jeder Branntweinschenke und jedem Gemüsekellcr, streiten Gott und Satan mit einander um Tod und Leben, jede Dachkammer ist ein Ver¬ lornes und wiedergefundnes Paradies, hältst du es noch für deiner un¬ würdig, ein Volksdichter zu werden?" Akkon Locke studirt nun die Maler, um seine Phantasie zu bereichern, er arbeitet sich durch Carlyles Geschichte der französischen Revolution, um seine Begriffe über Staat und Gesellschaft zu klären, er vergräbt sich in Tennysons Gedichte, um dessen demokratische Richtung zu verstehen und sich an der Schön¬ heit seiner Sprache zu begeistern. In seinen eignen ersten Versuchen lehnt er sich an den Stil seiner Lieblingsdichter Burns und Tennyson. Aber Sandy ruft ihm zu: „Mach dir einen eignen Stil, Junge! Bist so wenig ein schot¬ tischer Tagelöhner, wie ein Lineolner Gutsherr. Geh deinen eignen Weg und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/373>, abgerufen am 28.07.2024.