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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Erziehung

zugeben. Es ist wahr, durch die Übung im Gesang, durch das Lesen klas¬
sischer Dichtungen hat die Schule das Verständnis sür einzelne Teile der
Kunst gut angebahnt, aber wie steht es mit der Einführung in die bildenden
Künste? Da klafft doch wohl eine große Lücke, sodaß ein Weckruf, wie ihn
Professor Lauge in seinem Buch ..Die künstlerische Erziehung der deutschen
Jugend" erhebt, zu rechter und zu höchster Zeit erschallt. Möchte er nur
überall gehört werden!

In den ketten beiden Kapiteln (11 und 12) entwickelt der Verfasser die
allgemeinen Grundlagen des erziehenden Unterrichts, soweit sie sür den ge¬
bildeten Erzieher überhaupt vou Wichtigkeit sind. Er geht dabei ans von der
"bahnbrechenden und ausschlaggebenden Unterscheidung zwischen dem Fach- und
dem Erziehungsunterricht." Der Verfasser will nur von dem zweiten reden.
Ihn will er sür unsre Kinder fordern; alle Reform des Unterrichts habe heute
gar keinen andern Sinn, als den, unsre Jngendschulen, die sich fälschlich mehr
und mehr in Fachschulen verkehrt haben, woraus alle ihre Mängel entstanden
sind, wieder in Erziehnngsschuleu zu verwandeln, in Schulen, die nicht in
erster Linie darauf bedacht sind, Kenntnisse zu vermitteln, sondern die Erziehung
des Hauses in wirksamer Weise zu unterstützen.

Erziehungsschnlen eben sind solche, in denen alle Thätigkeit des Lebens,
den Unterricht eingeschlossen, auf das eine Ziel losgeht: die Gesinnung zu bilden.
Erziehender Unterricht ist willenbildender Unterricht. Als solcher veranlaßt
er den Schüler, daß er sich immerfort Arbeitsziele setze und damit zur Selbst¬
thätigkeit ansporne. Ferner strebt der erziehende Unterricht in psychologisch
richtiger Weise die Aufmerksamkeit des Schülers stetig zu erregen und ^sich so
wertvoll zu gestalten, daß er ein lebhaftes vielseitiges Interesse im Schüler
hervorruft.

Auch in diesen Partien fußt der Verfasser durchaus auf dem Boden der
neuern Didaktik, die ihre tiefste Anregung von Herbart empfangen hat. Über
die Abweichungen, die wir in seinem Buche bemerkt haben, können wir uus
hier nicht weiter verbreiten, da sie dem Leserkreis der Grenzboten wohl fern¬
liegen. Ebenso können wir nicht näher darlegen, weshalb wir der vor-
geschlagnen Organisation des Schulwesens unsre Zustimmung versagen müssen.

Im zwölften Kapitel giebt der Verfasser ein Beispiel für die methodische
Behandlung eines Lehrstoffs nach der Theorie der Formalstufen, die sich immer
mehr Anerkennung erwirbt, da sie gegründet ist auf die Gesetze des psychischen
Geschehens, wie sie in jedem normal angelegten Geiste zu verlaufen pflegen,
und bereits so starke Verbreitung gewinnt, daß es bald angebracht sein dürfte,
vor falschen Auslegungen zu warnen.

Damit haben wir in kurzen Umrissen die theoretischem Darlegungen der
"Deutschen Erziehung" umschrieben. Sie soll sich, wie es am Schlüsse des
Werkes heißt, darstellen als "der himmlische Zusammenklang einer reichen^'


Deutsche Erziehung

zugeben. Es ist wahr, durch die Übung im Gesang, durch das Lesen klas¬
sischer Dichtungen hat die Schule das Verständnis sür einzelne Teile der
Kunst gut angebahnt, aber wie steht es mit der Einführung in die bildenden
Künste? Da klafft doch wohl eine große Lücke, sodaß ein Weckruf, wie ihn
Professor Lauge in seinem Buch ..Die künstlerische Erziehung der deutschen
Jugend" erhebt, zu rechter und zu höchster Zeit erschallt. Möchte er nur
überall gehört werden!

In den ketten beiden Kapiteln (11 und 12) entwickelt der Verfasser die
allgemeinen Grundlagen des erziehenden Unterrichts, soweit sie sür den ge¬
bildeten Erzieher überhaupt vou Wichtigkeit sind. Er geht dabei ans von der
„bahnbrechenden und ausschlaggebenden Unterscheidung zwischen dem Fach- und
dem Erziehungsunterricht." Der Verfasser will nur von dem zweiten reden.
Ihn will er sür unsre Kinder fordern; alle Reform des Unterrichts habe heute
gar keinen andern Sinn, als den, unsre Jngendschulen, die sich fälschlich mehr
und mehr in Fachschulen verkehrt haben, woraus alle ihre Mängel entstanden
sind, wieder in Erziehnngsschuleu zu verwandeln, in Schulen, die nicht in
erster Linie darauf bedacht sind, Kenntnisse zu vermitteln, sondern die Erziehung
des Hauses in wirksamer Weise zu unterstützen.

Erziehungsschnlen eben sind solche, in denen alle Thätigkeit des Lebens,
den Unterricht eingeschlossen, auf das eine Ziel losgeht: die Gesinnung zu bilden.
Erziehender Unterricht ist willenbildender Unterricht. Als solcher veranlaßt
er den Schüler, daß er sich immerfort Arbeitsziele setze und damit zur Selbst¬
thätigkeit ansporne. Ferner strebt der erziehende Unterricht in psychologisch
richtiger Weise die Aufmerksamkeit des Schülers stetig zu erregen und ^sich so
wertvoll zu gestalten, daß er ein lebhaftes vielseitiges Interesse im Schüler
hervorruft.

Auch in diesen Partien fußt der Verfasser durchaus auf dem Boden der
neuern Didaktik, die ihre tiefste Anregung von Herbart empfangen hat. Über
die Abweichungen, die wir in seinem Buche bemerkt haben, können wir uus
hier nicht weiter verbreiten, da sie dem Leserkreis der Grenzboten wohl fern¬
liegen. Ebenso können wir nicht näher darlegen, weshalb wir der vor-
geschlagnen Organisation des Schulwesens unsre Zustimmung versagen müssen.

Im zwölften Kapitel giebt der Verfasser ein Beispiel für die methodische
Behandlung eines Lehrstoffs nach der Theorie der Formalstufen, die sich immer
mehr Anerkennung erwirbt, da sie gegründet ist auf die Gesetze des psychischen
Geschehens, wie sie in jedem normal angelegten Geiste zu verlaufen pflegen,
und bereits so starke Verbreitung gewinnt, daß es bald angebracht sein dürfte,
vor falschen Auslegungen zu warnen.

Damit haben wir in kurzen Umrissen die theoretischem Darlegungen der
"Deutschen Erziehung" umschrieben. Sie soll sich, wie es am Schlüsse des
Werkes heißt, darstellen als „der himmlische Zusammenklang einer reichen^'


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[0037] Deutsche Erziehung zugeben. Es ist wahr, durch die Übung im Gesang, durch das Lesen klas¬ sischer Dichtungen hat die Schule das Verständnis sür einzelne Teile der Kunst gut angebahnt, aber wie steht es mit der Einführung in die bildenden Künste? Da klafft doch wohl eine große Lücke, sodaß ein Weckruf, wie ihn Professor Lauge in seinem Buch ..Die künstlerische Erziehung der deutschen Jugend" erhebt, zu rechter und zu höchster Zeit erschallt. Möchte er nur überall gehört werden! In den ketten beiden Kapiteln (11 und 12) entwickelt der Verfasser die allgemeinen Grundlagen des erziehenden Unterrichts, soweit sie sür den ge¬ bildeten Erzieher überhaupt vou Wichtigkeit sind. Er geht dabei ans von der „bahnbrechenden und ausschlaggebenden Unterscheidung zwischen dem Fach- und dem Erziehungsunterricht." Der Verfasser will nur von dem zweiten reden. Ihn will er sür unsre Kinder fordern; alle Reform des Unterrichts habe heute gar keinen andern Sinn, als den, unsre Jngendschulen, die sich fälschlich mehr und mehr in Fachschulen verkehrt haben, woraus alle ihre Mängel entstanden sind, wieder in Erziehnngsschuleu zu verwandeln, in Schulen, die nicht in erster Linie darauf bedacht sind, Kenntnisse zu vermitteln, sondern die Erziehung des Hauses in wirksamer Weise zu unterstützen. Erziehungsschnlen eben sind solche, in denen alle Thätigkeit des Lebens, den Unterricht eingeschlossen, auf das eine Ziel losgeht: die Gesinnung zu bilden. Erziehender Unterricht ist willenbildender Unterricht. Als solcher veranlaßt er den Schüler, daß er sich immerfort Arbeitsziele setze und damit zur Selbst¬ thätigkeit ansporne. Ferner strebt der erziehende Unterricht in psychologisch richtiger Weise die Aufmerksamkeit des Schülers stetig zu erregen und ^sich so wertvoll zu gestalten, daß er ein lebhaftes vielseitiges Interesse im Schüler hervorruft. Auch in diesen Partien fußt der Verfasser durchaus auf dem Boden der neuern Didaktik, die ihre tiefste Anregung von Herbart empfangen hat. Über die Abweichungen, die wir in seinem Buche bemerkt haben, können wir uus hier nicht weiter verbreiten, da sie dem Leserkreis der Grenzboten wohl fern¬ liegen. Ebenso können wir nicht näher darlegen, weshalb wir der vor- geschlagnen Organisation des Schulwesens unsre Zustimmung versagen müssen. Im zwölften Kapitel giebt der Verfasser ein Beispiel für die methodische Behandlung eines Lehrstoffs nach der Theorie der Formalstufen, die sich immer mehr Anerkennung erwirbt, da sie gegründet ist auf die Gesetze des psychischen Geschehens, wie sie in jedem normal angelegten Geiste zu verlaufen pflegen, und bereits so starke Verbreitung gewinnt, daß es bald angebracht sein dürfte, vor falschen Auslegungen zu warnen. Damit haben wir in kurzen Umrissen die theoretischem Darlegungen der "Deutschen Erziehung" umschrieben. Sie soll sich, wie es am Schlüsse des Werkes heißt, darstellen als „der himmlische Zusammenklang einer reichen^'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/37>, abgerufen am 27.07.2024.