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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lcharles Kingsley als Dichter und Sozialreformer

durch den grauen Nebel am Ausgange des Waldwegs. Dann kam ein Treiber
mit zugekuiffuen Augen vorwärts; er brach durch die krachenden Erlenbüsche
und stürzte über das Binsengestrüpp, um einen zurückgebliebnen Hund zu
bringen; dann erschien ein beleibter. Pächter, der eifrig dnrch den Sumpf
stampfte, trotz seiner Eile eingeholt und von den Reitern überspritzt wurde,
die in das offne, biusenbesäete Weideland gelangten. Kibitze und Brachvögel
wurden aufgescheucht, als von allen Seiten die Reiter heranjagten, von denen
die schlauesten, alte Pächter, mit seltsamen Quersprüngen irgend einem wohl¬
bekannten Schlupfwinkel Reinekes zürnten. lind vorwärts stürzte vor Lust
nud Tollheit bellend und heulend die buntgefleckte Meute und schnüffelte und
schwänzelte herum durch die weichen, grauen Nebelschleier auf dem Felde."

Der arme todesmatte Fuchs wird endlich gefaßt, nachdem das nennen
quer über einen alten Friedhof gegangen ist, und die Hunde zwischen den alten
Grabsteinen getobt haben. Lancelot steht bei diesem Anblick wie zerschmettert
da: "Friede und Kampf, Zeit und Ewigkeit, das unsinnige, lärmende Fleisch,
und der stille, unsterbliche Geist, das leichtsinnige Spiel mit des Lebens äußerm
Schein, und der furchtbare Ernst in seineu innern Abgründen stießen unhar¬
monisch in ihm und außer ihm an einander." Der Träumer achtet nicht ans
sein Pferd. Bor der Umzünnnng des Lavingtonscheu Parks stürzt es in
mächtigem Sprunge zusammen. Lancelot bleibt bewußtlos liegen und wird in
das Haus, die Privrei des Barons, getragen.

Aus dem Geschlechte der Laviugtvus lastet ein Fluch. Whitford ist einst
ein Nonnenkloster gewesen; auf die verleumderische Beschuldigung eines Lavington
sind eines Tages die Nonnen verbannt, das Kloster aufgehoben und der Besitz
dem Anklüger gegeben worden. Zu Tode beleidigt, hat sich die Priorin in
deu nahen See gestürzt. Seitdem wird das Haus Laviugtou vom Unglück
verfolgt. Die Töchter des Barons, Agremone und Honoria, suchen durch
kirchliches Leben und fromme Werkthätigkeit deu Fluch zu bannen. Agremone
will barmherzige Schwester werden. Da lernt sie Lancelot kennen. Die Liebe
führt sie nach vielen schweren Seelenkümpfen zur Welt und ihn wieder zu Gott
zurück. Aber Lancelot verliert sein Vermögen, und Agremvnes engherzige
Mutter sucht die Liebenden zu trennen. Da zieht Lancelot in die Welt und
wird ein eifriger Verfechter chartistischer Ideen. Carlyles Buch über den
Chartismus ist sein wirtschaftliches Glaubensbekenntnis. "Ich glaube wirk¬
lich, sagt er in einem Gespräch mit reichen Grundbesitzern, daß wir Vornehmen
alle zu demselben Trugschluß kommen. Wir halten uns für das feste, not¬
wendige Element der Gesellschaft, mit dem sich alle andern abfinden müßten.
Da sind die Rechte der wenigen Reichen festgesetzt, woraus sich die Lage der
vielen Armen ergeben soll. Mir scheint, das andre Postulat ist ebenso richtig:
stellt die Rechte der vielen Armen fest, so ergiebt sich daraus die Lage der
wenigen Reichen."


Lcharles Kingsley als Dichter und Sozialreformer

durch den grauen Nebel am Ausgange des Waldwegs. Dann kam ein Treiber
mit zugekuiffuen Augen vorwärts; er brach durch die krachenden Erlenbüsche
und stürzte über das Binsengestrüpp, um einen zurückgebliebnen Hund zu
bringen; dann erschien ein beleibter. Pächter, der eifrig dnrch den Sumpf
stampfte, trotz seiner Eile eingeholt und von den Reitern überspritzt wurde,
die in das offne, biusenbesäete Weideland gelangten. Kibitze und Brachvögel
wurden aufgescheucht, als von allen Seiten die Reiter heranjagten, von denen
die schlauesten, alte Pächter, mit seltsamen Quersprüngen irgend einem wohl¬
bekannten Schlupfwinkel Reinekes zürnten. lind vorwärts stürzte vor Lust
nud Tollheit bellend und heulend die buntgefleckte Meute und schnüffelte und
schwänzelte herum durch die weichen, grauen Nebelschleier auf dem Felde."

Der arme todesmatte Fuchs wird endlich gefaßt, nachdem das nennen
quer über einen alten Friedhof gegangen ist, und die Hunde zwischen den alten
Grabsteinen getobt haben. Lancelot steht bei diesem Anblick wie zerschmettert
da: „Friede und Kampf, Zeit und Ewigkeit, das unsinnige, lärmende Fleisch,
und der stille, unsterbliche Geist, das leichtsinnige Spiel mit des Lebens äußerm
Schein, und der furchtbare Ernst in seineu innern Abgründen stießen unhar¬
monisch in ihm und außer ihm an einander." Der Träumer achtet nicht ans
sein Pferd. Bor der Umzünnnng des Lavingtonscheu Parks stürzt es in
mächtigem Sprunge zusammen. Lancelot bleibt bewußtlos liegen und wird in
das Haus, die Privrei des Barons, getragen.

Aus dem Geschlechte der Laviugtvus lastet ein Fluch. Whitford ist einst
ein Nonnenkloster gewesen; auf die verleumderische Beschuldigung eines Lavington
sind eines Tages die Nonnen verbannt, das Kloster aufgehoben und der Besitz
dem Anklüger gegeben worden. Zu Tode beleidigt, hat sich die Priorin in
deu nahen See gestürzt. Seitdem wird das Haus Laviugtou vom Unglück
verfolgt. Die Töchter des Barons, Agremone und Honoria, suchen durch
kirchliches Leben und fromme Werkthätigkeit deu Fluch zu bannen. Agremone
will barmherzige Schwester werden. Da lernt sie Lancelot kennen. Die Liebe
führt sie nach vielen schweren Seelenkümpfen zur Welt und ihn wieder zu Gott
zurück. Aber Lancelot verliert sein Vermögen, und Agremvnes engherzige
Mutter sucht die Liebenden zu trennen. Da zieht Lancelot in die Welt und
wird ein eifriger Verfechter chartistischer Ideen. Carlyles Buch über den
Chartismus ist sein wirtschaftliches Glaubensbekenntnis. „Ich glaube wirk¬
lich, sagt er in einem Gespräch mit reichen Grundbesitzern, daß wir Vornehmen
alle zu demselben Trugschluß kommen. Wir halten uns für das feste, not¬
wendige Element der Gesellschaft, mit dem sich alle andern abfinden müßten.
Da sind die Rechte der wenigen Reichen festgesetzt, woraus sich die Lage der
vielen Armen ergeben soll. Mir scheint, das andre Postulat ist ebenso richtig:
stellt die Rechte der vielen Armen fest, so ergiebt sich daraus die Lage der
wenigen Reichen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/366>, abgerufen am 28.07.2024.