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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Neue Werke über Nordamerika

Engländern und andern, die die Reise über das große Wasser antreten, ein
wahrer Trost sein. Denn bisher fehlte es an einem Reisehandbuch, das das
Notwendige, dieses aber gut, und weiter nichts bot. Es gehört zu den rätsel¬
haften Widersprüchen im angelsächsischen Wesen, daß es kein Talent für Reise¬
handbücher hat. Die roten Osgovdsührer, mit denen sich der Amerikaner
wie der Fremde in Nordamerika behelfen muß, stechen sehr zu ihrem Nachteil
von unsern deutschen Bädeker, Meyer u. a. ab. Und manche Bädeker sind in
England verbreiteter als in Deutschland. Die amerikanischen Führer bringen Re¬
flexionen statt Thatsachen. Der Reisende, der den Namen eines guten Gasthauses
zu wissen wünscht, wird aufgefordert, ein riesiges Geschäftshaus, ein Denkmal,
einen Viadukt oder einen Felsen zu bewundern. Das Buch hält es für nötig,
der Bildung des Reisenden durch Anekdote" und seiner Empfindung durch Ge¬
fühlsergüsse nachzuhelfen. Ich erinnere mich, vor nicht viel Jahren mit einem
dicken blauen Buche dieser Art, das deu verdächtigen Titel 6oL8ixinZ 6ni(l"z
führte, durch Wales gereist zu sein. Es war eine Qual. Bei jeder Windung
des Wegs ein sentimentaler Erguß, aber bei keiner Kreuzung ein Wink, bei keinem
Gasthaus ein Rat. Ich meine, nur haben in diesem Widerspruch wieder ein¬
mal einen Beleg dafür, daß unser Überfluß an Intelligenz doch nicht so ganz
nutzlos verrauscht. Die große Mehrzahl der englischen und amerikanischen
Reisenden ist nicht gebildet genug, sich tief für ein fremdes Land und Volk
zu interessiren. Sie machen die Reisen geschäftsmäßig ab, nicht aus Lust
daran, sondern ans seiger Unterwerfung unter die Mode, oder weil sie sich
langweilen. So wie ein guter Fremdenführer etwas von einem Praktikus,
einem gemütlichen Kerl und einem Lokalgelehrten haben muß, so gedeiht auch
der Bädeker auf dem Boden am besten, wo diese Pflanzen am besten gedeihen.
Und wer möchte leugnen, daß das eben unser deutscher Boden ist? Doch
kommen wir zu dem roten Buche zurück. Die Einleitung ist länger als ge¬
wöhnlich, umfaßt sogar einen geographischen Blick auf Nordamerika, eine
kurze Chronologie von Leif dem Isländer und Cabot bis zur zweiten Prä¬
sidentschaft G. Clevelauds, ein nützliches Verzeichnis amerikanischer Aus¬
drücke u. a. Ein Verzeichnis amerikanischer Erziehungs-, Wohlthätigkeits- und
Strafanstalten, das den Schluß der Einleitung macht, ist sicherlich nicht so
aufzufassen, daß Herr Bädeker seine Reisenden anch zum Eintritt in eine
von ihnen vorbereiten wollte. Sie sind vielmehr als Sehenswürdigkeiten für
Fachmänner zusammengestellt. Auch der Nichtfachmann wird ja in so mancher
Stadt des Westens oder Südens endlich einen Cvttou-Gin oder ein Schlacht¬
haus ansehen, wenn es an andern Sehenswürdigkeiten gebricht. Der eigent¬
liche Führer hat auf 458 eng gedruckten Seiten neunundneunzig Reisewege
durch die Vereinigten Staaten und Kanada und dazu noch fünf durch Mexiko.
Karte und Pläne sind reichlich und vorzüglich. Soweit wir nach jahrelanger
Abwesenheit die Verhältnisse noch beurteilen können, sind die Angaben über


Grenzboten III 1898 39
Neue Werke über Nordamerika

Engländern und andern, die die Reise über das große Wasser antreten, ein
wahrer Trost sein. Denn bisher fehlte es an einem Reisehandbuch, das das
Notwendige, dieses aber gut, und weiter nichts bot. Es gehört zu den rätsel¬
haften Widersprüchen im angelsächsischen Wesen, daß es kein Talent für Reise¬
handbücher hat. Die roten Osgovdsührer, mit denen sich der Amerikaner
wie der Fremde in Nordamerika behelfen muß, stechen sehr zu ihrem Nachteil
von unsern deutschen Bädeker, Meyer u. a. ab. Und manche Bädeker sind in
England verbreiteter als in Deutschland. Die amerikanischen Führer bringen Re¬
flexionen statt Thatsachen. Der Reisende, der den Namen eines guten Gasthauses
zu wissen wünscht, wird aufgefordert, ein riesiges Geschäftshaus, ein Denkmal,
einen Viadukt oder einen Felsen zu bewundern. Das Buch hält es für nötig,
der Bildung des Reisenden durch Anekdote» und seiner Empfindung durch Ge¬
fühlsergüsse nachzuhelfen. Ich erinnere mich, vor nicht viel Jahren mit einem
dicken blauen Buche dieser Art, das deu verdächtigen Titel 6oL8ixinZ 6ni(l«z
führte, durch Wales gereist zu sein. Es war eine Qual. Bei jeder Windung
des Wegs ein sentimentaler Erguß, aber bei keiner Kreuzung ein Wink, bei keinem
Gasthaus ein Rat. Ich meine, nur haben in diesem Widerspruch wieder ein¬
mal einen Beleg dafür, daß unser Überfluß an Intelligenz doch nicht so ganz
nutzlos verrauscht. Die große Mehrzahl der englischen und amerikanischen
Reisenden ist nicht gebildet genug, sich tief für ein fremdes Land und Volk
zu interessiren. Sie machen die Reisen geschäftsmäßig ab, nicht aus Lust
daran, sondern ans seiger Unterwerfung unter die Mode, oder weil sie sich
langweilen. So wie ein guter Fremdenführer etwas von einem Praktikus,
einem gemütlichen Kerl und einem Lokalgelehrten haben muß, so gedeiht auch
der Bädeker auf dem Boden am besten, wo diese Pflanzen am besten gedeihen.
Und wer möchte leugnen, daß das eben unser deutscher Boden ist? Doch
kommen wir zu dem roten Buche zurück. Die Einleitung ist länger als ge¬
wöhnlich, umfaßt sogar einen geographischen Blick auf Nordamerika, eine
kurze Chronologie von Leif dem Isländer und Cabot bis zur zweiten Prä¬
sidentschaft G. Clevelauds, ein nützliches Verzeichnis amerikanischer Aus¬
drücke u. a. Ein Verzeichnis amerikanischer Erziehungs-, Wohlthätigkeits- und
Strafanstalten, das den Schluß der Einleitung macht, ist sicherlich nicht so
aufzufassen, daß Herr Bädeker seine Reisenden anch zum Eintritt in eine
von ihnen vorbereiten wollte. Sie sind vielmehr als Sehenswürdigkeiten für
Fachmänner zusammengestellt. Auch der Nichtfachmann wird ja in so mancher
Stadt des Westens oder Südens endlich einen Cvttou-Gin oder ein Schlacht¬
haus ansehen, wenn es an andern Sehenswürdigkeiten gebricht. Der eigent¬
liche Führer hat auf 458 eng gedruckten Seiten neunundneunzig Reisewege
durch die Vereinigten Staaten und Kanada und dazu noch fünf durch Mexiko.
Karte und Pläne sind reichlich und vorzüglich. Soweit wir nach jahrelanger
Abwesenheit die Verhältnisse noch beurteilen können, sind die Angaben über


Grenzboten III 1898 39
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[0313] Neue Werke über Nordamerika Engländern und andern, die die Reise über das große Wasser antreten, ein wahrer Trost sein. Denn bisher fehlte es an einem Reisehandbuch, das das Notwendige, dieses aber gut, und weiter nichts bot. Es gehört zu den rätsel¬ haften Widersprüchen im angelsächsischen Wesen, daß es kein Talent für Reise¬ handbücher hat. Die roten Osgovdsührer, mit denen sich der Amerikaner wie der Fremde in Nordamerika behelfen muß, stechen sehr zu ihrem Nachteil von unsern deutschen Bädeker, Meyer u. a. ab. Und manche Bädeker sind in England verbreiteter als in Deutschland. Die amerikanischen Führer bringen Re¬ flexionen statt Thatsachen. Der Reisende, der den Namen eines guten Gasthauses zu wissen wünscht, wird aufgefordert, ein riesiges Geschäftshaus, ein Denkmal, einen Viadukt oder einen Felsen zu bewundern. Das Buch hält es für nötig, der Bildung des Reisenden durch Anekdote» und seiner Empfindung durch Ge¬ fühlsergüsse nachzuhelfen. Ich erinnere mich, vor nicht viel Jahren mit einem dicken blauen Buche dieser Art, das deu verdächtigen Titel 6oL8ixinZ 6ni(l«z führte, durch Wales gereist zu sein. Es war eine Qual. Bei jeder Windung des Wegs ein sentimentaler Erguß, aber bei keiner Kreuzung ein Wink, bei keinem Gasthaus ein Rat. Ich meine, nur haben in diesem Widerspruch wieder ein¬ mal einen Beleg dafür, daß unser Überfluß an Intelligenz doch nicht so ganz nutzlos verrauscht. Die große Mehrzahl der englischen und amerikanischen Reisenden ist nicht gebildet genug, sich tief für ein fremdes Land und Volk zu interessiren. Sie machen die Reisen geschäftsmäßig ab, nicht aus Lust daran, sondern ans seiger Unterwerfung unter die Mode, oder weil sie sich langweilen. So wie ein guter Fremdenführer etwas von einem Praktikus, einem gemütlichen Kerl und einem Lokalgelehrten haben muß, so gedeiht auch der Bädeker auf dem Boden am besten, wo diese Pflanzen am besten gedeihen. Und wer möchte leugnen, daß das eben unser deutscher Boden ist? Doch kommen wir zu dem roten Buche zurück. Die Einleitung ist länger als ge¬ wöhnlich, umfaßt sogar einen geographischen Blick auf Nordamerika, eine kurze Chronologie von Leif dem Isländer und Cabot bis zur zweiten Prä¬ sidentschaft G. Clevelauds, ein nützliches Verzeichnis amerikanischer Aus¬ drücke u. a. Ein Verzeichnis amerikanischer Erziehungs-, Wohlthätigkeits- und Strafanstalten, das den Schluß der Einleitung macht, ist sicherlich nicht so aufzufassen, daß Herr Bädeker seine Reisenden anch zum Eintritt in eine von ihnen vorbereiten wollte. Sie sind vielmehr als Sehenswürdigkeiten für Fachmänner zusammengestellt. Auch der Nichtfachmann wird ja in so mancher Stadt des Westens oder Südens endlich einen Cvttou-Gin oder ein Schlacht¬ haus ansehen, wenn es an andern Sehenswürdigkeiten gebricht. Der eigent¬ liche Führer hat auf 458 eng gedruckten Seiten neunundneunzig Reisewege durch die Vereinigten Staaten und Kanada und dazu noch fünf durch Mexiko. Karte und Pläne sind reichlich und vorzüglich. Soweit wir nach jahrelanger Abwesenheit die Verhältnisse noch beurteilen können, sind die Angaben über Grenzboten III 1898 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/313>, abgerufen am 28.07.2024.