Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Neue Werke über Nordamerika

el kleinen Sorgen und Mühen, die aus der Nähe auf uns ein¬
dringen, unter uns große Gefahren, die wir noch fern wissen,
fast tröstlich an. Sie haben nichts von der kleinlichen Belästi¬
gung, deren Stiche uns zuletzt ärger reizen als die Drohung
einer rechten Wunde. Wir sehnen uns nach dem Kampfe mit
ebenbürtigen Feinden, in dein der Sieg Genugthuung und Gewinn bringt.
Hinter der Furcht vor den Verwüstungen, die das heraufziehende Gewitter
über unsre Fluren bringen konnte, steht die Hoffnung auf den reinen Himmel,
von dem die Sonne klarer herabblicken wird, wenn sich die Wolken entladen
haben werden.

Seit einigen Jahren liebt man es, die Vereinigten Staaten von Amerika
wie einen Herd von Gefahren zu schildern, die sich langsam sammeln, um
einst unaufhaltsam über uns hereinzubrechen. Ich habe an vielem keinen Ge¬
fallen, was dort drüben gebraut wird, aber ich schüttle die Furcht leicht ab,
die diese Prophezeiungen erregen wollen. Wenn ich des Ächzens und Knarrens
der mühselig eingezwängten Politik Alteurvpas müde bin, höre ich uicht ohne
Behagen nach dem kräftigen Rauschen der Stürme hin, die den Westen durch¬
brausen, und die auch einmal übers Meer sahren und bei ungehemmter Aus¬
breitung in den weiten freien Rünmen anch uns tüchtig schütteln konnten. Ich
glaube nicht an die Nähe einer bedrohlichen politischen Cyklone aus Westen
und hoffe übrigens, daß die Sturmbahn gerade wie bei manchen wahren Wirbel¬
stürmen des nordatlantischen Ozeans nicht tief ins Festland dringen, sondern
sich über den Inseln austoben und dann umbiegen wird. Wenn aber die
Sturmwarnungen den Erfolg haben sollten, daß sich die europäischen Mächte
enger verbinden, um der großen transatlantischen Macht geschlossener gegen-
überzutreten, dann könnte ich dem fernen Grollen sogar eine politisch-päda¬
gogische Bedeutung nicht absprechen, und es klänge mir gar nicht unwill¬
kommen in die Ohren. Caprivi nannte um 10. Dezember 1L91 im Reichstage
bei der Beratung der neuen Handelsverträge eine weltgeschichtliche Erscheinung,
die er hoch anschlage, die Bildung großer Reiche, ihr Selbstbewußtsein und
ihr Streben, gegen andre sich abzuschließen; der Schauplatz der Geschichte
habe sich erweitert, die politischen Proportionen seien größer geworden, der




Neue Werke über Nordamerika

el kleinen Sorgen und Mühen, die aus der Nähe auf uns ein¬
dringen, unter uns große Gefahren, die wir noch fern wissen,
fast tröstlich an. Sie haben nichts von der kleinlichen Belästi¬
gung, deren Stiche uns zuletzt ärger reizen als die Drohung
einer rechten Wunde. Wir sehnen uns nach dem Kampfe mit
ebenbürtigen Feinden, in dein der Sieg Genugthuung und Gewinn bringt.
Hinter der Furcht vor den Verwüstungen, die das heraufziehende Gewitter
über unsre Fluren bringen konnte, steht die Hoffnung auf den reinen Himmel,
von dem die Sonne klarer herabblicken wird, wenn sich die Wolken entladen
haben werden.

Seit einigen Jahren liebt man es, die Vereinigten Staaten von Amerika
wie einen Herd von Gefahren zu schildern, die sich langsam sammeln, um
einst unaufhaltsam über uns hereinzubrechen. Ich habe an vielem keinen Ge¬
fallen, was dort drüben gebraut wird, aber ich schüttle die Furcht leicht ab,
die diese Prophezeiungen erregen wollen. Wenn ich des Ächzens und Knarrens
der mühselig eingezwängten Politik Alteurvpas müde bin, höre ich uicht ohne
Behagen nach dem kräftigen Rauschen der Stürme hin, die den Westen durch¬
brausen, und die auch einmal übers Meer sahren und bei ungehemmter Aus¬
breitung in den weiten freien Rünmen anch uns tüchtig schütteln konnten. Ich
glaube nicht an die Nähe einer bedrohlichen politischen Cyklone aus Westen
und hoffe übrigens, daß die Sturmbahn gerade wie bei manchen wahren Wirbel¬
stürmen des nordatlantischen Ozeans nicht tief ins Festland dringen, sondern
sich über den Inseln austoben und dann umbiegen wird. Wenn aber die
Sturmwarnungen den Erfolg haben sollten, daß sich die europäischen Mächte
enger verbinden, um der großen transatlantischen Macht geschlossener gegen-
überzutreten, dann könnte ich dem fernen Grollen sogar eine politisch-päda¬
gogische Bedeutung nicht absprechen, und es klänge mir gar nicht unwill¬
kommen in die Ohren. Caprivi nannte um 10. Dezember 1L91 im Reichstage
bei der Beratung der neuen Handelsverträge eine weltgeschichtliche Erscheinung,
die er hoch anschlage, die Bildung großer Reiche, ihr Selbstbewußtsein und
ihr Streben, gegen andre sich abzuschließen; der Schauplatz der Geschichte
habe sich erweitert, die politischen Proportionen seien größer geworden, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215400"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341857_215089/figures/grenzboten_341857_215089_215400_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Werke über Nordamerika</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1079"> el kleinen Sorgen und Mühen, die aus der Nähe auf uns ein¬<lb/>
dringen, unter uns große Gefahren, die wir noch fern wissen,<lb/>
fast tröstlich an. Sie haben nichts von der kleinlichen Belästi¬<lb/>
gung, deren Stiche uns zuletzt ärger reizen als die Drohung<lb/>
einer rechten Wunde. Wir sehnen uns nach dem Kampfe mit<lb/>
ebenbürtigen Feinden, in dein der Sieg Genugthuung und Gewinn bringt.<lb/>
Hinter der Furcht vor den Verwüstungen, die das heraufziehende Gewitter<lb/>
über unsre Fluren bringen konnte, steht die Hoffnung auf den reinen Himmel,<lb/>
von dem die Sonne klarer herabblicken wird, wenn sich die Wolken entladen<lb/>
haben werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080" next="#ID_1081"> Seit einigen Jahren liebt man es, die Vereinigten Staaten von Amerika<lb/>
wie einen Herd von Gefahren zu schildern, die sich langsam sammeln, um<lb/>
einst unaufhaltsam über uns hereinzubrechen. Ich habe an vielem keinen Ge¬<lb/>
fallen, was dort drüben gebraut wird, aber ich schüttle die Furcht leicht ab,<lb/>
die diese Prophezeiungen erregen wollen. Wenn ich des Ächzens und Knarrens<lb/>
der mühselig eingezwängten Politik Alteurvpas müde bin, höre ich uicht ohne<lb/>
Behagen nach dem kräftigen Rauschen der Stürme hin, die den Westen durch¬<lb/>
brausen, und die auch einmal übers Meer sahren und bei ungehemmter Aus¬<lb/>
breitung in den weiten freien Rünmen anch uns tüchtig schütteln konnten. Ich<lb/>
glaube nicht an die Nähe einer bedrohlichen politischen Cyklone aus Westen<lb/>
und hoffe übrigens, daß die Sturmbahn gerade wie bei manchen wahren Wirbel¬<lb/>
stürmen des nordatlantischen Ozeans nicht tief ins Festland dringen, sondern<lb/>
sich über den Inseln austoben und dann umbiegen wird. Wenn aber die<lb/>
Sturmwarnungen den Erfolg haben sollten, daß sich die europäischen Mächte<lb/>
enger verbinden, um der großen transatlantischen Macht geschlossener gegen-<lb/>
überzutreten, dann könnte ich dem fernen Grollen sogar eine politisch-päda¬<lb/>
gogische Bedeutung nicht absprechen, und es klänge mir gar nicht unwill¬<lb/>
kommen in die Ohren. Caprivi nannte um 10. Dezember 1L91 im Reichstage<lb/>
bei der Beratung der neuen Handelsverträge eine weltgeschichtliche Erscheinung,<lb/>
die er hoch anschlage, die Bildung großer Reiche, ihr Selbstbewußtsein und<lb/>
ihr Streben, gegen andre sich abzuschließen; der Schauplatz der Geschichte<lb/>
habe sich erweitert, die politischen Proportionen seien größer geworden, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] [Abbildung] Neue Werke über Nordamerika el kleinen Sorgen und Mühen, die aus der Nähe auf uns ein¬ dringen, unter uns große Gefahren, die wir noch fern wissen, fast tröstlich an. Sie haben nichts von der kleinlichen Belästi¬ gung, deren Stiche uns zuletzt ärger reizen als die Drohung einer rechten Wunde. Wir sehnen uns nach dem Kampfe mit ebenbürtigen Feinden, in dein der Sieg Genugthuung und Gewinn bringt. Hinter der Furcht vor den Verwüstungen, die das heraufziehende Gewitter über unsre Fluren bringen konnte, steht die Hoffnung auf den reinen Himmel, von dem die Sonne klarer herabblicken wird, wenn sich die Wolken entladen haben werden. Seit einigen Jahren liebt man es, die Vereinigten Staaten von Amerika wie einen Herd von Gefahren zu schildern, die sich langsam sammeln, um einst unaufhaltsam über uns hereinzubrechen. Ich habe an vielem keinen Ge¬ fallen, was dort drüben gebraut wird, aber ich schüttle die Furcht leicht ab, die diese Prophezeiungen erregen wollen. Wenn ich des Ächzens und Knarrens der mühselig eingezwängten Politik Alteurvpas müde bin, höre ich uicht ohne Behagen nach dem kräftigen Rauschen der Stürme hin, die den Westen durch¬ brausen, und die auch einmal übers Meer sahren und bei ungehemmter Aus¬ breitung in den weiten freien Rünmen anch uns tüchtig schütteln konnten. Ich glaube nicht an die Nähe einer bedrohlichen politischen Cyklone aus Westen und hoffe übrigens, daß die Sturmbahn gerade wie bei manchen wahren Wirbel¬ stürmen des nordatlantischen Ozeans nicht tief ins Festland dringen, sondern sich über den Inseln austoben und dann umbiegen wird. Wenn aber die Sturmwarnungen den Erfolg haben sollten, daß sich die europäischen Mächte enger verbinden, um der großen transatlantischen Macht geschlossener gegen- überzutreten, dann könnte ich dem fernen Grollen sogar eine politisch-päda¬ gogische Bedeutung nicht absprechen, und es klänge mir gar nicht unwill¬ kommen in die Ohren. Caprivi nannte um 10. Dezember 1L91 im Reichstage bei der Beratung der neuen Handelsverträge eine weltgeschichtliche Erscheinung, die er hoch anschlage, die Bildung großer Reiche, ihr Selbstbewußtsein und ihr Streben, gegen andre sich abzuschließen; der Schauplatz der Geschichte habe sich erweitert, die politischen Proportionen seien größer geworden, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/310>, abgerufen am 23.11.2024.