Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bodeubesitzreform deutscher Richtung

dem zähen Festhalten am Gemeindegrundeigentum in gewissem Umfange und
Ablassen desselben an Bewohner ländlicher Gemeinden zur Selbstbewirtschaf¬
tung liegt ein sittlicher und moralischer Faktor, dessen Verkennung sich stets
rächen wird." Die Straßburger Post begleitet denselben Erlas; mit den Worten:
"Das sind wahrlich goldne Worte. Hauptsächlich der Erhaltung des Gemeinde¬
grundbesitzes verdankt Elsaß-Lothringen seine verhältnismäßig noch gesunden
agrarischen Zustände, die fast gänzliche Abwesenheit eines Landarbeiterprole¬
tariats und seine geringe Armenlast. Das Gemeindeland ist ein wichtiges
Stück praktischer Sozialpolitik, indem groß und klein, ohne Rücksicht ans Ver¬
mögen und Stand, daran teilnimmt, und gleichzeitig die natürlichste Form sür
die heutzutage allenthalben angestrebte Heimstätte. Im übrigens?) werden in
denjenigen Teilen Altdcutschlands, wo diese so nützliche Einrichtung seinerzeit
durch die büreaukratische Gleichmacherei zum großen Schaden der betreffenden
Gegenden abgeschafft wurde, die daraus entspringenden Übel um so wirksamer
empfunden, als ein solcher Besitz, wenn er einmal abgeschafft ist, kaum wieder
herzustellen ist."

Und doch drängt uns die Not der Zeit, ihn wieder herzustellen oder
irgendwie zu ersetzen. Die Bodenbesitzreform zeigt einen Weg. Hier liegen
praktische Aufgaben unmittelbar vor, die gelöst sein wollen. Theorie hin,
Theorie her! Möchte sich nur das deutsche Volk in dieser dringenden sozialen
Frage wenigstens nicht als das ewige "^Volk der Denker" zeigen, das über
noch nicht ganz aufgetragne Theorien, die Hand an der Nase, sinnend stehen
bleibt und einem Gedanken, in dem es einen theoretischen Fehler wittert, den
Rücken kehrt, sondern als ein Volk der Praxis. Der Bund der Bodeubesttz-
reformer geht darin mit gutem Beispiele voran, indem er für Bauordnungen,
Erhaltung und Mehrung des Gemeindebesitzes an Grund und Boden, Erb¬
schaftssteuer u. f. w. kräftig eintritt. Der Gedanke der Bodenbcsitzreform liegt
in der Luft, Ansätze sind überall da; aber der Bund der Bodenbesitzreformer
trägt die Fahne weit und mit klarem Bewußtsein voran. Wir brauchen uns
auf seine nationalökonomischen Theorien nicht einzuschwören und können doch
seine Bestrebungen thatkräftig unterstützen.




Die Bodeubesitzreform deutscher Richtung

dem zähen Festhalten am Gemeindegrundeigentum in gewissem Umfange und
Ablassen desselben an Bewohner ländlicher Gemeinden zur Selbstbewirtschaf¬
tung liegt ein sittlicher und moralischer Faktor, dessen Verkennung sich stets
rächen wird." Die Straßburger Post begleitet denselben Erlas; mit den Worten:
„Das sind wahrlich goldne Worte. Hauptsächlich der Erhaltung des Gemeinde¬
grundbesitzes verdankt Elsaß-Lothringen seine verhältnismäßig noch gesunden
agrarischen Zustände, die fast gänzliche Abwesenheit eines Landarbeiterprole¬
tariats und seine geringe Armenlast. Das Gemeindeland ist ein wichtiges
Stück praktischer Sozialpolitik, indem groß und klein, ohne Rücksicht ans Ver¬
mögen und Stand, daran teilnimmt, und gleichzeitig die natürlichste Form sür
die heutzutage allenthalben angestrebte Heimstätte. Im übrigens?) werden in
denjenigen Teilen Altdcutschlands, wo diese so nützliche Einrichtung seinerzeit
durch die büreaukratische Gleichmacherei zum großen Schaden der betreffenden
Gegenden abgeschafft wurde, die daraus entspringenden Übel um so wirksamer
empfunden, als ein solcher Besitz, wenn er einmal abgeschafft ist, kaum wieder
herzustellen ist."

Und doch drängt uns die Not der Zeit, ihn wieder herzustellen oder
irgendwie zu ersetzen. Die Bodenbesitzreform zeigt einen Weg. Hier liegen
praktische Aufgaben unmittelbar vor, die gelöst sein wollen. Theorie hin,
Theorie her! Möchte sich nur das deutsche Volk in dieser dringenden sozialen
Frage wenigstens nicht als das ewige „^Volk der Denker" zeigen, das über
noch nicht ganz aufgetragne Theorien, die Hand an der Nase, sinnend stehen
bleibt und einem Gedanken, in dem es einen theoretischen Fehler wittert, den
Rücken kehrt, sondern als ein Volk der Praxis. Der Bund der Bodeubesttz-
reformer geht darin mit gutem Beispiele voran, indem er für Bauordnungen,
Erhaltung und Mehrung des Gemeindebesitzes an Grund und Boden, Erb¬
schaftssteuer u. f. w. kräftig eintritt. Der Gedanke der Bodenbcsitzreform liegt
in der Luft, Ansätze sind überall da; aber der Bund der Bodenbesitzreformer
trägt die Fahne weit und mit klarem Bewußtsein voran. Wir brauchen uns
auf seine nationalökonomischen Theorien nicht einzuschwören und können doch
seine Bestrebungen thatkräftig unterstützen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215399"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bodeubesitzreform deutscher Richtung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076"> dem zähen Festhalten am Gemeindegrundeigentum in gewissem Umfange und<lb/>
Ablassen desselben an Bewohner ländlicher Gemeinden zur Selbstbewirtschaf¬<lb/>
tung liegt ein sittlicher und moralischer Faktor, dessen Verkennung sich stets<lb/>
rächen wird." Die Straßburger Post begleitet denselben Erlas; mit den Worten:<lb/>
&#x201E;Das sind wahrlich goldne Worte. Hauptsächlich der Erhaltung des Gemeinde¬<lb/>
grundbesitzes verdankt Elsaß-Lothringen seine verhältnismäßig noch gesunden<lb/>
agrarischen Zustände, die fast gänzliche Abwesenheit eines Landarbeiterprole¬<lb/>
tariats und seine geringe Armenlast. Das Gemeindeland ist ein wichtiges<lb/>
Stück praktischer Sozialpolitik, indem groß und klein, ohne Rücksicht ans Ver¬<lb/>
mögen und Stand, daran teilnimmt, und gleichzeitig die natürlichste Form sür<lb/>
die heutzutage allenthalben angestrebte Heimstätte. Im übrigens?) werden in<lb/>
denjenigen Teilen Altdcutschlands, wo diese so nützliche Einrichtung seinerzeit<lb/>
durch die büreaukratische Gleichmacherei zum großen Schaden der betreffenden<lb/>
Gegenden abgeschafft wurde, die daraus entspringenden Übel um so wirksamer<lb/>
empfunden, als ein solcher Besitz, wenn er einmal abgeschafft ist, kaum wieder<lb/>
herzustellen ist."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078"> Und doch drängt uns die Not der Zeit, ihn wieder herzustellen oder<lb/>
irgendwie zu ersetzen. Die Bodenbesitzreform zeigt einen Weg. Hier liegen<lb/>
praktische Aufgaben unmittelbar vor, die gelöst sein wollen. Theorie hin,<lb/>
Theorie her! Möchte sich nur das deutsche Volk in dieser dringenden sozialen<lb/>
Frage wenigstens nicht als das ewige &#x201E;^Volk der Denker" zeigen, das über<lb/>
noch nicht ganz aufgetragne Theorien, die Hand an der Nase, sinnend stehen<lb/>
bleibt und einem Gedanken, in dem es einen theoretischen Fehler wittert, den<lb/>
Rücken kehrt, sondern als ein Volk der Praxis. Der Bund der Bodeubesttz-<lb/>
reformer geht darin mit gutem Beispiele voran, indem er für Bauordnungen,<lb/>
Erhaltung und Mehrung des Gemeindebesitzes an Grund und Boden, Erb¬<lb/>
schaftssteuer u. f. w. kräftig eintritt. Der Gedanke der Bodenbcsitzreform liegt<lb/>
in der Luft, Ansätze sind überall da; aber der Bund der Bodenbesitzreformer<lb/>
trägt die Fahne weit und mit klarem Bewußtsein voran. Wir brauchen uns<lb/>
auf seine nationalökonomischen Theorien nicht einzuschwören und können doch<lb/>
seine Bestrebungen thatkräftig unterstützen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] Die Bodeubesitzreform deutscher Richtung dem zähen Festhalten am Gemeindegrundeigentum in gewissem Umfange und Ablassen desselben an Bewohner ländlicher Gemeinden zur Selbstbewirtschaf¬ tung liegt ein sittlicher und moralischer Faktor, dessen Verkennung sich stets rächen wird." Die Straßburger Post begleitet denselben Erlas; mit den Worten: „Das sind wahrlich goldne Worte. Hauptsächlich der Erhaltung des Gemeinde¬ grundbesitzes verdankt Elsaß-Lothringen seine verhältnismäßig noch gesunden agrarischen Zustände, die fast gänzliche Abwesenheit eines Landarbeiterprole¬ tariats und seine geringe Armenlast. Das Gemeindeland ist ein wichtiges Stück praktischer Sozialpolitik, indem groß und klein, ohne Rücksicht ans Ver¬ mögen und Stand, daran teilnimmt, und gleichzeitig die natürlichste Form sür die heutzutage allenthalben angestrebte Heimstätte. Im übrigens?) werden in denjenigen Teilen Altdcutschlands, wo diese so nützliche Einrichtung seinerzeit durch die büreaukratische Gleichmacherei zum großen Schaden der betreffenden Gegenden abgeschafft wurde, die daraus entspringenden Übel um so wirksamer empfunden, als ein solcher Besitz, wenn er einmal abgeschafft ist, kaum wieder herzustellen ist." Und doch drängt uns die Not der Zeit, ihn wieder herzustellen oder irgendwie zu ersetzen. Die Bodenbesitzreform zeigt einen Weg. Hier liegen praktische Aufgaben unmittelbar vor, die gelöst sein wollen. Theorie hin, Theorie her! Möchte sich nur das deutsche Volk in dieser dringenden sozialen Frage wenigstens nicht als das ewige „^Volk der Denker" zeigen, das über noch nicht ganz aufgetragne Theorien, die Hand an der Nase, sinnend stehen bleibt und einem Gedanken, in dem es einen theoretischen Fehler wittert, den Rücken kehrt, sondern als ein Volk der Praxis. Der Bund der Bodeubesttz- reformer geht darin mit gutem Beispiele voran, indem er für Bauordnungen, Erhaltung und Mehrung des Gemeindebesitzes an Grund und Boden, Erb¬ schaftssteuer u. f. w. kräftig eintritt. Der Gedanke der Bodenbcsitzreform liegt in der Luft, Ansätze sind überall da; aber der Bund der Bodenbesitzreformer trägt die Fahne weit und mit klarem Bewußtsein voran. Wir brauchen uns auf seine nationalökonomischen Theorien nicht einzuschwören und können doch seine Bestrebungen thatkräftig unterstützen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/309>, abgerufen am 23.11.2024.