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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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"Loluccio Salutati

lingstraum lind Frühlingssturm. Das Maß des Übels, das dieses durch
seine Vergangenheit und durch hohe Begabung so begnadete Volk von dem
entarteten und nun auch landfremden Papsttum erlitten hatte, war voll bis
zum Überlaufen. Da der Kirchenstaat über keine Bürgerheere verfügte, so
hatte er, um Aufstünde niederzuhalten und auswärtige Feinde zu bekämpfen,
schon längst zu Svldncrbanden seine Zuflucht genommen. Da war die während
der Anarchie im Königreich Neapel entstandene große Kompagnie des Herzogs
Werner, auf dessen Waffenrock man die Inschrift las: "Ich bin Herzog Werner,
Führer der großen Kompagnie, der Feind Gottes, des Mitleids und Er¬
barmens." Von dem englisch-französischen Kriege her zog die "Weiße Kom¬
pagnie" nach Italien, bald angeführt von dem Engländer John Hawkwood,
ferner die deutsche Kompagnie des Grafen von Landau oder des Hans von
Bongard (Anichino, d. i. Hänsichen genannt), Scharen von dreitausend bis
zehntausend Mann, "das Proletariat der aus den Fugen gehenden ritterlichen
und bäuerlichen Gesellschaft jener Zeit, dem Entsetzen und Flucht voranging,
Hunger und Pest nachfolgten." Mit solchen Banden hielt das avignonesische
Papsttum die Unabhängigkeitsbestrebnngcn der unglücklichen Italiener nieder,
solche Banden standen unter der Leitung meist proper^alischer Kardinallegaten,
denen die Behauptung der einzelnen Territorien der Kirche anvertraut war.
Aber bei der Behauptung blieb man nicht stehen, sondern plante die Er¬
oberung von ganz Toskana, ja gegen Ende des Jahres 1374 schickte der
Kardinal Noellet von Bologna fogar die Bande Hawkwoods aus, um das
Haupt Tvskanas, Florenz, zu überrumpeln. Der überraschten Republik blieb
nichts übrig, als zuucichst Hawkwoods Einfall durch Zahlung von 130 000
Goldgulden abzuwenden. Dann aber mit Anfang des Jahres 1375, gerade
als Coluccio zum Kanzler emporstieg, erhob sich die gemißhandelte Stadt, bis
dahin immer guelfisch und päpstlich gesinnt, mit einem Sturme von Be¬
geisterung, um das Joch der Kirche abzuschütteln.

Aber sofort umfaßt die Florentiner Politik nicht nur die Rettung des
eignen Staates, sondern sie wird durchweht von einem universalen Zuge zum
großen und ganzen: das Ziel wird die Befreiung Italiens. Die Seele der
Bewegung und ihr Organ zugleich wurde der neue Kanzler Colueeio, dessen
Vaterlandsliebe und Freiheitsliebe fest wurzelte in einer dreißig Jahre lang
geübten Vertiefung in den Geist des römischen Altertums, dessen lang ver-
haltne, bisher in unwesentlicher" Aufgaben nicht genügend verwendete Kraft
hier mit einemmale in wahrhaft elementarem Ausbruche fühlbar wird. Neben
dem Löwenbanner von Florenz flattert jetzt plötzlich ein neues rotes, auf dem
mit silbernen Buchstaben das Wort I^Ksrws zu lesen war; dann schloß Florenz
mit achtzig Städten und sogar mit dem Visconti von Mailand einen nationalen
Bund gegen die weltliche Herrschaft des Papstes. In der Stadt selbst wurde
das Jnquisitiousgebüude niedergerissen, der Geistlichkeit die Gerichtsbarkeit ab-


«Loluccio Salutati

lingstraum lind Frühlingssturm. Das Maß des Übels, das dieses durch
seine Vergangenheit und durch hohe Begabung so begnadete Volk von dem
entarteten und nun auch landfremden Papsttum erlitten hatte, war voll bis
zum Überlaufen. Da der Kirchenstaat über keine Bürgerheere verfügte, so
hatte er, um Aufstünde niederzuhalten und auswärtige Feinde zu bekämpfen,
schon längst zu Svldncrbanden seine Zuflucht genommen. Da war die während
der Anarchie im Königreich Neapel entstandene große Kompagnie des Herzogs
Werner, auf dessen Waffenrock man die Inschrift las: „Ich bin Herzog Werner,
Führer der großen Kompagnie, der Feind Gottes, des Mitleids und Er¬
barmens." Von dem englisch-französischen Kriege her zog die „Weiße Kom¬
pagnie" nach Italien, bald angeführt von dem Engländer John Hawkwood,
ferner die deutsche Kompagnie des Grafen von Landau oder des Hans von
Bongard (Anichino, d. i. Hänsichen genannt), Scharen von dreitausend bis
zehntausend Mann, „das Proletariat der aus den Fugen gehenden ritterlichen
und bäuerlichen Gesellschaft jener Zeit, dem Entsetzen und Flucht voranging,
Hunger und Pest nachfolgten." Mit solchen Banden hielt das avignonesische
Papsttum die Unabhängigkeitsbestrebnngcn der unglücklichen Italiener nieder,
solche Banden standen unter der Leitung meist proper^alischer Kardinallegaten,
denen die Behauptung der einzelnen Territorien der Kirche anvertraut war.
Aber bei der Behauptung blieb man nicht stehen, sondern plante die Er¬
oberung von ganz Toskana, ja gegen Ende des Jahres 1374 schickte der
Kardinal Noellet von Bologna fogar die Bande Hawkwoods aus, um das
Haupt Tvskanas, Florenz, zu überrumpeln. Der überraschten Republik blieb
nichts übrig, als zuucichst Hawkwoods Einfall durch Zahlung von 130 000
Goldgulden abzuwenden. Dann aber mit Anfang des Jahres 1375, gerade
als Coluccio zum Kanzler emporstieg, erhob sich die gemißhandelte Stadt, bis
dahin immer guelfisch und päpstlich gesinnt, mit einem Sturme von Be¬
geisterung, um das Joch der Kirche abzuschütteln.

Aber sofort umfaßt die Florentiner Politik nicht nur die Rettung des
eignen Staates, sondern sie wird durchweht von einem universalen Zuge zum
großen und ganzen: das Ziel wird die Befreiung Italiens. Die Seele der
Bewegung und ihr Organ zugleich wurde der neue Kanzler Colueeio, dessen
Vaterlandsliebe und Freiheitsliebe fest wurzelte in einer dreißig Jahre lang
geübten Vertiefung in den Geist des römischen Altertums, dessen lang ver-
haltne, bisher in unwesentlicher» Aufgaben nicht genügend verwendete Kraft
hier mit einemmale in wahrhaft elementarem Ausbruche fühlbar wird. Neben
dem Löwenbanner von Florenz flattert jetzt plötzlich ein neues rotes, auf dem
mit silbernen Buchstaben das Wort I^Ksrws zu lesen war; dann schloß Florenz
mit achtzig Städten und sogar mit dem Visconti von Mailand einen nationalen
Bund gegen die weltliche Herrschaft des Papstes. In der Stadt selbst wurde
das Jnquisitiousgebüude niedergerissen, der Geistlichkeit die Gerichtsbarkeit ab-


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[0272] «Loluccio Salutati lingstraum lind Frühlingssturm. Das Maß des Übels, das dieses durch seine Vergangenheit und durch hohe Begabung so begnadete Volk von dem entarteten und nun auch landfremden Papsttum erlitten hatte, war voll bis zum Überlaufen. Da der Kirchenstaat über keine Bürgerheere verfügte, so hatte er, um Aufstünde niederzuhalten und auswärtige Feinde zu bekämpfen, schon längst zu Svldncrbanden seine Zuflucht genommen. Da war die während der Anarchie im Königreich Neapel entstandene große Kompagnie des Herzogs Werner, auf dessen Waffenrock man die Inschrift las: „Ich bin Herzog Werner, Führer der großen Kompagnie, der Feind Gottes, des Mitleids und Er¬ barmens." Von dem englisch-französischen Kriege her zog die „Weiße Kom¬ pagnie" nach Italien, bald angeführt von dem Engländer John Hawkwood, ferner die deutsche Kompagnie des Grafen von Landau oder des Hans von Bongard (Anichino, d. i. Hänsichen genannt), Scharen von dreitausend bis zehntausend Mann, „das Proletariat der aus den Fugen gehenden ritterlichen und bäuerlichen Gesellschaft jener Zeit, dem Entsetzen und Flucht voranging, Hunger und Pest nachfolgten." Mit solchen Banden hielt das avignonesische Papsttum die Unabhängigkeitsbestrebnngcn der unglücklichen Italiener nieder, solche Banden standen unter der Leitung meist proper^alischer Kardinallegaten, denen die Behauptung der einzelnen Territorien der Kirche anvertraut war. Aber bei der Behauptung blieb man nicht stehen, sondern plante die Er¬ oberung von ganz Toskana, ja gegen Ende des Jahres 1374 schickte der Kardinal Noellet von Bologna fogar die Bande Hawkwoods aus, um das Haupt Tvskanas, Florenz, zu überrumpeln. Der überraschten Republik blieb nichts übrig, als zuucichst Hawkwoods Einfall durch Zahlung von 130 000 Goldgulden abzuwenden. Dann aber mit Anfang des Jahres 1375, gerade als Coluccio zum Kanzler emporstieg, erhob sich die gemißhandelte Stadt, bis dahin immer guelfisch und päpstlich gesinnt, mit einem Sturme von Be¬ geisterung, um das Joch der Kirche abzuschütteln. Aber sofort umfaßt die Florentiner Politik nicht nur die Rettung des eignen Staates, sondern sie wird durchweht von einem universalen Zuge zum großen und ganzen: das Ziel wird die Befreiung Italiens. Die Seele der Bewegung und ihr Organ zugleich wurde der neue Kanzler Colueeio, dessen Vaterlandsliebe und Freiheitsliebe fest wurzelte in einer dreißig Jahre lang geübten Vertiefung in den Geist des römischen Altertums, dessen lang ver- haltne, bisher in unwesentlicher» Aufgaben nicht genügend verwendete Kraft hier mit einemmale in wahrhaft elementarem Ausbruche fühlbar wird. Neben dem Löwenbanner von Florenz flattert jetzt plötzlich ein neues rotes, auf dem mit silbernen Buchstaben das Wort I^Ksrws zu lesen war; dann schloß Florenz mit achtzig Städten und sogar mit dem Visconti von Mailand einen nationalen Bund gegen die weltliche Herrschaft des Papstes. In der Stadt selbst wurde das Jnquisitiousgebüude niedergerissen, der Geistlichkeit die Gerichtsbarkeit ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/272>, abgerufen am 24.11.2024.