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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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über die Frage, ob der Philosoph Seueca, der Erzieher Neros, zugleich der
Dichter der unter seinem Namen überlieferten Tragödien sei, oder der Brief
an Giuliano Zeuuariui, der eine Verteidigung der klassischen Studien gegen
die kirchlichen Eiferer enthält, oder ein Brief an Francesco Bruni über die
Verweltlichung der Kirche.

Solche Briefe wurden vom Empfänger an andre Freunde der Musen
weitergegeben und in immer weitere Kreise verbreitet, sodaß sie für jene Zeit
einigermaßen die spätere Litteratur der Flugschriften ersetzten. Sie dienten
aber auch der Schaffung einer Art von Gelehrtenrepublik, denn indem Coluccio
nach Petrarcas Vorbilde das vo8 der Anrede samt allem byzantinischen Titel¬
kram, wie ung'mliosutiÄ vestr-i, exosllsuti-i vöstra, durch das antike tu ersetzte,
schwanden die Standesunterschiede unter den Gelehrten der Renaissance.

Dieser Briefwechsel wird unserm Coluccio während der stillen Jahre im
Val ti Nievole manche reine Freude verschafft haben, aber mit der Zeit stellte
sich doch auch der Wunsch ein, aus der Verborgenheit des heimatlichen Thales
emporzutauchen, den Fuß hinauszusetzen in die große Welt und irgendwo an
wichtigerer Stelle anzuschaffen und zu wirken "am sausenden Webstuhl der
Zeit." Er war kurze Zeit Kanzler der kleinen Stadt Todi am mittlern Tiber,
da kehrte im Herbst 1367 der päpstliche Hof unter Urban 'V. aus Avignon,
wo er seit 1305 die schmachvolle Zeit des sogenannten babylonischen Exils
verlebt hatte, nach Rom zurück. An dieses Ereignis knüpfte Salutati die
schönsten Hoffnungen für Italien wie für sich selbst. Er wandte sich an einen
ihm befreundeten päpstlichen Sekretär Francesco Brnni mit der Bitte, daß er
ihm irgend eine bescheidne Stellung bei der Kurie versorge; gleichzeitig schickte
er dem Papste gewissermaßen als Probestück seiner poetischen Kunst ein Gedicht
auf den Einzug in Rom. Aber es kam keine Berufung. Da wagte er eS im
Frühjahr 1368, obwohl im Besitz einer Familie, ohne Amt nach Rom zu
gehen, als Privatsekretär des Francesco Brnni, um dort lediglich von dem
Ertrage seiner Feder zu leben. Aber auch so kam er mit den kirchlichen Größen
seiner Zeit in Berührung und erwarb sich eine genaue Kenntnis der Zustände
am Hofe des Papstes. Sie waren sonderbar genug. Urban V. selbst war ein
geborner Franzose, ebenso die meisten seiner Kardinäle und Höflinge. Diese
waren gewohnt, in ihren Palästen zu Avignon das üppigste Leben zu führen,
und nur sehr widerwillig, vor einer furchtbaren Pest und den Söldnerbanden,
die Avignon bedrohten, weichend, waren sie nach Rom übergesiedelt, das ihnen
"und durch den Flitterstaat der Einzugsfestlichkeiten, im Vergleiche mit dem
lachenden Avignon, als die in Gram und Kummer nicht nur gebeugte, sondern
auch verwilderte Witwe erschien. Wohl hätte sich unter diesen Verhältnissen
^r päpstlichen Kirche die Möglichkeit zur Lösung einer Kulturaufgabe ohne
gleichen in der liebevollen Wiederherstellung Roms dargeboten, und in der
^-hat wurde ein äußerlicher Anfang dazu durch den Wiederaufbau der in Schutt


über die Frage, ob der Philosoph Seueca, der Erzieher Neros, zugleich der
Dichter der unter seinem Namen überlieferten Tragödien sei, oder der Brief
an Giuliano Zeuuariui, der eine Verteidigung der klassischen Studien gegen
die kirchlichen Eiferer enthält, oder ein Brief an Francesco Bruni über die
Verweltlichung der Kirche.

Solche Briefe wurden vom Empfänger an andre Freunde der Musen
weitergegeben und in immer weitere Kreise verbreitet, sodaß sie für jene Zeit
einigermaßen die spätere Litteratur der Flugschriften ersetzten. Sie dienten
aber auch der Schaffung einer Art von Gelehrtenrepublik, denn indem Coluccio
nach Petrarcas Vorbilde das vo8 der Anrede samt allem byzantinischen Titel¬
kram, wie ung'mliosutiÄ vestr-i, exosllsuti-i vöstra, durch das antike tu ersetzte,
schwanden die Standesunterschiede unter den Gelehrten der Renaissance.

Dieser Briefwechsel wird unserm Coluccio während der stillen Jahre im
Val ti Nievole manche reine Freude verschafft haben, aber mit der Zeit stellte
sich doch auch der Wunsch ein, aus der Verborgenheit des heimatlichen Thales
emporzutauchen, den Fuß hinauszusetzen in die große Welt und irgendwo an
wichtigerer Stelle anzuschaffen und zu wirken „am sausenden Webstuhl der
Zeit." Er war kurze Zeit Kanzler der kleinen Stadt Todi am mittlern Tiber,
da kehrte im Herbst 1367 der päpstliche Hof unter Urban 'V. aus Avignon,
wo er seit 1305 die schmachvolle Zeit des sogenannten babylonischen Exils
verlebt hatte, nach Rom zurück. An dieses Ereignis knüpfte Salutati die
schönsten Hoffnungen für Italien wie für sich selbst. Er wandte sich an einen
ihm befreundeten päpstlichen Sekretär Francesco Brnni mit der Bitte, daß er
ihm irgend eine bescheidne Stellung bei der Kurie versorge; gleichzeitig schickte
er dem Papste gewissermaßen als Probestück seiner poetischen Kunst ein Gedicht
auf den Einzug in Rom. Aber es kam keine Berufung. Da wagte er eS im
Frühjahr 1368, obwohl im Besitz einer Familie, ohne Amt nach Rom zu
gehen, als Privatsekretär des Francesco Brnni, um dort lediglich von dem
Ertrage seiner Feder zu leben. Aber auch so kam er mit den kirchlichen Größen
seiner Zeit in Berührung und erwarb sich eine genaue Kenntnis der Zustände
am Hofe des Papstes. Sie waren sonderbar genug. Urban V. selbst war ein
geborner Franzose, ebenso die meisten seiner Kardinäle und Höflinge. Diese
waren gewohnt, in ihren Palästen zu Avignon das üppigste Leben zu führen,
und nur sehr widerwillig, vor einer furchtbaren Pest und den Söldnerbanden,
die Avignon bedrohten, weichend, waren sie nach Rom übergesiedelt, das ihnen
"und durch den Flitterstaat der Einzugsfestlichkeiten, im Vergleiche mit dem
lachenden Avignon, als die in Gram und Kummer nicht nur gebeugte, sondern
auch verwilderte Witwe erschien. Wohl hätte sich unter diesen Verhältnissen
^r päpstlichen Kirche die Möglichkeit zur Lösung einer Kulturaufgabe ohne
gleichen in der liebevollen Wiederherstellung Roms dargeboten, und in der
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[0267] über die Frage, ob der Philosoph Seueca, der Erzieher Neros, zugleich der Dichter der unter seinem Namen überlieferten Tragödien sei, oder der Brief an Giuliano Zeuuariui, der eine Verteidigung der klassischen Studien gegen die kirchlichen Eiferer enthält, oder ein Brief an Francesco Bruni über die Verweltlichung der Kirche. Solche Briefe wurden vom Empfänger an andre Freunde der Musen weitergegeben und in immer weitere Kreise verbreitet, sodaß sie für jene Zeit einigermaßen die spätere Litteratur der Flugschriften ersetzten. Sie dienten aber auch der Schaffung einer Art von Gelehrtenrepublik, denn indem Coluccio nach Petrarcas Vorbilde das vo8 der Anrede samt allem byzantinischen Titel¬ kram, wie ung'mliosutiÄ vestr-i, exosllsuti-i vöstra, durch das antike tu ersetzte, schwanden die Standesunterschiede unter den Gelehrten der Renaissance. Dieser Briefwechsel wird unserm Coluccio während der stillen Jahre im Val ti Nievole manche reine Freude verschafft haben, aber mit der Zeit stellte sich doch auch der Wunsch ein, aus der Verborgenheit des heimatlichen Thales emporzutauchen, den Fuß hinauszusetzen in die große Welt und irgendwo an wichtigerer Stelle anzuschaffen und zu wirken „am sausenden Webstuhl der Zeit." Er war kurze Zeit Kanzler der kleinen Stadt Todi am mittlern Tiber, da kehrte im Herbst 1367 der päpstliche Hof unter Urban 'V. aus Avignon, wo er seit 1305 die schmachvolle Zeit des sogenannten babylonischen Exils verlebt hatte, nach Rom zurück. An dieses Ereignis knüpfte Salutati die schönsten Hoffnungen für Italien wie für sich selbst. Er wandte sich an einen ihm befreundeten päpstlichen Sekretär Francesco Brnni mit der Bitte, daß er ihm irgend eine bescheidne Stellung bei der Kurie versorge; gleichzeitig schickte er dem Papste gewissermaßen als Probestück seiner poetischen Kunst ein Gedicht auf den Einzug in Rom. Aber es kam keine Berufung. Da wagte er eS im Frühjahr 1368, obwohl im Besitz einer Familie, ohne Amt nach Rom zu gehen, als Privatsekretär des Francesco Brnni, um dort lediglich von dem Ertrage seiner Feder zu leben. Aber auch so kam er mit den kirchlichen Größen seiner Zeit in Berührung und erwarb sich eine genaue Kenntnis der Zustände am Hofe des Papstes. Sie waren sonderbar genug. Urban V. selbst war ein geborner Franzose, ebenso die meisten seiner Kardinäle und Höflinge. Diese waren gewohnt, in ihren Palästen zu Avignon das üppigste Leben zu führen, und nur sehr widerwillig, vor einer furchtbaren Pest und den Söldnerbanden, die Avignon bedrohten, weichend, waren sie nach Rom übergesiedelt, das ihnen "und durch den Flitterstaat der Einzugsfestlichkeiten, im Vergleiche mit dem lachenden Avignon, als die in Gram und Kummer nicht nur gebeugte, sondern auch verwilderte Witwe erschien. Wohl hätte sich unter diesen Verhältnissen ^r päpstlichen Kirche die Möglichkeit zur Lösung einer Kulturaufgabe ohne gleichen in der liebevollen Wiederherstellung Roms dargeboten, und in der ^-hat wurde ein äußerlicher Anfang dazu durch den Wiederaufbau der in Schutt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/267>, abgerufen am 27.11.2024.