Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Hör auf zu zagen I Lasset ub von meinem Ki°nit, Nur "die gattenlose Tochter der schwarzen Nacht," die Wahnsinnswut, kann Aber nicht bloß die Eltern, auch Oheime, Freunde der Eltern, Ammen, diesem alten, langbewahrten Bakchosschatz, Obwohl noch todmüde und anßer Atem vom Erklimmen des steilen Abhangs,
Hör auf zu zagen I Lasset ub von meinem Ki°nit, Nur „die gattenlose Tochter der schwarzen Nacht," die Wahnsinnswut, kann Aber nicht bloß die Eltern, auch Oheime, Freunde der Eltern, Ammen, diesem alten, langbewahrten Bakchosschatz, Obwohl noch todmüde und anßer Atem vom Erklimmen des steilen Abhangs,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215300"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <quote> Hör auf zu zagen I Lasset ub von meinem Ki°nit,<lb/> Deal Flügel hab ich nicht, will nicht entfliehn.<lb/> Sie weichen nicht, nein, klammern um so fester sich<lb/> An mein Gewand! So nahe war euch die Gefahr?<lb/> Ich will sie führen, will sie mir, gleich wie das Schiff<lb/> Die Boote, nachziehn; denn um meine Kinder mag<lb/> Ich gern mich mühen. Hier sind sich alle Menschen gleich.<lb/> Denn seine Kinder liebt der Hochgeborne, liebt<lb/> Der Namenlose. Jener lebt in Fülle, der<lb/> Ist arm, doch Kinderliebe wohnt in jeder Brust.</quote><lb/> <p xml:id="ID_669"> Nur „die gattenlose Tochter der schwarzen Nacht," die Wahnsinnswut, kann<lb/> später diesem Vater das unnatürliche Verbrechen des Kindermords eingeben,<lb/> denn „mit freiem Willen rast doch keiner so, daß er die Kinder töten will,<lb/> sein Teuerstes," wie in den Herakliden Demophrvn sagt, als der Seher ver¬<lb/> kündet, daß die Schatteugöttin das Opfer einer edeln Jungfrau fordere.</p><lb/> <p xml:id="ID_670"> Aber nicht bloß die Eltern, auch Oheime, Freunde der Eltern, Ammen,<lb/> Haussklaven sehen wir den Kindern Zärtlichkeiten und Fürsorge erweisen oder<lb/> Schutz gewähren und ihnen bis ins spätere Alter Liebe bewahren. Elektra<lb/> schickt bei Euripides zu einem alten Sklaven ihres Vaterhauses, der in der<lb/> Nähe ein Pachtgütchen haben mag, und läßt ihn um einige Nahrungsmittel<lb/> für eben angekommene Gäste bitten. Da eilt er herbei, beladen mit einem<lb/> geschlachteten Lamm, Kuchen, Käse und</p><lb/> <quote> diesem alten, langbewahrten Bakchosschatz,<lb/> Der lieblich duftet; wenig nur, doch mundet wohl<lb/> Davon ein Becher, beigemischt dem schwächern Trank.</quote><lb/> <p xml:id="ID_671"> Obwohl noch todmüde und anßer Atem vom Erklimmen des steilen Abhangs,<lb/> sängt er doch an zu hüpfen wie ein Kind, als er in dem einen der Fremden<lb/> den Orestes erkennt. Besondre Zärtlichkeit wird den Mädchen gewidmet. Ein<lb/> alter Vnder, sagt Jphis in den Herakliden, hat nichts lieberes als eine Tochter.<lb/> Und wie rührend klagt Odipns bei Sophokles, ehe er als geblendeter Bettler<lb/> in die Verbannung zieht, um seine Töchter!</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_672"> Um meine Sohne, Kreon, quäle nie<lb/> Dich Sorge; Männer sinds, sodaß der Mangel<lb/> Des Lebens, wo sie seien, nie sie trifft;<lb/> Bloß um die armen, leidbeschwertcn Mädchen,<lb/> Für die der Speisen Tisch niemals getrennt,<lb/> Nie ohne mich stand, sondern die an allem,<lb/> Was ich berührte, Mitgenuß gehabt,<lb/> Für die nur sorge! Doch am liebsten laß<lb/> Sie mich umarmen! ....</p> <p xml:id="ID_673"> Ich wein um euch — denn sehen kann ich nicht —,<lb/> Wenn ich des bittern Lebens Rest bedenke,<lb/> Den nnter Menschen ihr verleben müßt.<lb/> Zu welchem Umgang werdet ihr euch nahm,</p> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Hör auf zu zagen I Lasset ub von meinem Ki°nit,
Deal Flügel hab ich nicht, will nicht entfliehn.
Sie weichen nicht, nein, klammern um so fester sich
An mein Gewand! So nahe war euch die Gefahr?
Ich will sie führen, will sie mir, gleich wie das Schiff
Die Boote, nachziehn; denn um meine Kinder mag
Ich gern mich mühen. Hier sind sich alle Menschen gleich.
Denn seine Kinder liebt der Hochgeborne, liebt
Der Namenlose. Jener lebt in Fülle, der
Ist arm, doch Kinderliebe wohnt in jeder Brust.
Nur „die gattenlose Tochter der schwarzen Nacht," die Wahnsinnswut, kann
später diesem Vater das unnatürliche Verbrechen des Kindermords eingeben,
denn „mit freiem Willen rast doch keiner so, daß er die Kinder töten will,
sein Teuerstes," wie in den Herakliden Demophrvn sagt, als der Seher ver¬
kündet, daß die Schatteugöttin das Opfer einer edeln Jungfrau fordere.
Aber nicht bloß die Eltern, auch Oheime, Freunde der Eltern, Ammen,
Haussklaven sehen wir den Kindern Zärtlichkeiten und Fürsorge erweisen oder
Schutz gewähren und ihnen bis ins spätere Alter Liebe bewahren. Elektra
schickt bei Euripides zu einem alten Sklaven ihres Vaterhauses, der in der
Nähe ein Pachtgütchen haben mag, und läßt ihn um einige Nahrungsmittel
für eben angekommene Gäste bitten. Da eilt er herbei, beladen mit einem
geschlachteten Lamm, Kuchen, Käse und
diesem alten, langbewahrten Bakchosschatz,
Der lieblich duftet; wenig nur, doch mundet wohl
Davon ein Becher, beigemischt dem schwächern Trank.
Obwohl noch todmüde und anßer Atem vom Erklimmen des steilen Abhangs,
sängt er doch an zu hüpfen wie ein Kind, als er in dem einen der Fremden
den Orestes erkennt. Besondre Zärtlichkeit wird den Mädchen gewidmet. Ein
alter Vnder, sagt Jphis in den Herakliden, hat nichts lieberes als eine Tochter.
Und wie rührend klagt Odipns bei Sophokles, ehe er als geblendeter Bettler
in die Verbannung zieht, um seine Töchter!
Um meine Sohne, Kreon, quäle nie
Dich Sorge; Männer sinds, sodaß der Mangel
Des Lebens, wo sie seien, nie sie trifft;
Bloß um die armen, leidbeschwertcn Mädchen,
Für die der Speisen Tisch niemals getrennt,
Nie ohne mich stand, sondern die an allem,
Was ich berührte, Mitgenuß gehabt,
Für die nur sorge! Doch am liebsten laß
Sie mich umarmen! ....
Ich wein um euch — denn sehen kann ich nicht —,
Wenn ich des bittern Lebens Rest bedenke,
Den nnter Menschen ihr verleben müßt.
Zu welchem Umgang werdet ihr euch nahm,
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