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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Der Fahneneid

1892, und es wurde zum erstenmale auf dem Kasernenhofe vereidigt. Alle
Rekruten waren versammelt, anch die jüdischen. Der Offizier ließ die Pro¬
testanten aus einem Buudesstant zur Linken, die Katholiken desselben Staates
zur Rechten zusammentreten; jedesmal wurde der Eid bis zur konfessionellen
Schlußformel gemeinsam, und diese dann von der in Frage kommenden
Gruppe gesondert gesprochen. Eine große Anzahl Bundesstaaten war erledigt,
auch katholische und protestantische Polen hatten geschworen, nur die Kinder
Israel standen noch gesondert und warteten, bis auch an sie der Ruf ergehen
würde. Und ganz entsprechend dem Ruf: die protestantischen Vadeuer rechts,
die katholischen links neben mich treten! hieß es plötzlich: die protestantischen
Jsraeliten rechts, die katholischen links neben mich treten! Als die Jsraeliten
verdutzt dreinschauten -- es war ihnen doch neu, daß Israel plötzlich als
deutscher Bundesstaat behandelt wurde --, wurde derselbe Ruf nochmals und
zwar in etwas ungeduldigem Tone laut, aber nun erst erregte er unter Offi¬
zieren und Mannschaften Aufmerksamkeit, was sich in einem nur mühsam unter¬
drückten Lachen kund gab. Als daraus der Offizier, seines Irrtums inne
werdend, verbesserte: die jüdischen Badener links, die jüdischen Reichsländer
rechts neben mich treten! wußten auch die cmgerufnen Rekruten Bescheid.
Aber die protestantischen und katholischen Juden sollen noch heute bei dem
betreffenden Truppenteil nicht vergessen sein.

Doch auch wenn kein derartiger Irrtum vorkommt, muß unter den obwal¬
tenden Verhältnissen die Feierlichkeit bei der Eidesleistung leiden, und schon aus
diesem Grnnde sollte eine Änderung herbeigeführt werden. Eine solche Än¬
derung ist aber sehr Wohl möglich. Daß der Eid, durch den der Soldat seinem
Landesherrn die Treue verspricht, zu Gunsten eines Treueides gegen den
deutschen Kaiser abgeschafft würde, das ist allerdings kaum denkbar. Die
Verfassung des deutschen Reichs sagt nach Artikel 64: "Alle deutschen Truppen
sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese
Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen." Der Fahneneid ist für die
Bundesstaaten durch die Militärkonvcntion bestimmt. An diesen Bestimmungen
ist nicht zu rütteln. Aber es müßte doch möglich sein, auf dem Wege der
Verhandlung die Formel derartig zu fassen, daß mit denselben Worten der
Sachse seinem König, der Hesse seinem Großherzog, der AnHalter seinem Herzog
die Treue schwört. Der preußische Fahneneid, wie er jetzt in Gebrauch ist,
wurde durch Kabinettsordre vom 5. Juni 1831 vorgeschrieben und lautet:
"Ich N N schwöre zu Gott dem Allwissenden und Allmächtigen einen leib¬
lichen Eid, daß ich Seiner Majestät dem König von Preußen (Name), meinem
Allergnädigsten Landesherrn, in allen Vorfüllen, zu Lande und zu Wasser, in
Kriegs- und Friedenszeiten, und an welchen Orten es immer sei, treu und
redlich dienen, Allerhöchstdero Nutzen und Bestes befördern, Schaden und Nach¬
teil aber abwenden, die mir vorgelesenen Kriegsartikel und die mir erteilten


Der Fahneneid

1892, und es wurde zum erstenmale auf dem Kasernenhofe vereidigt. Alle
Rekruten waren versammelt, anch die jüdischen. Der Offizier ließ die Pro¬
testanten aus einem Buudesstant zur Linken, die Katholiken desselben Staates
zur Rechten zusammentreten; jedesmal wurde der Eid bis zur konfessionellen
Schlußformel gemeinsam, und diese dann von der in Frage kommenden
Gruppe gesondert gesprochen. Eine große Anzahl Bundesstaaten war erledigt,
auch katholische und protestantische Polen hatten geschworen, nur die Kinder
Israel standen noch gesondert und warteten, bis auch an sie der Ruf ergehen
würde. Und ganz entsprechend dem Ruf: die protestantischen Vadeuer rechts,
die katholischen links neben mich treten! hieß es plötzlich: die protestantischen
Jsraeliten rechts, die katholischen links neben mich treten! Als die Jsraeliten
verdutzt dreinschauten — es war ihnen doch neu, daß Israel plötzlich als
deutscher Bundesstaat behandelt wurde —, wurde derselbe Ruf nochmals und
zwar in etwas ungeduldigem Tone laut, aber nun erst erregte er unter Offi¬
zieren und Mannschaften Aufmerksamkeit, was sich in einem nur mühsam unter¬
drückten Lachen kund gab. Als daraus der Offizier, seines Irrtums inne
werdend, verbesserte: die jüdischen Badener links, die jüdischen Reichsländer
rechts neben mich treten! wußten auch die cmgerufnen Rekruten Bescheid.
Aber die protestantischen und katholischen Juden sollen noch heute bei dem
betreffenden Truppenteil nicht vergessen sein.

Doch auch wenn kein derartiger Irrtum vorkommt, muß unter den obwal¬
tenden Verhältnissen die Feierlichkeit bei der Eidesleistung leiden, und schon aus
diesem Grnnde sollte eine Änderung herbeigeführt werden. Eine solche Än¬
derung ist aber sehr Wohl möglich. Daß der Eid, durch den der Soldat seinem
Landesherrn die Treue verspricht, zu Gunsten eines Treueides gegen den
deutschen Kaiser abgeschafft würde, das ist allerdings kaum denkbar. Die
Verfassung des deutschen Reichs sagt nach Artikel 64: „Alle deutschen Truppen
sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Diese
Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen." Der Fahneneid ist für die
Bundesstaaten durch die Militärkonvcntion bestimmt. An diesen Bestimmungen
ist nicht zu rütteln. Aber es müßte doch möglich sein, auf dem Wege der
Verhandlung die Formel derartig zu fassen, daß mit denselben Worten der
Sachse seinem König, der Hesse seinem Großherzog, der AnHalter seinem Herzog
die Treue schwört. Der preußische Fahneneid, wie er jetzt in Gebrauch ist,
wurde durch Kabinettsordre vom 5. Juni 1831 vorgeschrieben und lautet:
„Ich N N schwöre zu Gott dem Allwissenden und Allmächtigen einen leib¬
lichen Eid, daß ich Seiner Majestät dem König von Preußen (Name), meinem
Allergnädigsten Landesherrn, in allen Vorfüllen, zu Lande und zu Wasser, in
Kriegs- und Friedenszeiten, und an welchen Orten es immer sei, treu und
redlich dienen, Allerhöchstdero Nutzen und Bestes befördern, Schaden und Nach¬
teil aber abwenden, die mir vorgelesenen Kriegsartikel und die mir erteilten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/205>, abgerufen am 24.11.2024.