Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.!vais lehren uns die Mahlen? gebührt diese Ehre doch ohne Zweifel der Hauptstadt des deutschen Reichs. Die verkehrten Urteile über die Sozialdemokratie, die eine solche Wahl- Bedrohlich ist es weder, daß es einen vierten Stand giebt, noch daß er !vais lehren uns die Mahlen? gebührt diese Ehre doch ohne Zweifel der Hauptstadt des deutschen Reichs. Die verkehrten Urteile über die Sozialdemokratie, die eine solche Wahl- Bedrohlich ist es weder, daß es einen vierten Stand giebt, noch daß er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215249"/> <fw type="header" place="top"> !vais lehren uns die Mahlen?</fw><lb/> <p xml:id="ID_513" prev="#ID_512"> gebührt diese Ehre doch ohne Zweifel der Hauptstadt des deutschen Reichs.<lb/> Berlin ist die Hauptstadt des internationale» Sozialismus geworden — und<lb/> der Sozialismus ist die Zivilisation. >Gut gebrüllt, Löwe!^ So erobert die<lb/> Sozialdemokratie von ihrer Hochburg Berlin aus sich immer weitere Kreise."<lb/> Die Sozialdemokratie ist damit unzufrieden, daß Berlin nur sechs Wahlkreise<lb/> hat, aber merkwürdigerweise wird sie dafür durch etwas entschädigt, was zu<lb/> den modernen „Imponderabilien" gehört. Die großen Zahlen, die die „Kory¬<lb/> phäen" der Partei, Liebknecht, Singer u. s. w., in Berlin erzielen, imponiren<lb/> sicherlich den Philistern im ganzen Reiche. Entsprechend der weiter» Aus¬<lb/> breitung der Partei ist die lächerliche Angst vor ihr und der ohnmächtige<lb/> Haß gegen sie gestiegen. In vielen Wahlkreisen verkündeten die bürgerlichen<lb/> Parteien die Sozialdemokratie als den „gemeinsamen Feind." Trotzdem hat<lb/> sich auch eine nicht geringe Zahl von „Kleinbürgern" und „Kleinbauern," die<lb/> mit ihrer Lage unzufrieden sind, der extremsten aller Parteien zugewandt,<lb/> jedenfalls ein beachtenswertes Anzeichen. Dadurch, daß diese den Arbeitern<lb/> nächststehenden Schichten der Bevölkerung bei Stichwahlen häufig gezwungen<lb/> sind, entweder einen ihnen nicht sympathischen bürgerlichen Kandidaten oder<lb/> den Sozialdemokraten zu wählen, gewöhnen sie sich noch schneller daran, gleich<lb/> in der Hauptwahl mit den Arbeitern zusnmmenzugehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_514"> Die verkehrten Urteile über die Sozialdemokratie, die eine solche Wahl-<lb/> bewegung an den Tag fördert, sind einfach trostlos. Die einen möchten die<lb/> Wahl sozialdemokratischer Abgeordneten schlechtweg für ungiltig erklären, die<lb/> andern schreien nach öffentlichen Wahlen statt der geheimen, die einen klagen<lb/> die kaiserlichen Erlasse und die sozialen Reformen als verderbenbringend an.<lb/> die andern möchten die Sozialdemokratie am liebsten „töten." Man begreift<lb/> nicht, man will nicht begreifen, daß zwischen Sozialdemokratie und Sozial¬<lb/> demokratie ein großer Unterschied ist. Da ist einerseits die politische Partei<lb/> mit ihren Abgeordneten, ihren Redakteuren, ihren Volksrednern, die man an¬<lb/> klagen und verurteilen kann, da ist aber andrerseits die Arbeiterschaft, der<lb/> vierte Stand, mit dem man wohl oder übel zusammenleben muß. Die Ar¬<lb/> beiter, die sich an eine Partei um Vertretung ihrer Berufsinteressen wenden,<lb/> handeln nicht anders als die Handwerker und die Landwirte, die sich auch<lb/> an die ihnen passenden Parteien wenden. Die Sozialdemokratie hat unleugbar<lb/> für die Arbeiterklasse mauches Gute zu erwirken gewußt, und man hört es<lb/> zuweilen unbefangne Angehörige der besitzenden Klassen offen eingestehn, daß<lb/> sie als Arbeiter wahrscheinlich auch Sozialdemokraten sein würden, eben aus<lb/> Standesinteresse.</p><lb/> <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Bedrohlich ist es weder, daß es einen vierten Stand giebt, noch daß er<lb/> seine Rechte zu erweitern, seine Arbeit zu schützen, seine Löhne zu erhöhen,<lb/> seine Behandlung zu verbessern, seine Schulbildung zu vermehren sucht, sondern<lb/> bedrohlich ist auch hier allein, daß sich Politik und Beruf, politisches und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
!vais lehren uns die Mahlen?
gebührt diese Ehre doch ohne Zweifel der Hauptstadt des deutschen Reichs.
Berlin ist die Hauptstadt des internationale» Sozialismus geworden — und
der Sozialismus ist die Zivilisation. >Gut gebrüllt, Löwe!^ So erobert die
Sozialdemokratie von ihrer Hochburg Berlin aus sich immer weitere Kreise."
Die Sozialdemokratie ist damit unzufrieden, daß Berlin nur sechs Wahlkreise
hat, aber merkwürdigerweise wird sie dafür durch etwas entschädigt, was zu
den modernen „Imponderabilien" gehört. Die großen Zahlen, die die „Kory¬
phäen" der Partei, Liebknecht, Singer u. s. w., in Berlin erzielen, imponiren
sicherlich den Philistern im ganzen Reiche. Entsprechend der weiter» Aus¬
breitung der Partei ist die lächerliche Angst vor ihr und der ohnmächtige
Haß gegen sie gestiegen. In vielen Wahlkreisen verkündeten die bürgerlichen
Parteien die Sozialdemokratie als den „gemeinsamen Feind." Trotzdem hat
sich auch eine nicht geringe Zahl von „Kleinbürgern" und „Kleinbauern," die
mit ihrer Lage unzufrieden sind, der extremsten aller Parteien zugewandt,
jedenfalls ein beachtenswertes Anzeichen. Dadurch, daß diese den Arbeitern
nächststehenden Schichten der Bevölkerung bei Stichwahlen häufig gezwungen
sind, entweder einen ihnen nicht sympathischen bürgerlichen Kandidaten oder
den Sozialdemokraten zu wählen, gewöhnen sie sich noch schneller daran, gleich
in der Hauptwahl mit den Arbeitern zusnmmenzugehn.
Die verkehrten Urteile über die Sozialdemokratie, die eine solche Wahl-
bewegung an den Tag fördert, sind einfach trostlos. Die einen möchten die
Wahl sozialdemokratischer Abgeordneten schlechtweg für ungiltig erklären, die
andern schreien nach öffentlichen Wahlen statt der geheimen, die einen klagen
die kaiserlichen Erlasse und die sozialen Reformen als verderbenbringend an.
die andern möchten die Sozialdemokratie am liebsten „töten." Man begreift
nicht, man will nicht begreifen, daß zwischen Sozialdemokratie und Sozial¬
demokratie ein großer Unterschied ist. Da ist einerseits die politische Partei
mit ihren Abgeordneten, ihren Redakteuren, ihren Volksrednern, die man an¬
klagen und verurteilen kann, da ist aber andrerseits die Arbeiterschaft, der
vierte Stand, mit dem man wohl oder übel zusammenleben muß. Die Ar¬
beiter, die sich an eine Partei um Vertretung ihrer Berufsinteressen wenden,
handeln nicht anders als die Handwerker und die Landwirte, die sich auch
an die ihnen passenden Parteien wenden. Die Sozialdemokratie hat unleugbar
für die Arbeiterklasse mauches Gute zu erwirken gewußt, und man hört es
zuweilen unbefangne Angehörige der besitzenden Klassen offen eingestehn, daß
sie als Arbeiter wahrscheinlich auch Sozialdemokraten sein würden, eben aus
Standesinteresse.
Bedrohlich ist es weder, daß es einen vierten Stand giebt, noch daß er
seine Rechte zu erweitern, seine Arbeit zu schützen, seine Löhne zu erhöhen,
seine Behandlung zu verbessern, seine Schulbildung zu vermehren sucht, sondern
bedrohlich ist auch hier allein, daß sich Politik und Beruf, politisches und
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