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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby

Schlage zu hegen begann, in der man selbst den Hohn wider die im Augen¬
blick verschwundnen fremden Bedränger nicht scheute, stärkte sich gewaltig an
der Erscheinung des gefeierte" Generals. Wohl drangen dunkle Kunden von
der Unschlüssigkeit in Berlin, von der bedrohlichen Stimmung des Hofes
über Joris vaterlandsrettende Eigenmacht, von den gewaltigen französischen
Rüstungen am Rhein und an der Seine bis zum deutschen. Norden. Aber
zu vollständig hatte man sich binnen wenigen Tagen von dem Gefühl der
Erlösung durchdringen lassen, zu hoch und brausend gingell die Wogen der
Hoffnung nach sieben fast hoffnungslosen, bittern und schweren Jahren, zu
tief war der Eindruck gewesen, den die jammervolle Wiederkehr der Trümmer
des großen Heeres, sieben Monate nach dem prunkvollen und drohenden
Auszug, auf die ostpreußische Bevölkerung gemacht hatte, zu bereit war
man, alles letzte, was mau besaß, zu opfern, um zu zagen, ja ernstlich an
dem glücklichen Ausgange der augenblicklichen Bedrängnisse zweifeln zu
können. Es war schlimm, daß der König so lange zauderte, zu sprechen, doch
er konnte ja nicht anders sprechen, als er nach Wochen und Monaten in der
That gesprochen hat, es war drückend, daß mau an der Seite eines Ver¬
bündeten rüstete, der noch der Feind, und wider einen Feind, der noch der
hohe Alliirte hieß, es verwirrte die einfachern Gemüter, daß die Begriffe
König und Vaterland, die auf diesem guten Boden immer eins gewesen waren,
jetzt auseinanderzufalleu schienen, es war ärgerlich, daß man Boten auf Boten
ans Hoflager in Breslau sandte, um nur die Zustimmung des Königs zu
all den Opfern zu erlangen, die man für ihn brachte. Aber im Grunde ge¬
nommen dachten alle wie jener tapfre Kandidat des Predigtamts von der
kurischen Nehrung, dem der ehrwürdige Generalsuperiutendent Borowski einen
milden Tadel erteilen mußte, weil er ausgerufen hatte: "Man darf unserm
alten Herrgott gar nicht zutrauen, daß er jetzt auch nur in einem Stücke wider
uns sein könnte."

In diesem wunderbaren Januarmonat (am 21. abends) traf über die
russischen Schlachtfelder und Brandstätten, von der grauenvollen Rückzugs¬
straße der großen Armee her mit dem gewaltigen Freiherrn vom Stein auch
der tapfere Professor Ernst Moritz Arndt, der genau ein Jahr zuvor seine Ent¬
lassung an der Greifswalder Universität genommen hatte und auf weitem Bogen
über Schlesien, Mührer und Galizien nach Rußland gegangen war, in Königs¬
berg ein. Arndt hat diese Episode seines vielbewegten Lebens in zweien seiner
autobiographischen Bücher, in den "Erinnerungen aus dem äußern Leben"
(Leipzig, 1840) und in seinen "Wanderungen und Wandlungen mit dem
Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich vom Stein" (Berlin, 1858) schwung¬
voll geschildert, noch nach vielen Jahrzehnten bewegte ihm die freudigste Er¬
innerung das Herz. Er hatte in Petersburg während des französisch-russischen
Krieges in Steins deutscher Kanzlei gearbeitet, er kam jetzt als die lirtera-


Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby

Schlage zu hegen begann, in der man selbst den Hohn wider die im Augen¬
blick verschwundnen fremden Bedränger nicht scheute, stärkte sich gewaltig an
der Erscheinung des gefeierte» Generals. Wohl drangen dunkle Kunden von
der Unschlüssigkeit in Berlin, von der bedrohlichen Stimmung des Hofes
über Joris vaterlandsrettende Eigenmacht, von den gewaltigen französischen
Rüstungen am Rhein und an der Seine bis zum deutschen. Norden. Aber
zu vollständig hatte man sich binnen wenigen Tagen von dem Gefühl der
Erlösung durchdringen lassen, zu hoch und brausend gingell die Wogen der
Hoffnung nach sieben fast hoffnungslosen, bittern und schweren Jahren, zu
tief war der Eindruck gewesen, den die jammervolle Wiederkehr der Trümmer
des großen Heeres, sieben Monate nach dem prunkvollen und drohenden
Auszug, auf die ostpreußische Bevölkerung gemacht hatte, zu bereit war
man, alles letzte, was mau besaß, zu opfern, um zu zagen, ja ernstlich an
dem glücklichen Ausgange der augenblicklichen Bedrängnisse zweifeln zu
können. Es war schlimm, daß der König so lange zauderte, zu sprechen, doch
er konnte ja nicht anders sprechen, als er nach Wochen und Monaten in der
That gesprochen hat, es war drückend, daß mau an der Seite eines Ver¬
bündeten rüstete, der noch der Feind, und wider einen Feind, der noch der
hohe Alliirte hieß, es verwirrte die einfachern Gemüter, daß die Begriffe
König und Vaterland, die auf diesem guten Boden immer eins gewesen waren,
jetzt auseinanderzufalleu schienen, es war ärgerlich, daß man Boten auf Boten
ans Hoflager in Breslau sandte, um nur die Zustimmung des Königs zu
all den Opfern zu erlangen, die man für ihn brachte. Aber im Grunde ge¬
nommen dachten alle wie jener tapfre Kandidat des Predigtamts von der
kurischen Nehrung, dem der ehrwürdige Generalsuperiutendent Borowski einen
milden Tadel erteilen mußte, weil er ausgerufen hatte: „Man darf unserm
alten Herrgott gar nicht zutrauen, daß er jetzt auch nur in einem Stücke wider
uns sein könnte."

In diesem wunderbaren Januarmonat (am 21. abends) traf über die
russischen Schlachtfelder und Brandstätten, von der grauenvollen Rückzugs¬
straße der großen Armee her mit dem gewaltigen Freiherrn vom Stein auch
der tapfere Professor Ernst Moritz Arndt, der genau ein Jahr zuvor seine Ent¬
lassung an der Greifswalder Universität genommen hatte und auf weitem Bogen
über Schlesien, Mührer und Galizien nach Rußland gegangen war, in Königs¬
berg ein. Arndt hat diese Episode seines vielbewegten Lebens in zweien seiner
autobiographischen Bücher, in den „Erinnerungen aus dem äußern Leben"
(Leipzig, 1840) und in seinen „Wanderungen und Wandlungen mit dem
Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich vom Stein" (Berlin, 1858) schwung¬
voll geschildert, noch nach vielen Jahrzehnten bewegte ihm die freudigste Er¬
innerung das Herz. Er hatte in Petersburg während des französisch-russischen
Krieges in Steins deutscher Kanzlei gearbeitet, er kam jetzt als die lirtera-


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[0144] Lrnst Moritz Arndt und Johanna Motherby Schlage zu hegen begann, in der man selbst den Hohn wider die im Augen¬ blick verschwundnen fremden Bedränger nicht scheute, stärkte sich gewaltig an der Erscheinung des gefeierte» Generals. Wohl drangen dunkle Kunden von der Unschlüssigkeit in Berlin, von der bedrohlichen Stimmung des Hofes über Joris vaterlandsrettende Eigenmacht, von den gewaltigen französischen Rüstungen am Rhein und an der Seine bis zum deutschen. Norden. Aber zu vollständig hatte man sich binnen wenigen Tagen von dem Gefühl der Erlösung durchdringen lassen, zu hoch und brausend gingell die Wogen der Hoffnung nach sieben fast hoffnungslosen, bittern und schweren Jahren, zu tief war der Eindruck gewesen, den die jammervolle Wiederkehr der Trümmer des großen Heeres, sieben Monate nach dem prunkvollen und drohenden Auszug, auf die ostpreußische Bevölkerung gemacht hatte, zu bereit war man, alles letzte, was mau besaß, zu opfern, um zu zagen, ja ernstlich an dem glücklichen Ausgange der augenblicklichen Bedrängnisse zweifeln zu können. Es war schlimm, daß der König so lange zauderte, zu sprechen, doch er konnte ja nicht anders sprechen, als er nach Wochen und Monaten in der That gesprochen hat, es war drückend, daß mau an der Seite eines Ver¬ bündeten rüstete, der noch der Feind, und wider einen Feind, der noch der hohe Alliirte hieß, es verwirrte die einfachern Gemüter, daß die Begriffe König und Vaterland, die auf diesem guten Boden immer eins gewesen waren, jetzt auseinanderzufalleu schienen, es war ärgerlich, daß man Boten auf Boten ans Hoflager in Breslau sandte, um nur die Zustimmung des Königs zu all den Opfern zu erlangen, die man für ihn brachte. Aber im Grunde ge¬ nommen dachten alle wie jener tapfre Kandidat des Predigtamts von der kurischen Nehrung, dem der ehrwürdige Generalsuperiutendent Borowski einen milden Tadel erteilen mußte, weil er ausgerufen hatte: „Man darf unserm alten Herrgott gar nicht zutrauen, daß er jetzt auch nur in einem Stücke wider uns sein könnte." In diesem wunderbaren Januarmonat (am 21. abends) traf über die russischen Schlachtfelder und Brandstätten, von der grauenvollen Rückzugs¬ straße der großen Armee her mit dem gewaltigen Freiherrn vom Stein auch der tapfere Professor Ernst Moritz Arndt, der genau ein Jahr zuvor seine Ent¬ lassung an der Greifswalder Universität genommen hatte und auf weitem Bogen über Schlesien, Mührer und Galizien nach Rußland gegangen war, in Königs¬ berg ein. Arndt hat diese Episode seines vielbewegten Lebens in zweien seiner autobiographischen Bücher, in den „Erinnerungen aus dem äußern Leben" (Leipzig, 1840) und in seinen „Wanderungen und Wandlungen mit dem Reichsfreiherrn Heinrich Karl Friedrich vom Stein" (Berlin, 1858) schwung¬ voll geschildert, noch nach vielen Jahrzehnten bewegte ihm die freudigste Er¬ innerung das Herz. Er hatte in Petersburg während des französisch-russischen Krieges in Steins deutscher Kanzlei gearbeitet, er kam jetzt als die lirtera-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/144>, abgerufen am 23.11.2024.