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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Auch ein Lehrplan

den Entwurf im ganzen, so können wir nicht anders sagen, als daß wir den
besten Eindruck davon gewonnen haben; vor allem durch das sichtlich darin
bethätigte Streben, etwas Vernünftiges zu schaffen und deshalb die aufzu¬
wendenden Mittel stets in ein angemessenes Verhältnis zu dem zu erreichenden
Zweck zu setzen. Hier begegnen wir endlich einmal einem Prozeßgesetz, das,
statt von einem öden Doktrinarismus, von dem lebendigen Bewußtsein erfüllt
ist, daß der Prozeß um der Parteien willen da ist, und daß es in deren Inter¬
esse liegt, Dinge, die sich einfach und mit geringen Kosten abthun lassen, auch
in dieser Weise zu erledigen. Wir glauben auch, daß der Entwurf die Auf¬
gabe, die er sich in so wohlwollendem Sinne gestellt, im wesentlichen glücklich
gelöst but; und wir wünschen nur, daß er auch den weitern Weg, den er noch
zu durchlaufen haben wird, glücklich zurücklegen möge. Schwierigkeiten wird
er freilich genug finden. Denn die Erfahrung lehrt, daß jede Vereinfachung
des Prozesses bei einem Teile des Juristenstandes dem leidenschaftlichsten Wider¬
stande begegnet.

Für uns Deutsche aber hat dieser neue Entwurf die Bedeutung, daß er
die bitterste Kritik bildet gegenüber dem elenden Verfahren, das die Weisheit
des Ministers Leonhardt und seiner Helfer dem deutschen Reiche beschieden hat.




Auch ein Lehrplan

Halte" Sie sich immer gegenwärtig, daß
der nationale Geist mehr durch Charakter
als durch Wissen gewonnen wird. Die Ge¬
lehrten sind nicht immer die sichersten Stützen
Bismarck des Staates.

om erlebtem wir eigentlich unsern Jungen die unmenschliche
Menge des verschiedensten Zeugs ein? Die Frage beschäftigt
gegenwärtig mehr als einen. Nun ist der moderne Mensch in
einer sehr glücklichen Lage: er hat eine getreue Begleiterin, die
ihm eine bündige Antwort auf alle Fragen giebt, die man im
Mittelalter und im Altertum durch eignes Denken lösen mußte. Diese Wohl¬
thäterin der modernen Menschheit ist die Presse. Ich greife also zu meinem
Zeitungsblatt -- einige nennen es ein Weltblatt, andre ein Halbweltblatt;


Der damit in die Hand des Richters gelegte Mißbrauch spottet der Gerechtigkeit und der
Heilighaltung des Eides.
Auch ein Lehrplan

den Entwurf im ganzen, so können wir nicht anders sagen, als daß wir den
besten Eindruck davon gewonnen haben; vor allem durch das sichtlich darin
bethätigte Streben, etwas Vernünftiges zu schaffen und deshalb die aufzu¬
wendenden Mittel stets in ein angemessenes Verhältnis zu dem zu erreichenden
Zweck zu setzen. Hier begegnen wir endlich einmal einem Prozeßgesetz, das,
statt von einem öden Doktrinarismus, von dem lebendigen Bewußtsein erfüllt
ist, daß der Prozeß um der Parteien willen da ist, und daß es in deren Inter¬
esse liegt, Dinge, die sich einfach und mit geringen Kosten abthun lassen, auch
in dieser Weise zu erledigen. Wir glauben auch, daß der Entwurf die Auf¬
gabe, die er sich in so wohlwollendem Sinne gestellt, im wesentlichen glücklich
gelöst but; und wir wünschen nur, daß er auch den weitern Weg, den er noch
zu durchlaufen haben wird, glücklich zurücklegen möge. Schwierigkeiten wird
er freilich genug finden. Denn die Erfahrung lehrt, daß jede Vereinfachung
des Prozesses bei einem Teile des Juristenstandes dem leidenschaftlichsten Wider¬
stande begegnet.

Für uns Deutsche aber hat dieser neue Entwurf die Bedeutung, daß er
die bitterste Kritik bildet gegenüber dem elenden Verfahren, das die Weisheit
des Ministers Leonhardt und seiner Helfer dem deutschen Reiche beschieden hat.




Auch ein Lehrplan

Halte» Sie sich immer gegenwärtig, daß
der nationale Geist mehr durch Charakter
als durch Wissen gewonnen wird. Die Ge¬
lehrten sind nicht immer die sichersten Stützen
Bismarck des Staates.

om erlebtem wir eigentlich unsern Jungen die unmenschliche
Menge des verschiedensten Zeugs ein? Die Frage beschäftigt
gegenwärtig mehr als einen. Nun ist der moderne Mensch in
einer sehr glücklichen Lage: er hat eine getreue Begleiterin, die
ihm eine bündige Antwort auf alle Fragen giebt, die man im
Mittelalter und im Altertum durch eignes Denken lösen mußte. Diese Wohl¬
thäterin der modernen Menschheit ist die Presse. Ich greife also zu meinem
Zeitungsblatt — einige nennen es ein Weltblatt, andre ein Halbweltblatt;


Der damit in die Hand des Richters gelegte Mißbrauch spottet der Gerechtigkeit und der
Heilighaltung des Eides.
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[0115] Auch ein Lehrplan den Entwurf im ganzen, so können wir nicht anders sagen, als daß wir den besten Eindruck davon gewonnen haben; vor allem durch das sichtlich darin bethätigte Streben, etwas Vernünftiges zu schaffen und deshalb die aufzu¬ wendenden Mittel stets in ein angemessenes Verhältnis zu dem zu erreichenden Zweck zu setzen. Hier begegnen wir endlich einmal einem Prozeßgesetz, das, statt von einem öden Doktrinarismus, von dem lebendigen Bewußtsein erfüllt ist, daß der Prozeß um der Parteien willen da ist, und daß es in deren Inter¬ esse liegt, Dinge, die sich einfach und mit geringen Kosten abthun lassen, auch in dieser Weise zu erledigen. Wir glauben auch, daß der Entwurf die Auf¬ gabe, die er sich in so wohlwollendem Sinne gestellt, im wesentlichen glücklich gelöst but; und wir wünschen nur, daß er auch den weitern Weg, den er noch zu durchlaufen haben wird, glücklich zurücklegen möge. Schwierigkeiten wird er freilich genug finden. Denn die Erfahrung lehrt, daß jede Vereinfachung des Prozesses bei einem Teile des Juristenstandes dem leidenschaftlichsten Wider¬ stande begegnet. Für uns Deutsche aber hat dieser neue Entwurf die Bedeutung, daß er die bitterste Kritik bildet gegenüber dem elenden Verfahren, das die Weisheit des Ministers Leonhardt und seiner Helfer dem deutschen Reiche beschieden hat. Auch ein Lehrplan Halte» Sie sich immer gegenwärtig, daß der nationale Geist mehr durch Charakter als durch Wissen gewonnen wird. Die Ge¬ lehrten sind nicht immer die sichersten Stützen Bismarck des Staates. om erlebtem wir eigentlich unsern Jungen die unmenschliche Menge des verschiedensten Zeugs ein? Die Frage beschäftigt gegenwärtig mehr als einen. Nun ist der moderne Mensch in einer sehr glücklichen Lage: er hat eine getreue Begleiterin, die ihm eine bündige Antwort auf alle Fragen giebt, die man im Mittelalter und im Altertum durch eignes Denken lösen mußte. Diese Wohl¬ thäterin der modernen Menschheit ist die Presse. Ich greife also zu meinem Zeitungsblatt — einige nennen es ein Weltblatt, andre ein Halbweltblatt; Der damit in die Hand des Richters gelegte Mißbrauch spottet der Gerechtigkeit und der Heilighaltung des Eides.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/115>, abgerufen am 27.11.2024.