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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Lin neues Prozeßgesetz für Vsterreich

Revision an den höchsten Gerichtshof kann gegen ein Urteil zweiter In¬
stanz erhoben werden, das wegen Formmangels nichtig ist, oder das auf einer
unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht. Wegen des letzten Grundes
findet jedoch Revision nur dann statt, wenn keine gleichförmigen Urteile der
beiden Vorinstanzen vorliegen. Das Revisionsgericht entscheidet in geheimer
Sitzung ohne mündliche Verhandlung. Es kann jedoch, wo es im einzelnen
Falle erforderlich erscheint, eine mündliche Verhandlung anordnen. (Diese der
Ausdehnung der Revision und ihrer Behandlung gesetzten Schranken ermög¬
lichen es, die Revision auch wider die in der Berufungsinstanz ergcmgnen Ur¬
teile der Landgerichte zuzulassen.)

Das Revisionsgericht hat in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden.
Nur wenn durch UnVollständigkeit der Verhandlung eine neue Verhandlung
notwendig wird, hat es die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. (In
Deutschland bildet die beim Reichsgericht in der großen Mehrzahl der Fälle
eintretende RückVerweisung der Sache an die Vorinstanz, wodurch die Prozesse
unendlich verschleppt und verteuert werden, einen schweren Schaden der Justiz.)
Wegen einer frivol eingebrachten Revision kann das Gericht gegen den Revisions¬
kläger und nach Umständen gegen dessen Advokaten auf eine Mutwillensstrafe
(bis zu dreihundert Gulden) erkennen.

Aus der Vollziehungsinstanz möge noch folgendes hier erwähnt werden.
Der Gesetzentwurf über das Exekutionsverfahren bestimmt: "Zur Vornahme
von Exekutionshandlungen können bei einzelnen Gerichten besondre Vollstreckungs¬
beamte bestellt werden. Bei den Gerichten, wo solche nicht bestellt sind, er¬
folgt die Vornahme von Exekutionshandlungen durch Gerichtsdiener und durch
Beamte der Gerichtskanzlei." Wie sich aus den erläuternden Bemerkungen er¬
giebt, wird mit diesen Bestimmungen das Institut der selbständigen Gerichts¬
vollzieher "nach den damit inzwischen in andern Staaten gemachten Erfahrungen"
entschieden abgelehnt. Die Vollstrcckungsorgane sollen Beamte sein, die nicht
(wie bei uns) "im Auftrage der Partei," sondern im Auftrage und unter Lei¬
tung des Gerichts das Urteil vollziehen. Damit wird der Zwangsvollstreckung
die ihrer innersten Natur entsprechende Stellung angewiesen. Denn es ist
lächerlich, den Vollziehungsbeamten als im Auftrage der Partei handelnd an¬
zusehen, da die Partei die Handlung, mit der sie ihn angeblich beauftragt,
gar nicht selbst vornehmen kann.

Soweit unser Überblick. Es versteht sich von selbst, daß wir hier nicht
auf die Einzelheiten des Entwurfs eingehen können. In diesen mag sich ja
manches finden, wogegen sich Bedenken erheben lassen.*) Betrachten wir aber



*) Wollten wir Kritik üben, so würde sie sich vor allem gegen den im EntWurfe ge¬
machten Versuch richten, die Beweisführung durch Eid durch die "eidliche Vernehmung der
Parteien als Zeugen" zu ersetzen. Wir halten das für eine durchaus verwerfliche Neuerung.
Lin neues Prozeßgesetz für Vsterreich

Revision an den höchsten Gerichtshof kann gegen ein Urteil zweiter In¬
stanz erhoben werden, das wegen Formmangels nichtig ist, oder das auf einer
unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht. Wegen des letzten Grundes
findet jedoch Revision nur dann statt, wenn keine gleichförmigen Urteile der
beiden Vorinstanzen vorliegen. Das Revisionsgericht entscheidet in geheimer
Sitzung ohne mündliche Verhandlung. Es kann jedoch, wo es im einzelnen
Falle erforderlich erscheint, eine mündliche Verhandlung anordnen. (Diese der
Ausdehnung der Revision und ihrer Behandlung gesetzten Schranken ermög¬
lichen es, die Revision auch wider die in der Berufungsinstanz ergcmgnen Ur¬
teile der Landgerichte zuzulassen.)

Das Revisionsgericht hat in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden.
Nur wenn durch UnVollständigkeit der Verhandlung eine neue Verhandlung
notwendig wird, hat es die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. (In
Deutschland bildet die beim Reichsgericht in der großen Mehrzahl der Fälle
eintretende RückVerweisung der Sache an die Vorinstanz, wodurch die Prozesse
unendlich verschleppt und verteuert werden, einen schweren Schaden der Justiz.)
Wegen einer frivol eingebrachten Revision kann das Gericht gegen den Revisions¬
kläger und nach Umständen gegen dessen Advokaten auf eine Mutwillensstrafe
(bis zu dreihundert Gulden) erkennen.

Aus der Vollziehungsinstanz möge noch folgendes hier erwähnt werden.
Der Gesetzentwurf über das Exekutionsverfahren bestimmt: „Zur Vornahme
von Exekutionshandlungen können bei einzelnen Gerichten besondre Vollstreckungs¬
beamte bestellt werden. Bei den Gerichten, wo solche nicht bestellt sind, er¬
folgt die Vornahme von Exekutionshandlungen durch Gerichtsdiener und durch
Beamte der Gerichtskanzlei." Wie sich aus den erläuternden Bemerkungen er¬
giebt, wird mit diesen Bestimmungen das Institut der selbständigen Gerichts¬
vollzieher „nach den damit inzwischen in andern Staaten gemachten Erfahrungen"
entschieden abgelehnt. Die Vollstrcckungsorgane sollen Beamte sein, die nicht
(wie bei uns) „im Auftrage der Partei," sondern im Auftrage und unter Lei¬
tung des Gerichts das Urteil vollziehen. Damit wird der Zwangsvollstreckung
die ihrer innersten Natur entsprechende Stellung angewiesen. Denn es ist
lächerlich, den Vollziehungsbeamten als im Auftrage der Partei handelnd an¬
zusehen, da die Partei die Handlung, mit der sie ihn angeblich beauftragt,
gar nicht selbst vornehmen kann.

Soweit unser Überblick. Es versteht sich von selbst, daß wir hier nicht
auf die Einzelheiten des Entwurfs eingehen können. In diesen mag sich ja
manches finden, wogegen sich Bedenken erheben lassen.*) Betrachten wir aber



*) Wollten wir Kritik üben, so würde sie sich vor allem gegen den im EntWurfe ge¬
machten Versuch richten, die Beweisführung durch Eid durch die „eidliche Vernehmung der
Parteien als Zeugen" zu ersetzen. Wir halten das für eine durchaus verwerfliche Neuerung.
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[0114] Lin neues Prozeßgesetz für Vsterreich Revision an den höchsten Gerichtshof kann gegen ein Urteil zweiter In¬ stanz erhoben werden, das wegen Formmangels nichtig ist, oder das auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht. Wegen des letzten Grundes findet jedoch Revision nur dann statt, wenn keine gleichförmigen Urteile der beiden Vorinstanzen vorliegen. Das Revisionsgericht entscheidet in geheimer Sitzung ohne mündliche Verhandlung. Es kann jedoch, wo es im einzelnen Falle erforderlich erscheint, eine mündliche Verhandlung anordnen. (Diese der Ausdehnung der Revision und ihrer Behandlung gesetzten Schranken ermög¬ lichen es, die Revision auch wider die in der Berufungsinstanz ergcmgnen Ur¬ teile der Landgerichte zuzulassen.) Das Revisionsgericht hat in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden. Nur wenn durch UnVollständigkeit der Verhandlung eine neue Verhandlung notwendig wird, hat es die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. (In Deutschland bildet die beim Reichsgericht in der großen Mehrzahl der Fälle eintretende RückVerweisung der Sache an die Vorinstanz, wodurch die Prozesse unendlich verschleppt und verteuert werden, einen schweren Schaden der Justiz.) Wegen einer frivol eingebrachten Revision kann das Gericht gegen den Revisions¬ kläger und nach Umständen gegen dessen Advokaten auf eine Mutwillensstrafe (bis zu dreihundert Gulden) erkennen. Aus der Vollziehungsinstanz möge noch folgendes hier erwähnt werden. Der Gesetzentwurf über das Exekutionsverfahren bestimmt: „Zur Vornahme von Exekutionshandlungen können bei einzelnen Gerichten besondre Vollstreckungs¬ beamte bestellt werden. Bei den Gerichten, wo solche nicht bestellt sind, er¬ folgt die Vornahme von Exekutionshandlungen durch Gerichtsdiener und durch Beamte der Gerichtskanzlei." Wie sich aus den erläuternden Bemerkungen er¬ giebt, wird mit diesen Bestimmungen das Institut der selbständigen Gerichts¬ vollzieher „nach den damit inzwischen in andern Staaten gemachten Erfahrungen" entschieden abgelehnt. Die Vollstrcckungsorgane sollen Beamte sein, die nicht (wie bei uns) „im Auftrage der Partei," sondern im Auftrage und unter Lei¬ tung des Gerichts das Urteil vollziehen. Damit wird der Zwangsvollstreckung die ihrer innersten Natur entsprechende Stellung angewiesen. Denn es ist lächerlich, den Vollziehungsbeamten als im Auftrage der Partei handelnd an¬ zusehen, da die Partei die Handlung, mit der sie ihn angeblich beauftragt, gar nicht selbst vornehmen kann. Soweit unser Überblick. Es versteht sich von selbst, daß wir hier nicht auf die Einzelheiten des Entwurfs eingehen können. In diesen mag sich ja manches finden, wogegen sich Bedenken erheben lassen.*) Betrachten wir aber *) Wollten wir Kritik üben, so würde sie sich vor allem gegen den im EntWurfe ge¬ machten Versuch richten, die Beweisführung durch Eid durch die „eidliche Vernehmung der Parteien als Zeugen" zu ersetzen. Wir halten das für eine durchaus verwerfliche Neuerung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/114>, abgerufen am 23.11.2024.