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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.

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Nach den Wahlen

sind zum Teil unklare Köpfe, die uicht merken, daß wir im Staatssozialismus
bereits drin stecken, und daß es sich nur darum handelt, auf diesem Wege uoch
ein Stück weiter zu gehen. Und andernteils sind es ängstliche Gemüter, denen
ein falscher Begriff von individueller Freiheit im Kopfe herumspukt. Als ob
ich in meiner freien Bewegung gehemmt wäre, wenn ich Münchner Hofbräu
trinke, das der bairische Staat brant, oder wenn ich eine Staatseigarre rauche
oder ein Brötchen aus einer Staatsbäckerei esse!

Wir wären übrigens viel weiter bereits im Staatssozialismus vorgeschritten,
wenn die Nationalliberalen im Jahre 1878 den Mut gehabt hätten, auf den
Vorschlag des Reichskanzlers einzugehen und energisch für Einführung des
Tabaksmonopols einzutreten. Herr von Bennigsen soll aber damals bald auf
deu Rücken gefallen sein ob der kühnen Idee Bismarcks, der dann gezwungen
war, sich mit dem Zentrum zu verständigen, um anderweitig Geld zu schaffen.
Die Partei, die sich national nennt, hatte damals sehr wenig Recht dazu, so
wenig, wie kürzlich bei dem bekannten Angebot von zehntausend Rekruten.

Eine Partei, die wirtschaftlich so uneins ist, in der die individualistisch¬
egoistische neben der sozialistisch-humanen Denkweise herrscht und diesen Gegen¬
satz nur mühsam verkleistert, kann in der That heute unserm nationalen Leben
nur gelegentlich einen Dienst leisten.

Dauernd kann es nur eine Partei, die sich rückhaltlos auf den Boden
des Staatssozialismus stellt und der Sozialdemokratie ihre gefährlichste Waffe
aus der Hand nimmt. Das wäre eine Partei mit einem positiven Programm,
nach dem sich viele sehnen, die auf dem Boden unsrer Verfassung stehen, aber
die Nötigung begreifen, unserm nationalen Staat eine festere Grundlage zu
geben und ihn reicher auszustatten, nicht nnr für Schutz und Trutz, sondern
auch für die Werke des Friedens.

Es ist zwar bequem, der Neichsregierung die Pflicht zuzuschieben, für die
Beschaffung der nötigen Mittel die nötigen Vorschläge auszuarbeiten, um sie
dann kritisch zu prüfen; höher faßt jedenfalls eine Partei ihre Aufgabe, wenn
sie nicht auf solche Vorschläge wartet, sondern ihrerseits ein Programm aus¬
arbeitet, vertritt, verteidigt und Anhänger dafür wirbt, dessen Verwirklichung
sich als eine mächtige Stütze unsers nationalen Kaiserstaats erweisen und zu¬
gleich der revolutionären Partei den Boden entziehen würde.

Wir hoffen immer noch uns die Entstehung einer solchen Partei, einer
sozialistischen auf monarchischen Boden, einer Partei, die auf wirtschaftlich¬
finanziellem Gebiet mit aller Flickarbeit, der Hervorsuchuug neuer Steuer-
vbjektcheu u. s. w., bricht, planvoll für das Prinzip des Staatssozialismus
eintritt und für dessen allmähliche Verwirklichung arbeitet. Die Durchführung
des als richtig erkannten Prinzips richtet sich nach dem jeweiligen Bedürfnis.
Wollte man für jetzt die Verstaatlichung des Tabak- und des Getreidehandels
in Angriff nehmen, so würde man die Mittel reichlich schaffen, die nötig sind,


Nach den Wahlen

sind zum Teil unklare Köpfe, die uicht merken, daß wir im Staatssozialismus
bereits drin stecken, und daß es sich nur darum handelt, auf diesem Wege uoch
ein Stück weiter zu gehen. Und andernteils sind es ängstliche Gemüter, denen
ein falscher Begriff von individueller Freiheit im Kopfe herumspukt. Als ob
ich in meiner freien Bewegung gehemmt wäre, wenn ich Münchner Hofbräu
trinke, das der bairische Staat brant, oder wenn ich eine Staatseigarre rauche
oder ein Brötchen aus einer Staatsbäckerei esse!

Wir wären übrigens viel weiter bereits im Staatssozialismus vorgeschritten,
wenn die Nationalliberalen im Jahre 1878 den Mut gehabt hätten, auf den
Vorschlag des Reichskanzlers einzugehen und energisch für Einführung des
Tabaksmonopols einzutreten. Herr von Bennigsen soll aber damals bald auf
deu Rücken gefallen sein ob der kühnen Idee Bismarcks, der dann gezwungen
war, sich mit dem Zentrum zu verständigen, um anderweitig Geld zu schaffen.
Die Partei, die sich national nennt, hatte damals sehr wenig Recht dazu, so
wenig, wie kürzlich bei dem bekannten Angebot von zehntausend Rekruten.

Eine Partei, die wirtschaftlich so uneins ist, in der die individualistisch¬
egoistische neben der sozialistisch-humanen Denkweise herrscht und diesen Gegen¬
satz nur mühsam verkleistert, kann in der That heute unserm nationalen Leben
nur gelegentlich einen Dienst leisten.

Dauernd kann es nur eine Partei, die sich rückhaltlos auf den Boden
des Staatssozialismus stellt und der Sozialdemokratie ihre gefährlichste Waffe
aus der Hand nimmt. Das wäre eine Partei mit einem positiven Programm,
nach dem sich viele sehnen, die auf dem Boden unsrer Verfassung stehen, aber
die Nötigung begreifen, unserm nationalen Staat eine festere Grundlage zu
geben und ihn reicher auszustatten, nicht nnr für Schutz und Trutz, sondern
auch für die Werke des Friedens.

Es ist zwar bequem, der Neichsregierung die Pflicht zuzuschieben, für die
Beschaffung der nötigen Mittel die nötigen Vorschläge auszuarbeiten, um sie
dann kritisch zu prüfen; höher faßt jedenfalls eine Partei ihre Aufgabe, wenn
sie nicht auf solche Vorschläge wartet, sondern ihrerseits ein Programm aus¬
arbeitet, vertritt, verteidigt und Anhänger dafür wirbt, dessen Verwirklichung
sich als eine mächtige Stütze unsers nationalen Kaiserstaats erweisen und zu¬
gleich der revolutionären Partei den Boden entziehen würde.

Wir hoffen immer noch uns die Entstehung einer solchen Partei, einer
sozialistischen auf monarchischen Boden, einer Partei, die auf wirtschaftlich¬
finanziellem Gebiet mit aller Flickarbeit, der Hervorsuchuug neuer Steuer-
vbjektcheu u. s. w., bricht, planvoll für das Prinzip des Staatssozialismus
eintritt und für dessen allmähliche Verwirklichung arbeitet. Die Durchführung
des als richtig erkannten Prinzips richtet sich nach dem jeweiligen Bedürfnis.
Wollte man für jetzt die Verstaatlichung des Tabak- und des Getreidehandels
in Angriff nehmen, so würde man die Mittel reichlich schaffen, die nötig sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215089/108>, abgerufen am 23.11.2024.