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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die Geschichte des Lwtsrats

erinnerte, wo ihre liebste Freundin bitter von ihm hatte leiden müssen. Und
Freunde haben manchmal ein besseres Gedächtnis, als die Betroffnen selbst.

Deshalb horchte sie auch hoch auf, als eines Tags der Geheimmt seinen
Namen nannte. Es waren einige Jahre seit dem geschilderten Ereignis ver¬
gangen, die Excellenz erzählte aber noch immer so gern Geschichten wie früher.

Da bin ich neulich in Hamburg und gehe auf dem Jungfernstieg spazieren,
berichtete er. Wer begegnet mir da? Der Etatsrat Lauritzen mit einer Dame
am Arm. Er sah sehr gut aus, und seine Frau, die frühere Mamsell Reimers,
die mit der deutschen Sprache auf so gespanntem Fuße stand, gleichfalls;
beide schienen auch sehr zufrieden, und Lauritzen war lebhafter geworden.

Die Komteß verstummte vor Entsetzen.

Erschrecken Sie nicht so, Gnädigste, sagte der Geheimrat mit leisem Spott.
Die Vorsehung hat noch gut für Peter Lauritzen gesorgt und ihm gegeben
über Bitten und Verstehen. Er gehörte zwar der dritten Rangklasse an, aber
seine Seele war subaltern geblieben. Jedesmal, wenn ihr Gelegenheit gegeben
war, sich aufwärtszuschwingen, sank sie nach kurzer Anstrengung wieder
znriick. Ich habe den Mann beobachtet; glauben Sie mir, Mamsell Reimers
paßt vortrefflich zu ihm! Und dann -- dabei sah der alte Geheimrnt ganz
böse aus -- er konnte nicht einmal eine Geschichte erzählen!

Aber er wollte es ja! rief die Komteß.

Er wollte Ihnen eine Geschichte erzählen, und Sie unterbrachen ihn so
oft, daß er nicht dazu kam und halb verrückt darüber wurde!

Er wollte es ja ja, das ist richtig! -- Der Geheimrat stand auf und
griff nach seinem Hut. Er wollte es, und ich - ich habe ihn nicht aus¬
reden lassen! Wie ärgerlich!

Am Abend ärgerte sich der ganze Stammtisch mit dem Geheimrat, denn
nun fiel es erst allen ein, daß der Etntsrat eine Geschichte hatte erzählen
wollen. Aber der Ärger half nichts. Die Geschichte des Etatsrath ist ver¬
loren gegangen, denn als nach langem Besinnen der Stammtisch einmal in
vorM'ö an ihn schrieb, die Gäste wollten so gern die Geschichte von dem
Regentage hören, da antwortete statt seiner die Frau Etatsrätin wieder und
bemerkte nur mit wenigen Worten, daß ihr Mann von einer solchen Geschichte
gar nichts wisse; und da sein Kopf sehr schwach würde, so bäte sie auch,
ihm keine Briefe mehr zu schreiben, da er sie ja doch nicht zu lesen bekäme.

Der Etatsrat lebt noch; doch seine Geschichte ist tot. Vielleicht er¬
saht sie aber noch einmal ans seinen hinterlassenen Papieren. So hofft
wenigstens der Stammtisch.




Die Geschichte des Lwtsrats

erinnerte, wo ihre liebste Freundin bitter von ihm hatte leiden müssen. Und
Freunde haben manchmal ein besseres Gedächtnis, als die Betroffnen selbst.

Deshalb horchte sie auch hoch auf, als eines Tags der Geheimmt seinen
Namen nannte. Es waren einige Jahre seit dem geschilderten Ereignis ver¬
gangen, die Excellenz erzählte aber noch immer so gern Geschichten wie früher.

Da bin ich neulich in Hamburg und gehe auf dem Jungfernstieg spazieren,
berichtete er. Wer begegnet mir da? Der Etatsrat Lauritzen mit einer Dame
am Arm. Er sah sehr gut aus, und seine Frau, die frühere Mamsell Reimers,
die mit der deutschen Sprache auf so gespanntem Fuße stand, gleichfalls;
beide schienen auch sehr zufrieden, und Lauritzen war lebhafter geworden.

Die Komteß verstummte vor Entsetzen.

Erschrecken Sie nicht so, Gnädigste, sagte der Geheimrat mit leisem Spott.
Die Vorsehung hat noch gut für Peter Lauritzen gesorgt und ihm gegeben
über Bitten und Verstehen. Er gehörte zwar der dritten Rangklasse an, aber
seine Seele war subaltern geblieben. Jedesmal, wenn ihr Gelegenheit gegeben
war, sich aufwärtszuschwingen, sank sie nach kurzer Anstrengung wieder
znriick. Ich habe den Mann beobachtet; glauben Sie mir, Mamsell Reimers
paßt vortrefflich zu ihm! Und dann — dabei sah der alte Geheimrnt ganz
böse aus — er konnte nicht einmal eine Geschichte erzählen!

Aber er wollte es ja! rief die Komteß.

Er wollte Ihnen eine Geschichte erzählen, und Sie unterbrachen ihn so
oft, daß er nicht dazu kam und halb verrückt darüber wurde!

Er wollte es ja ja, das ist richtig! — Der Geheimrat stand auf und
griff nach seinem Hut. Er wollte es, und ich - ich habe ihn nicht aus¬
reden lassen! Wie ärgerlich!

Am Abend ärgerte sich der ganze Stammtisch mit dem Geheimrat, denn
nun fiel es erst allen ein, daß der Etntsrat eine Geschichte hatte erzählen
wollen. Aber der Ärger half nichts. Die Geschichte des Etatsrath ist ver¬
loren gegangen, denn als nach langem Besinnen der Stammtisch einmal in
vorM'ö an ihn schrieb, die Gäste wollten so gern die Geschichte von dem
Regentage hören, da antwortete statt seiner die Frau Etatsrätin wieder und
bemerkte nur mit wenigen Worten, daß ihr Mann von einer solchen Geschichte
gar nichts wisse; und da sein Kopf sehr schwach würde, so bäte sie auch,
ihm keine Briefe mehr zu schreiben, da er sie ja doch nicht zu lesen bekäme.

Der Etatsrat lebt noch; doch seine Geschichte ist tot. Vielleicht er¬
saht sie aber noch einmal ans seinen hinterlassenen Papieren. So hofft
wenigstens der Stammtisch.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/93>, abgerufen am 02.07.2024.